Ein sehender Kinderwagen, Kopfhörer mit Simultanübersetzung, ein fliegendes Elektroauto – die Tech-Innovationen des Jahres werden diese Woche an der Fachmesse CES in Las Vegas vorgestellt. Fast jedes Produkt behauptet dabei, künstlich intelligent zu sein.
Jedes Jahr Anfang Januar verwandelt sich Amerikas Unterhaltungsmekka Las Vegas zum globalen Tech-Hub: Firmen aus der ganzen Welt präsentieren dann auf der weltgrössten Elektronikmesse Consumer Electronics Show (CES) ihre jüngsten technischen Innovationen. Seit mehr als 50 Jahren gilt die CES als Gradmesser dafür, woran Unternehmen tüfteln und welche verblüffenden, abstrusen oder coolen Tech-Produkte die Konsumenten in den kommenden Monaten erwarten können.
Bei für die Wüstenstadt ungewöhnlich tiefen Temperaturen im einstelligen Bereich hetzten diese Woche mehr als 130 000 Besucher den Strip rauf und runter. Die CES ist derart riesig, dass sie sich über die gesamte sieben Kilometer lange Vergnügungsmeile verteilt. Und trotzdem bringt sie selbst eine Messestadt wie Las Vegas an ihre Grenzen; Verkehrswege, Hotels und Restaurants waren bisweilen völlig überlastet. Dabei ist nicht einmal die breite Öffentlichkeit zugelassen. Nur Industrie- und Medienvertreter sind eingeladen.
Von hochauflösenden Bildschirmen über fliegende Elektroautos bis hin zu einer künstlich intelligenten Katzentür – die Bandbreite der an der CES vorgestellten Produkte ist enorm. Dieses Jahr waren etwa 3500 Aussteller in Las Vegas, wie der Veranstalter, der Branchenverband Consumer Technology Association (CTA), mitteilte. In der Masse der technischen Innovationen zeichnen sich einige Trends ab:
Trend Nummer 1: Die künstliche Intelligenz zieht bei uns zu Hause ein
«Künstliche Intelligenz» (KI) ist seit Ende 2022 das Zauberwort in der Technologieszene, und an der CES zeigt sich nun, wie KI in die Hardware Einzug hält. Fast jede Firma versucht zurzeit, die neue Schlüsseltechnologie in ihre Produkte zu integrieren.
Der koreanische Elektrogigant Samsung präsentierte an der CES etwa unter anderem einen künstlich intelligenten Kühlschrank: Eine Kamera erkennt zunächst, welche Lebensmittel man in den Kühlschrank legt, und ein riesiger Bildschirm an der Aussentür erinnert einen dann daran, was im Kühlschrank ist, was man damit kochen könnte und was wann zu verderben droht.
Das französische Startup Baracoda präsentierte einen «klugen Spiegel», der sich bei jedem Vorbeigehen erkundigt, wie es dem Gegenüber geht. Je nach Antwort schlage einem die eingebaute KI dann beispielsweise vor, peppige Musik zu hören oder eine Runde zu meditieren, erklärt eine Mitarbeiterin im Gespräch. Im Laufe der Zeit lerne der Spiegel von den Antworten und werde zu einem immer besseren Gesprächspartner. Die Veranstalter der CES zeichneten das Produkt mit einem Innovationspreis aus, kosten soll der smarte Spiegel zwischen 500 und 1000 Dollar.
KI soll auch die Kinderbetreuung sicherer machen: Die kanadische Firma Glüxkind präsentierte an der CES einen künstlich intelligenten Kinderwagen, bei dem Kameras ständig die Umgebung analysieren und der im Notfall selbständig bremsen kann. Ebenso rüttelt der Kinderwagen das Kind in den Schlaf und kann eigenständig rollen.
Neue Kopfhörer der Firma Mymanu bringen den Nutzern dank KI nicht nur Musik, sondern auch Übersetzungen auf die Ohren: Der Clik Pro unterstütze mehr als 50 Sprachen und funktioniere auch ohne Internetanschluss, behauptet der Hersteller.
Auch Kopfkissen, Zahnbürsten und Katzentüren werden an der CES als «künstlich intelligent» angepriesen. Nahezu jedes Produkt mit einem Algorithmus oder einer Automatisierung schmückt sich inzwischen mit dem Modewort. Während «KI» oder bisweilen auch «generative KI» inzwischen fast überall auf der Verpackung stehe, sei jedoch fraglich, ob dies wirklich zutreffe, bemängelt die KI-Forscherin Fei-Fei Li von der Universität Stanford, eine der bekanntesten Forscherinnen in dem Feld. Bei einer Podiumsdiskussion am Rande der CES zum Thema «What’s next for AI?» sagte Li: «Generative KI ist ein völlig überladener Begriff. Wir an der Universität haben dafür eine enge mathematische Definition.»
Doch auch wenn zurzeit ein Hype um die Technologie herrsche, sei nicht von der Hand zu weisen, dass die KI einen Wendepunkt erreicht habe. «Sie ist die treibende Kraft einer neuen digitalen Revolution. Die öffentliche Aufmerksamkeit und die Medienberichterstattung kommen und gehen in Wellen, aber die Technologie wird bleiben und alle Gesellschaftsbereiche umwälzen. Das ist schlichtweg eine Tatsache», zeigte sich Li überzeugt.
