Eine Untersuchung zeigt: Viele Velofahrer sind nicht bereit, für Schulkinder zu bremsen.
Die Stadt plant in Wollishofen eine Veloroute – und stösst auf hartnäckigen Widerstand. Widerstand, den sie so nicht erwartet haben dürfte. Für einmal dreht sich die Diskussion nämlich nicht wie bei anderen geplanten Velorouten um Parkplatzabbau. Sondern um die Sicherheit der Schulkinder.
Bisher hat sich das Tiefbauamt unter Simone Brander (SP) davon allerdings nicht beeindrucken lassen. Sie will den Bau des Velo-Highways wie geplant durchziehen, wie kürzlich bekanntwurde, inklusive Strassensperrung an der Gemeindegrenze.
Gegen das Bauprojekt sind zahlreiche Einsprachen eingegangen. Und nun greift einer der Anwohner, Fritz Klein, zu einem weiteren, eher ungewöhnlichen Mittel. Er will via Kanton politisch Einfluss nehmen – und der Stadt den Bau von Velorouten unmittelbar bei Schulhäusern verbieten.
Im Kanton sind die Erfolgschancen grösser
Klein hat dazu eine Einzelinitiative im Kantonsrat eingereicht. Ein Mittel, das jeder Bürgerin, jedem Bürger offensteht. Diese forderten zuletzt zum Beispiel den «Beibehalt von Papiertickets in Regionalbussen» oder die «Abschaffung des Strafbefehlsverfahrens». Dass die Einzelinitiative dazu benutzt wird, den lokalen Velowegbau kantonal zu übersteuern, ist hingegen ein Novum.
Die Initiative fordert, dass das kantonale Strassengesetz so ergänzt wird, «dass die Einrichtung und der Betrieb von Veloexpressrouten an Quartierstrassen vor Schulanlagen verboten werden».
Klein sagt der NZZ, er habe sich zunächst eine Initiative in der Stadt Zürich überlegt. Aber im Kanton sei die Aussicht auf Erfolg grösser. Er habe bereits mit bürgerlichen Politikern Kontakt aufgenommen, seine Idee sei auf Anklang gestossen.
60 Unterschriften sind im Rat nötig für eine vorläufige Unterstützung. Gelingt dies, muss sich der Regierungsrat mit der Initiative auseinandersetzen und dem Rat einen Umsetzungsvorschlag vorlegen.
Klein sagt, Schulhäuser an Veloschnellrouten seien ein Problem. Als Beispiel nennt er die Kilchbergstrasse in Wollishofen, die heute eine ruhige Quartierstrasse sei. Werde sie zum Velo-Highway umgebaut, verleite das die Velofahrer zum Rasen. Schon heute beobachte er immer wieder brenzlige Situationen zwischen Velofahrern und Schulkindern. An der Kilchbergstrasse befinden sich gleich drei Schulhäuser auf engem Raum.
Tatsächlich ist die Bereitschaft, für Schulkinder zu bremsen, in der Stadt Zürich nicht besonders ausgeprägt. Dies hat eine Untersuchung der Stadt an der Mühlebachstrasse im Seefeld gezeigt. Dort ist das, was in Wollishofen geplant ist, längst umgesetzt: Der Velo-Highway führt direkt am Schulhaus Mühlebach vorbei.
Die Stadt machte beim Schulhaus im September 2020, noch vor dem Bau der Veloroute, während fünf Tagen Filmaufnahmen, weil die Schulleitung Probleme mit Velorowdys gemeldet hatte. Die Filmaufnahmen zeigten: Nur rund die Hälfte der Velofahrenden hielt an. Teilweise mussten Schülerinnen und Schüler lange warten, um die Strasse zu überqueren.
Vor rund einem Jahr wurde an der Mühlebachstrasse der Velo-Highway eröffnet. In einem Bericht der Tamedia-Zeitungen sagten Eltern, seither sei das Queren für Schulkinder im Quartier eher noch gefährlicher geworden. Denn die Veloroute verleitete Velofahrer zu höherem Tempo. Es sei reines Glück, dass bis jetzt grössere Unfälle ausgeblieben seien.
Im Umfeld des Schulhauses Mühlebach haben sich gemäss der Stadt während der letzten zehn Jahre keine Unfälle ereignet, bei denen ein Kind verletzt wurde. Nicht enthalten sind in dieser Statistik Streifungen oder knapp verhinderte Kollisionen.
Auf dem ersten Velo-Highway wird nicht schneller gefahren
Führt eine Veloroute wirklich zu höheren Tempi? Messungen der Stadt auf der Veloroute im Kreis 4 vor und nach Inbetriebnahme der Vorzugsroute zeigten, dass die Geschwindigkeit gleich geblieben ist. Ob sich dieser Befund auf ein Aussenquartier übertragen lässt, ist offen.
Das städtische Tiefbauamt will sich zu Fritz Kleins Einzelinitiative noch nicht äussern. Aber es ist klar, dass das Begehren, würde es wörtlich umgesetzt, den Bau von Velo-Highways enorm erschweren würde. So befinden sich im Umkreis von 50 Metern zu Velovorzugsrouten in der Stadt Zürich 30 Volksschulen und 99 Kindergärten. Klein sagt, die Stadt könnte dies zum Anlass nehmen, um ihr missglücktes Veloroutenkonzept grundsätzlich zu überarbeiten.
Anna Graff, Stadtparlamentarierin für die SP, hofft, dass die Einzelinitiative im Kantonsrat scheitert. Sie sagt: «Die Sorge um die Schulwegsicherheit ist ein Vorwand, und ich hoffe, dass die Bevölkerung dies durchschaut.» An der Kilchbergstrasse habe es in den letzten Jahren keinerlei Fussgängerunfälle mit Velos gegeben, dafür mehrere Kollisionen mit Autos.
Graff sagt: «Jetzt soll es das böse Velo sein, das Kinder gefährdet. Doch von den Autos geht nachweislich eine viel grössere Gefahr aus.» Sie weist darauf hin, dass die Stimmberechtigten die Velorouten mehrfach an der Urne angenommen haben – auch im Wahlkreis 1 und 2, in dem Wollishofen liegt.
Das Argument, dass es zu brenzligen Situationen kommen kann, wenn eine Veloroute direkt an einem Schulweg vorbeiführt, leuchtet auch Graff ein. Diese Probleme müsse man aber lokal angehen. Zum Beispiel mit sogenannten Berliner Kissen, also Fahrbahnschwellen, damit Velofahrer abbremsen müssen.
Ein solches Hindernis wollte die Stadt auch bei der Mühlebachstrasse bauen. Vor dem Schulhaus hat sie ein Betonkissen erstellt. Beim Augenschein vor Ort zeigt sich allerdings, dass diese Rampe die Velofahrer kein bisschen bremst.
Die Stadt will dies bei künftigen Projekten verbessern. Rampen würden in Zukunft «wenn immer möglich» steiler konzipiert, schreibt das Tiefbauamt auf Anfrage.