Der Stadtrat prüft den Ausbau des Nachtnetzes. Wie gross das Bedürfnis ist, ist allerdings fraglich.
Wer abends in der Stadt Zürich auf Tram oder Bus wartet, braucht mehr Geduld als letztes Jahr. Weil den Verkehrsbetrieben Zürich (VBZ) das Personal fehlt, haben sie den Fahrplan für das ganze Jahr 2024 ausgedünnt.
Konkret heisst das: Ab 20 Uhr 30 fahren alle Tramlinien und die stark frequentierten Buslinien nur noch alle 15 Minuten statt im 10-Minuten-Takt. Die Linie 15 fährt auch tagsüber nur noch jede Viertelstunde.
Gründe für den Personalmangel seien der Fachkräftemangel und mehr Wechsel bei den Mitarbeitenden, erklärte der VBZ-Direktor Marco Lüthi in einem Interview mit der NZZ. Als Kündigungsgründe würden oft Stress, Druck oder die Schichtarbeit genannt. Kurz zusammengefasst: Die Verkehrsbetriebe können ihr Angebot nicht aufrechterhalten, und Nachtarbeit ist unbeliebt.
Dennoch liebäugeln Zürcher Politiker nun mit einem Ausbau des ÖV-Angebots, der noch mehr Schichtarbeit zur Folge hätte: Die Nachtbusse in der Stadt sollen künftig nicht nur wie heute am Wochenende, sondern auch unter der Woche verkehren. Am Mittwoch hat das Parlament dem Stadtrat einen entsprechenden Vorstoss zur Prüfung überwiesen.
Die Idee kommt aus der Küche der SP. In vielen anderen europäischen Städten verkehre der öV auch wochentags in der Nacht, sagte Severin Meier. Die Vorteile lägen auf der Hand: Viele Menschen arbeiteten besonders früh oder spät, und Nachteulen seien nicht nur am Wochenende unterwegs. Es ergebe deshalb Sinn, die Ausdehnung der Randzeiten zu prüfen. Das würde auch die Stadt beleben, in der das «zwinglianische Erbe» bis heute spürbar sei.
«Kosten im Auge behalten»
Kritische Stimmen gab es nur wenige. Die Mitte mahnte, «nicht auf Vorrat» einen nächtlichen 5-Minuten-Takt einzuführen; die FDP erklärte, man müsse die Kosten im Auge behalten. Gemischte Gefühle hatte die GLP, wie Carla Reinhard sagte. Zwar begrüsse die Partei die Idee sehr. «Aber es gibt schon heute Probleme mit dem Fachkräftemangel, und man muss dann noch mehr Leute finden, die in unattraktiven Nachtschichten arbeiten.»
Schliesslich stimmten aber alle Parteien für den Vorstoss – ausser die SVP. Der SP gehe es gar nicht um die Schichtarbeiter, sagte Johann Widmer. Deren Arbeitsplätze seien mit dem öV meist schlecht zu erreichen. «Und nach der Schicht will man schnell nach Hause und nicht auf einen trümmligen Bus warten.» Personen, die nachts arbeiteten, seien mit genügend Parkplätzen besser bedient.
In einem ersten Schritt muss der Stadtrat nun Konzepte ausarbeiten, wie der öV auch nachts betrieben werden kann. Zwei Jahre hat er dafür Zeit. Der Stadtrat Michael Baumer (FDP), Vorsteher der industriellen Betriebe und damit oberster Trämler, zeigte sich im Rat zuversichtlich. Die Nachfrage nach nächtlichem öV bestehe zweifellos; und er nannte das Nachtnetz, das in den letzten zwei Jahren ausgebaut wurde, eine «Erfolgsstory».
Das Parlament renne offene Türen ein; sein Departement habe bereits eine Studie in Auftrag gegeben, um Kosten und Nutzen gegeneinander abzuwägen. Gleichzeitig räumte er ein, dass die Wirtschaftlichkeit und die unbeliebten Nachtschichten eine «Herausforderung» seien.
ZVV: Nachfrage unter der Woche deutlich kleiner
Nachtbusse auch an Werktagen sind in der Schweiz eine Seltenheit. Einzig auf der Lenzerheide fahren die Postautos in dieser Wintersaison auch unter der Woche, der Test läuft bis Mitte April. Das Angebot soll langfristig etabliert werden.
Selbst wenn der Zürcher Stadtrat zu dem Schluss kommen sollte, dass sich das Nachtnetz wochentags lohnt: Er hat nicht die Kompetenz, den Ausbau im Alleingang einzuführen, sondern muss ihn in der regionalen Verkehrskonferenz beantragen. Und es ist schliesslich der Zürcher Verkehrsverbund (ZVV), der Fahrplanänderungen prüft und dem Verkehrsrat zur Genehmigung vorlegt.
Klar ist auch: Der ZVV ist weniger euphorisch, was den Ausbau des Nachtnetzes betrifft. In seinem Strategiebericht für die Jahre 2024 bis 2027 sah der Verkehrsverbund keinen Anlass, das heutige Angebot auszubauen – weil die Nachfrage an einem Werktag nur rund 30 Prozent eines durchschnittlichen Wochenendtages betrage. «Damit kann keine wirtschaftlich vertretbare Leistung erbracht werden.»
Es gibt aber einen Hoffnungsschimmer für die Stadt. Denn im Bericht, der 2021 publiziert wurde, ist auch festgehalten: Steige das Interesse und somit auch die Wirtschaftlichkeit, könne eine Ausdehnung des Angebots wieder in Erwägung gezogen werden.