Trend Nummer 2: Virtual-Reality-Brillen sollen uns endlich das Metaversum bringen – auch für die Industrie
Seit Jahren bemühen sich kleine und grosse Elektronikfirmen, die Ära der Virtual, Augmented oder Mixed Reality einzuläuten – also in unterschiedlichem Ausmass digitale Parallelwelten. 2024 könnte diese Technologie tatsächlich den Massenmarkt erreichen, wenn nämlich Apple in wenigen Wochen sein Vision-Pro-Headset in die Läden bringt (Verkauf in den USA ab 2. Februar).
Im Vorfeld dieses Produktstarts bemühen sich nun zahlreiche Firmen an der CES, ihre eigenen Virtual-Reality-Brillen anzupreisen; so etwa die chinesische Firma Xreal, deren Brillen – ähnlich wie das neue Apple-Headset – als erweiterter Bildschirm für Computer und Handys dienen können. Mit Preisen von 350 Dollar bis 700 Dollar seien die Brillen aber deutlich günstiger als Apples 3500 Dollar teures Headset, sagte ein Xreal-Mitarbeiter im Gespräch.
2024 dürfte aber nicht nur für Konsumenten, sondern auch für Firmen einen Wandel im Bereich der virtuellen Welten einläuten: Der Siemens-Konzern stellte an der CES eine Kooperation mit dem Elektronikkonzern Sony vor, im Zuge dessen er ein neues Headset für die Industrie auf den Markt bringt. Das Zeitalter des «industriellen Metaversums» sei gekommen, sagte der Siemens-CEO Roland Busch bei seiner Keynote am Montagabend: Künftig würden Firmen über solche Headsets erstens Produkte schneller entwickeln. Zweitens sollen sie auch einen digitalen Zwilling dieser Produkte im virtuellen Metaversum erstellen und so Kosten bei der Fertigung sparen und Fehler in der Realität vermeiden.
Trend Nummer 3: Technologie soll bei der Lösung unserer Gesundheitsprobleme helfen
Die CES ist traditionell eine Messe für Unterhaltungselektronik, doch die Frage, wie Technologie bei Gesundheitsproblemen helfen kann, rückt zunehmend in den Fokus. Zahlreiche Firmen stellen diese Woche Produkte vor, die den Schlaf verbessern oder auch Blaseninfektionen diagnostizieren sollen. Der Brillengigant Essilor Luxottica, zu dessen Markenportfolio etwa Rayban und Oakley gehören, präsentiert ein neues Sortiment von Produkten, bei denen im Brillenbügel Hörgeräte eingebaut sind. Diese sollen «Menschen mit leichten Hörproblemen eine stilvolle Lösung bieten», heisst es.
Die Firma Withings wiederum hat ein Messgerät herausgebracht, das telemedizinische Besuche verbessern soll: Das Beamo ist Thermometer, Stethoskop, Echokardiogramm und Pulsoximeter in einem. Damit richte man sich vor allem an Eltern kleiner Kinder und an Pflegekräfte älterer Menschen, die schnellen ärztlichen Rat mit virtuellen Konsultationen brauchten, heisst es. Offenbar hatte man bei der Produktentwicklung aber auch die jüngste Pandemie im Hinterkopf. «Können Sie sich die Nachfrage vorstellen, wenn die nächste Pandemie kommt?», sagt der Pressesprecher im Gespräch. Die amerikanische Lebens- und Arzneimittelbehörde FDA (Food and Drug Administration) hat Withings’ Echokardiogramm bereits genehmigt, das Beamo soll in den USA im Juni auf den Markt kommen und 250 Dollar kosten.
Trend Nummer 4: Roboter mischen unser Leben auf – und unsere Haustiere
Roboter gehören zur CES wie Kasinos zu Las Vegas, in früheren Jahren sorgten etwa die ersten Staubsaugerroboter oder Roboterkoffer für Schlagzeilen.
Auch dieses Jahr waren verschiedene Roboter an der Elektronikmesse ein Hingucker – etwa der Hundesitter der Firma Ogmen Robotics. Der hüfthohe Roboter namens Oro hat Rollen als Füsse und einen Tablet-Computer als Gesicht. Er füttert den Vierbeiner nicht nur und ermöglicht Videoanrufe mit dem Herrchen, sondern analysiert – dank KI – auch den Gemütszustand des Hundes.
Weniger an Tierbesitzer als an Firmenkunden richtet sich das amerikanische Startup Shift mit seinen Roboterschuhen Moonwalkers. Diese Art Rollschuhe schnallt man sich unter die eigenen Schuhe, dann lernt die eingebaute KI den eigenen Gang kennen und beschleunigt einen schliesslich auf bis zu 11 Kilometer pro Stunde, also etwa drei Mal so schnell wie das normale Schritttempo. Die Firma richtet sich an die etwa 6 Millionen Angestellten, die laut Shift allein in den USA in Lagerhäusern und Verteilzentren arbeiten. Das schwedische Möbelhaus Ikea teste die Schuhe in einer Lagerhalle, erzählt der Chefingenieur Joseph Yang.
Die Supermarktkette Walmart kündigte an der CES zudem an, dass Drohnen ab diesem Jahr eine grössere Rolle in der Logistikkette des Konzerns spielen würden: 1,8 Millionen Kunden in der Region Dallas-Fort Worth sollen als Erste ihre Produkte via Drohne geliefert bekommen können. Experten gehen davon aus, dass Drohnen nicht nur bei Walmart, sondern grundsätzlich ab diesem Jahr in der Logistik in den USA an Bedeutung gewinnen werden, nachdem die Luftfahrtbehörde FAA im vergangenen Herbst die regulatorischen Hürden gesenkt hat.