Indische Migranten klagen über Fussfesseln und dass man ihnen die Turbane weggenommen habe. Lange gehörten Inder zu den erfolgreichsten Einwanderern in die USA.
Jeder einzelne dieser Flüge hat Schlagzeilen gemacht. Die erste Militärmaschine brachte am 5. Februar die ersten hundert Inder aus den USA nach Amritsar im Gliedstaat Punjab im Nordwesten Indiens zurück. Eine Woche später flogen zwei weitere Militärmaschine denselben Flughafen an.
Die indischen Migranten, die sich illegal in den USA aufhielten, beklagten sich, sie hätten fünfzig Stunden und mehr im Flugzeug ausharren müssen. Sie hätten gefroren, und es sei ihnen kaum erlaubt gewesen, aufzustehen und sich zu strecken.
Was für gläubige Sikhs, die in Indien hauptsächlich in Punjab leben, besonders erniedrigend war: Sie mussten bei der Verhaftung ihre Turbane ablegen und durften sie erst wieder binden, als sie in Indien gelandet waren. Die langen Baumwolltücher wurden beschlagnahmt, weil sich Verzweifelte damit das Leben nehmen könnten.
Rückgeschaffte erzählen den indischen Medien nicht nur freimütig, wie sie in den USA verhaftet und interniert wurden, sondern auch, wie sie es überhaupt geschafft haben, in ein Land einzureisen, das Tausende von Kilometern entfernt liegt und für das sie keine Einreisebewilligung hatten.
Auch Mandeep Singh ging ohne Visum. Der 38-Jährige gehört zu jenen, die sich in einer der drei Militärmaschinen befanden, die im Februar rund 300 Inder in ihre Heimat zurückbrachten. Der indischen Zeitung «Tribune» erzählte er, wie er am 27. Januar nördlich vom mexikanischen Tijuana aufgegriffen wurde. Mandeep Singh bezahlte einem «Agenten» umgerechnet rund 45 000 Franken, der ihm versprach, ihn innerhalb eines Monats von Indien nach Amerika zu bringen.
Es war eine Reise mit vielen Stopps: Von Delhi flog er nach Mumbai und von dort weiter nach Nairobi. Er machte in einem Land Zwischenhalt, an das er sich nicht erinnern kann. In Amsterdam stieg er dann in ein Flugzeug nach Surinam im Nordosten Südamerikas, einst eine niederländische Kolonie. Den gefährlichen Darién-Gap zwischen Kolumbien und Panama durchquerte Singh zusammen mit anderen Migranten schliesslich zu Fuss.
Als er in Tijuana die Grenze überquerte, platzte sein Traum. Er forderte sein Geld zurück. Die Chance, dass er nur eine einzige Rupie von dem «Agenten» zurückerhält, ist gleich null. Einer der Männer, der wie Singh mit der amerikanischen Militärmaschine rückgeschafft wurde, hatte schon zwei Mal versucht, in die USA zu gelangen. Nun gehören sie zu den Verlierern.
Erfolgreich sind längst nicht mehr alle
Die Tatsache, dass Amerika viele Inder nicht will, kratzt auch am Selbstbild einer Gesellschaft, deren Mitglieder lange Zeit eine der erfolgreichsten Migrationsgruppen in den USA stellten, wenn nicht die erfolgreichste überhaupt.
In den USA leben rund fünf Millionen Amerikaner mit indischen Wurzeln. Ihr durchschnittliches Haushaltseinkommen beträgt gemäss Pew Research Center 145 000 Dollar. Das sind 45 000 Dollar mehr, als der amerikanische Durchschnitt verdient.
Die Inder kamen erst nach der Einführung der Immigration Reform Act von 1965 in grösserer Zahl nach Amerika. Dadurch wurden Visa vermehrt aufgrund von Bildung und Fähigkeiten vergeben. Im vorherigen Migrationsregime hatten Staatsangehörige aus armen Ländern wenige legale Möglichkeiten, in die USA auszuwandern. Migrationsforscher bezeichnen die Reform denn auch als Ausgangspunkt der aussergewöhnlichen Migrationsgeschichte der Inder in Amerika.
Seit 1990 gibt es zudem das H-1B-Visum. Dieses ermöglicht es amerikanischen Arbeitgebern, hochspezialisierte Fachkräfte aus dem Ausland ins Land zu holen. Von diesem Visum profitieren indische Staatsangehörige überproportional. 2024 wurden über 70 Prozent der 110 000 bewilligten H-1B-Visa an indische Fachkräfte vergeben – hauptsächlich an Computeringenieure, die nun für Amazon, Tesla oder Apple arbeiten.
In der ersten Auswanderergeneration 1965 gingen die Kinder der Oberschicht in die USA, gleichzeitig Angehörige der oberen Kasten. Ihr Status und Wohlstand ermöglichte es ihnen, an einer der wenigen guten Universitäten in Indien zu studieren. Dank der guten Ausbildung qualifizierten sie sich für ein Einreisevisum.
