Die Teuerung in der Schweiz sinkt deutlich schneller als erwartet. Zusammen mit der schwachen Konjunktur setzt das die Nationalbank unter Zugzwang.
Stabile Preise sind im Prinzip etwas Positives. Denn die Teuerung frisst die Kaufkraft der Konsumenten weg. Im gegenwärtigen Umfeld allerdings, welches von einer starken Unsicherheit geprägt ist, gibt der rasche Rückgang der Inflation auch Anlass zur Sorge. Gemäss der jüngsten Erhebung des Bundes ist die Jahresteuerung im April auf 0,0 Prozent gesunken. Noch im März erreichte der Preisanstieg 0,3 Prozent.
Die Inflation sinkt damit in hohem Tempo, nachdem sie im Herbst erstmals unter 1 Prozent gefallen ist. Die jüngste Abschwächung ist auch stärker als von den Ökonomen erwartet. Ein vertiefter Blick in die Daten zeigt zudem, dass die Teuerungsrate schon bald in den negativen Bereich fallen könnte, wovon eine Mehrzahl der Experten derzeit ausgeht.
Denn der stärkste Preisauftrieb stammt derzeit von den Mieten mit einer Zunahme von 3,2 Prozent über die letzten zwölf Monate. Diese werden allerdings nur vierteljährlich erfasst, so dass in die April-Statistik keine neuen Werte eingeflossen sind. Klammert man die Mieten dagegen aus, so liegt die Jahresteuerung schon jetzt bei minus 0,7 Prozent.
Die tiefe Teuerung erklärt sich primär aus den Importgütern, die sich im Jahresvergleich um 2,5 Prozent verbilligt haben. Dahinter steckt einerseits der Preisabschwung bei den Erdölprodukten, welche um 8,6 Prozent günstiger geworden sind. Der zweite Faktor allerdings bereitet der Schweizer Wirtschaft und insbesondere der Schweizerischen Nationalbank (SNB) mehr Schwierigkeiten: Der Franken hat sich in den letzten Monaten stark aufgewertet. Der Euro-Kurs ist innert Jahresfrist von rund 98 auf 93 Rappen gesunken. Der Dollarkurs ging sogar noch stärker zurück, von 91 auf 82 Rappen. Die Unsicherheit, welche die neuen Zölle der amerikanischen Regierung ausgelöst haben, treibt internationale Gelder in den «sicheren Hafen» Schweiz.
Weitere Zinssenkungen zeichnen sich ab
Diese Entwicklung stellt die SNB vor ein Dilemma: Das Instrument der Devisenkäufe, mit denen sie die Aufwertung bremsen kann, setzt sie heute zurückhaltender ein als in den vergangenen Jahren. Denn diese könnten von den USA als Währungsmanipulation taxiert werden. Daher versucht die SNB primär, die Attraktivität des Frankens durch tiefe Zinsen zu verringern. Der Fall der Teuerung auf null führt nun dazu, dass eine weitere Zinssenkung wahrscheinlicher geworden ist.
Schon vor Bekanntgabe der jüngsten Inflationsdaten gingen die meisten Marktbeobachter davon aus, dass die SNB im Juni den Leitzins von derzeit 0,25 auf 0,0 Prozent reduzieren wird. Sie kann den Schritt auch damit begründen, dass sie noch im März eine Teuerung von 0,4 Prozent für das laufende Jahr prognostiziert hatte – was inzwischen als zu hoch erscheint. Ebenso sind die Renditen der zweijährigen Bundesobligationen bereits unter null gefallen.
Eine Rückkehr der unbeliebten Negativzinsen rückt damit näher. So sagt etwa der Versicherer Axa für Ende Jahr einen Leitzins von minus 0,5 Prozent voraus. Ein solches Szenario ist nicht nur für die Sparer unerfreulich. Auch die konjunkturellen Signale haben sich jüngst stark eingetrübt. Für die kommenden Monate kündigt sich nebst der negativen Inflation somit ein schwaches Wachstum an. Immerhin ist die Gefahr einer Rezession in der Schweiz deutlich geringer einzustufen als in den USA.
Frühindikatoren machen wenig Mut
Dennoch: Drei Indikatoren deuten an, dass der Wirtschaft eine anspruchsvolle Phase bevorsteht. Das KOF-Konjunkturbarometer ist im April abgesackt. Die Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich bezeichnet die Aussichten daher als «deutlich gedämpft». Vor allem für das produzierende Gewerbe sei der Trend bei sämtlichen gemessenen Aspekten negativ, ausser bei der Lagerhaltung. Dasselbe Bild zeigt der KOF-Beschäftigungsindikator, der auf den tiefsten Wert seit vier Jahren gefallen ist. Demnach wollen in den nächsten Monaten mehr Firmen ihre Belegschaft reduzieren statt ausbauen. Am negativsten ist die Einschätzung auch hier beim verarbeitenden Gewerbe sowie im Handel, beim Gastgewerbe und bei den Banken.
Nicht nur die Firmen treten auf die Bremse, sondern ebenso die Konsumenten. Laut dem jüngsten Marktmonitor der Agentur NielsenIQ ist der Schweizer Detailhandel schwach ins Jahr 2025 gestartet. Die Lage sei aufgrund der verhaltenen Konsumfreude herausfordernd, heisst es im Bericht.
Selbst ohne Eskalation des Zollkonflikts hätte die Schweizer Wirtschaft im laufenden Jahr nur ein unterdurchschnittliches Wachstum erreicht. Das Staatssekretariat für Wirtschaft rechnete ursprünglich mit einer Zunahme des Bruttoinlandprodukts (BIP) von 1,4 Prozent. Inzwischen erscheint diese Prognose als zu hoch gegriffen, wobei eine zuverlässige Schätzung der weiteren Entwicklung derzeit kaum möglich ist. Die ETH-Konjunkturforschungsstelle hat die absehbaren BIP-Verluste in einer ersten Analyse auf 0,2 bis 0,6 Prozent beziffert.
Die Entscheidungsträger navigieren derzeit auf Sicht. Obschon es vorschnell wäre, das Jahr 2025 bereits abzuschreiben: Der markante Teuerungsrückgang sowie die negativen Frühindikatoren legen den Schluss nahe, dass die Wirtschaft ihren Schwung von Anfang Jahr weitgehend verloren hat.