Das Dawn Café in Tokio nutzt die Robotertechnik, um Menschen mit Mobilitätseinschränkung zu beschäftigen. Die Roboter haben rosa Augen und fahren auf Schienen, und doch ist der Service einmalig menschlich.
«Hallo, wie geht es Ihnen?», fragt der Roboter, nachdem sich die Gäste an ihren Platz gesetzt haben. Er ist eher klein, reicht den sitzenden Gästen gerade bis zur Brust. «Mein Name ist Chifuyu, darf es etwas zu trinken sein?» Die Augen des weissen Humanoiden leuchten rosa, doch die Stimme ist die einer jungen Frau. «Gern bringe ich Ihnen gleich Ihren Kaffee!», sagt Chifuyu und wendet sich ab.
Das Dawn Café in Tokio gibt es seit zwei Jahren. Es wurde berühmt, weil hier Roboter die Getränke servieren. Gleichzeitig brüstet sich das Café damit, dass hier Menschen mit Mobilitätseinschränkung arbeiten. Das Konzept geht so: Die Roboter fahren auf Sensorschienen am Boden. Sie können sich nur auf den vorgefertigten Routen bewegen. Menschen steuern sie aus der Ferne und übernehmen das Sprechen.
Mitarbeiter sitzen zu Hause
«Hier kommt Ihr schwarzer Kaffee!», sagt Chifuyu. Sie sitze zu Hause, in einem anderen Viertel von Tokio. Den Roboter steuere sie mithilfe einer Tastatur. «Das mache ich alles per Mausklick, es ist sehr einfach!» Vor zehn Jahren sei bei ihr die Nervenkrankheit multiple Sklerose diagnostiziert worden. Die Mobilitätseinschränkung halte sie davon ab, zur Arbeit zu gehen. «Alle, die hier arbeiten, haben ähnliche Herausforderungen. Aber wir lieben diesen Job. Er ist so persönlich!» Das sagt sie, während ihre Stimme aus dem Roboter kommt.
Das Dawn Café ist ein wohliger Ort. Es ist mit warmem Licht und vielen Pflanzen ausgestattet. Und die Mitarbeiterinnen schaffen es trotz Roboter, dem Ort eine persönliche Note zu verleihen. Wohl dank dieser ungewöhnlichen Kombination ist das Café zu einer Institution der Tokioter Gastroszene geworden. Die Roboter – oft als Bedrohung für Arbeitsplätze gesehen – bieten hier Menschen mit beeinträchtigter Mobilität eine Chance. Chifuyu sagt, sie habe lange einen Job gesucht, der zu ihren Lebensumständen passe. «Durch das Dawn Café bin ich nicht mehr allein, wenn mein Mann arbeitet. Ich merke jetzt, dass ich gebraucht werde.»
Integration ins Arbeitsleben
Kentaro Yoshifuji ist Mitgründer des Unternehmens Ory Laboratory, des Herstellers der Roboter und Betreibers des Cafés. Er sagt: «Wir wollten einen Ort schaffen, an dem Personen mit einer körperlichen Behinderung ins Arbeitsleben integriert werden können.» Häufig würden sie als hilflos, gar als Last gesehen. Hier aber seien sie geschätzte Arbeitskräfte, die je nach individuellen Möglichkeiten mehrere Tage die Woche im Dienst sind. Rund 50 Jobs hat das Dawn Café seit seiner Öffnung geschaffen.
Seit einigen Jahren hat in Japan der Begriff «tayousei» – Diversität – Hochkonjunktur. Über Jahrzehnte hatte sich das ostasiatische Land als homogene Gesellschaft verstanden und sah dies als eine Stärke. Doch die Haltung hatte eine Kehrseite: Es entstand eine Art Tyrannei der Normen, die teilweise bis heute fortgesetzt wird. Mädchen wird vorgegeben, schlank zu sein. Jungs sollen keine langen Haare und keinen Bart tragen. Tattoos werden – trotz einer vorsichtigen gesellschaftlichen Öffnung – weiterhin mit dem organisierten Verbrechen, der Yakuza, in Verbindung gebracht.
Als Faustregel galt: Wer dazugehören will, muss den Normen entsprechen. Wer das nicht tut, gilt als nicht normal und wird – deutlicher als in anderen liberalen Gesellschaften – ausgegrenzt. Der Umgang mit Menschen mit körperlicher oder geistiger Behinderung ist für diese Tendenzen lange symptomatisch gewesen. Zwischen 1948 und 1990 wurden durch ein Eugenikgesetz rund 16 500 Personen, auch Kinder, mit einer Beeinträchtigung zwangssterilisiert.
Jahrzehntelange Aufklärungsarbeit hat in den letzten Jahren eine Aufarbeitung dieses Kapitels ausgelöst. Vor dem Hintergrund vieldiskutierter Klagefälle erliess das japanische Parlament 2019 ein Gesetz zur Entschädigung für Opfer in Höhe von umgerechnet 20 300 Euro. Viele halten die Summe für zu niedrig, gemessen am Leid der Betroffenen.
Dass so ein Gesetz überhaupt durchs Parlament ging, dürfte auch an einem Wertewandel liegen. Dieser wurde auch durch die Olympischen Spiele von Tokio von 2021 vorangetrieben. Im Vorfeld der Spiele war der Werbespruch «Unity in Diversity» (Einheit in Vielfalt) allgegenwärtig. Das Motto bezog sich auf eine gesellschaftliche Öffnung Japans gegenüber Menschen aus dem Ausland, queeren Personen sowie solchen mit einer Behinderung. An den darauffolgenden Paralympischen Spielen war die Stimmung euphorischer als bei den Olympischen Spielen.
Nähe zu den Gästen
Das Bild von Menschen mit Behinderung war in Japan noch nie so positiv wie heute. Auch das Dawn Café dürfte einen Teil dazu beigetragen haben. Japanische, aber auch internationale Medien haben über das Café berichtet, lobten das inklusive Element und die innovative Idee. Beim G-7-Gipfel in Hiroshima im Mai war das Dawn Café mit einem sogenannten Pop-up-Laden vertreten. Auch Chifuyu gehörte zum Team, das über die Roboter die internationalen Kunden bediente und, wie sie sagt, auch mit ihnen über alles Mögliche sprach.
Chifuyu sagt: «Wenn ein Roboter spricht, sind viele Personen neugierig und wollen wissen, wer ich bin.» Aber aufdringlich finde sie das nicht, sie freue sich vielmehr darüber. «Das ermöglicht es mir, die Leute ebenfalls auszufragen, oft entstehen spannende Unterhaltungen.» Die Angestellten des Dawn Café benutzen die Humanoiden auch als Augen. «Während ich zu Hause am Computer sitze, kann ich natürlich auch Sie sehen», sagt Chifuyu und lacht. So werde ihr nie langweilig. «Was glauben Sie, was man als Kellnerin so alles mitkriegt!»