Bis 1980 wanderten pro Jahr im Schnitt 12 000 Inder nach Amerika aus. Die Zahlen stiegen danach allmählich an, auch, weil sich die USA bei der Vergabe von Visa an Verwandte grosszügig zeigten.
Mit der Einführung des H-1B-Visums zog schliesslich die IT-Generation nach Amerika. Indien hatte auf Druck der wachsenden Mittelschicht das Studienangebot ausgeweitet. Ein Abschluss in Ingenieurwissenschaften gilt im Land seit Generationen als besonders erstrebenswert. Indien hatte also die Ingenieure, die die USA mitten in der digitalen Revolution dringend brauchte.
Fast im Gleichschritt mit der legalen Einwanderung wuchs die Zahl jener Inder, die sich illegal in den USA aufhalten. Das amerikanische Department of Homeland Security (DHS) weist für das Jahr 1990 28 000 Inder ohne Aufenthaltsbewilligung aus. 15 Jahre später waren es bereits knapp 300 000 Personen. 2016 zählt das DHS über eine halbe Million Inder ohne rechtmässige Papiere. Untersuchungen gehen davon aus, dass viele Migranten nach Ablauf ihrer Visa nicht ausreisten.
Wie viele Inder sich heute in den USA illegal aufhalten, ist nicht klar. Die Zahlen des DHS weichen stark von Schätzungen ab. Das Pew Research Center und das Center for Migration Studies gehen von mindestens 700 000 Indern in Amerika aus, die kein gültiges Visum haben. Die amerikanische Administration führt dagegen nur noch 220 000 Inder an. Eine schlüssige Begründung für die Halbierung in weniger als zehn Jahren gibt es nicht. Experten haben deshalb auch Zweifel an den vom DHS ausgewiesenen Zahlen.
Möglich ist, dass einige in den letzten Jahren wieder nach Indien zurückgekehrt sind, freiwillig. Ausgeschafft wurden zwischen 2016 und 2024 gerade einmal 7860 Inderinnen und Inder. Das sind pro Jahr nicht einmal 1000 Personen. Diese flogen in zivilen Flugzeugen. Nun landen sie in Amritsar in amerikanischen Militärmaschinen.
In den nächsten Jahren wollen die USA mindestens 18 000 Inder ausschaffen. Während seines Besuchs in Washington Mitte Februar hat sich der indische Premierminister Narendra Modi bereit erklärt, die Staatsbürger zurückzunehmen.
18 000 von schätzungsweise 700 000 Indern? Viele sind das nicht. Ausschaffungen sind teuer und extrem aufwendig, auch, wenn sich Länder über Rückführungen einig sind. Die tiefe Quote ist für Auswanderungswillige ein Signal: Die Chance, dass man in Amerika bleiben kann, wenn man es einmal dorthin geschafft hat, ist mutmasslich gross.
Stärkerer Grenzschutz, mehr Festnahmen
Stimmen die Zahlen des Pew Research Center, stellen Bürger aus Indien in den USA nach den Mexikanern die zweitgrösste Gruppe irregulärer Migranten. Täglich greift der amerikanische Grenzschutz Inder auf. Die Zahlen sind in den letzten Jahren stark gestiegen. Und inzwischen sind es längst nicht nur allein reisende Männer, sondern ganze Familien.
Vor der Corona-Pandemie, 2019, zählte der Grenzschutz 20 000 aufgegriffene Inder. 2023 waren es knapp fünf Mal so viele. Es wird auch in den nächsten Jahren mit anhaltend hohen Zahlen gerechnet. Denn in Indien steigt der Migrationsdruck, weil es für die vielen Jungen schlicht zu wenige Arbeitsstellen gibt. Auch ist das gesellschaftliche Klima im Land, das seit über zehn Jahren der Hindu-Nationalist Modi regiert, für Sikhs, Muslime und Christen repressiver geworden.
Zudem wird der Grenzschutz unter Donald Trump stark ausgebaut. Auch das Militär patrouilliert nun an der Grenze mit dem Ziel, die irreguläre Migration einzudämmen.
Inder kommen auch aus Kanada
Ein neueres Phänomen ist, dass inzwischen auch an der Nordgrenze zu Kanada vermehrt indische Staatsbürger von den Grenzbehörden gestoppt werden. Erstaunlich ist das nicht, wenn man bedenkt, das Kanada relativ grosszügig Visa vergibt. Eine vierköpfige Familie mit Kleinkindern war erfroren, als sie im Januar 2022 aufgefunden wurde. Sie wollte bei einem aufziehenden Blizzard bei Minustemperaturen die Grenze überqueren. Der Fall sorgte nicht nur in Indien für grosses Entsetzen.