Über 50 Jahre lang haben in Südkorea profitorientierte Agenturen Adoptionen von Kindern ins Ausland organisiert. Wie eine Kommission nun aufgearbeitet hat, wurden dabei Kinder als Waisen ausgegeben und Dokumente gefälscht. Die Betroffenen leiden bis heute.
Südkorea hat zum ersten Mal öffentlich anerkannt, dass Adoptionsagenturen im Land über Jahrzehnte schwere Fehler gemacht haben. Um möglichst viele Kinder ins Ausland zur Adoption zu geben, haben die Agenturen unter anderem Kinder fälschlicherweise als Waisen ausgegeben und Dokumente gefälscht, wie eine Untersuchungskommission diese Woche bekanntgab.
Seit dem Ende des Koreakriegs 1953 adoptierten Ausländer mehr Kinder aus Südkorea als aus jedem anderen Land der Welt: Laut offiziellen Schätzungen mindestens 170 000 Kinder und Babys. Die meisten davon gelangten nach Amerika und Europa. Dabei wurden viele Kinder laut der Kommission Opfer eines industriellen Massenexports durch profitorientierte private Agenturen.
Eine vom Parlament eingesetzte Untersuchungskommission hat in dreijährigen Ermittlungen Menschenrechtsverletzungen in 56 Fällen festgestellt. Untersucht wurden die Fälle von 367 Personen, die als Kinder zwischen 1964 und 1999 ins Ausland geschickt wurden. Die Kommission empfiehlt der südkoreanischen Regierung, sich offiziell bei den Opfern zu entschuldigen, Entschädigungen zu sprechen und eine weiterführende Untersuchung zu starten.
Südkorea nahm Verantwortung nicht wahr
Nach dem Koreakrieg lag das Land wirtschaftlich darnieder. Um das inländische Fürsorgesystem zu entlasten, begann die Regierung, Kinder ins Ausland zu schicken. Davon profitierten private Agenturen. Ihnen oblag ab den 1960er Jahren die Registration von Waisenkindern, die Auswahl der Adoptiveltern, die juristische Bearbeitung des Prozesses und die Ausreisevorbereitungen ins Ausland.
Damit habe die Regierung ihre Aufsichtspflicht vernachlässigt und das «Fehlverhalten von Adoptivagenturen» geduldet, schreibt die Kommission in ihrem Bericht. Sie hätten Waisen betrügerisch registriert, Identitäten von Kindern manipuliert sowie Adoptiveltern nur unzureichend überprüft.
Um der Nachfrage aus dem Ausland nachzukommen, haben die Agenturen laut der Kommission jeden Monat eine fixe Zahl an Kindern zur Adoption freigegeben. Die Gebühren setzten die Agenturen eigenständig fest und verlangten zusätzlich Spenden von den Adoptivfamilien. Die Gelder nutzten die Agenturen, um weitere Kinder für Adoptionen zu finden. So wurde der Prozess in den Augen der Kommission zu einer «profitorientierten Industrie».
Ein im Untersuchungsbericht publiziertes Bild von 1984 zeigt mehrere Babys in Decken gehüllt und in Sitze geschnallt in einem Flugzeug. Der Titel der Kommission dazu lautet: «Kinder nach Übersee geschickt wie Gepäck». In einem anderen Fall starb ein laktoseintolerantes Kind auf einem Flug ins Ausland, nachdem es Milch erhalten hatte.
Gefälschte Dokumente, ausgetauschte Babys
Die Agenturen hätten oft für Adoptionen nicht die nötige Erlaubnis eingeholt, schreibt die Kommission. Und wenn Babys, noch bevor sie ins Ausland gegeben werden konnten, starben oder krank wurden, schickten sie laut der Kommission stattdessen andere Babys unter ihrem Namen.
Weil die hinterlegten Dokumente oft falsche Angaben enthalten, haben die Adoptierten bis heute Mühe, an Informationen zu ihren Geburtsfamilien zu kommen. «Diese Verstösse hätten nie passieren dürfen», sagte Park Sun Young, die Vorsitzende der Kommission. Man müsse jetzt zusammenarbeiten, um den betroffenen Personen zu helfen, Antworten zu ihrer Herkunft zu finden.
In den vergangenen Jahren hat Südkorea begonnen, den Adoptionsprozess strenger zu regulieren. Ab diesem Sommer werden alle ausländischen Adoptionen durch eine Regierungsbehörde betreut, nicht mehr durch private Agenturen. Die südkoreanische Regierung hat noch nicht offiziell auf den Bericht der Kommission reagiert, hat jedoch angekündigt, ihn genau zu studieren.
Internationale Adoptionen schärfer regulieren
Auch die Schweiz hat das Leid, das durch Adoptionen aus dem Ausland ausgelöst wurde, jüngst aufgearbeitet. Der Grundsatz, wonach bei Adoptionen das Kindswohl höher zu gewichten ist als der Kinderwunsch der Adoptiveltern, wurde hierzulande laut mehreren wissenschaftlichen Untersuchungsberichten jahrelang missachtet. Geht es nach dem Bundesrat, soll es künftig nicht mehr möglich sein, Kinder aus dem Ausland zu adoptieren. Ein entsprechendes Gesetz ist jedoch noch nicht beschlossen.
China hat 2024 Adoptionen ins Ausland verboten. Die Niederlande haben im selben Jahr ein Moratorium für internationale Adoptionen beschlossen. Dänemark hat Adoptionen aus dem Ausland 2024 gänzlich gestoppt. Belgien, Norwegen und Frankreich prüfen eine Verschärfung der entsprechenden Gesetze.