Das Management und der Verwaltungsrat wissen am besten, wie es um die Aussichten eines Unternehmens steht. Bei diversen prominenten Tech-Konzernen stossen Insider derzeit Aktien in grösserem Stil ab, unter anderem beim KI-Darling Nvidia. In der Regel ist das kein gutes Zeichen.
Die Spannung steigt: In der kommenden Woche rapportieren die Superschwergewichte aus dem Technologiesektor über den Geschäftsgang im dritten Quartal. Den Anfang macht am Dienstag der Google-Mutterkonzern Alphabet, worauf Microsoft und Meta Platforms am Mittwoch folgen. Apple und Amazon legen dann die Zahlen am Donnerstag vor.
Wie immer dürften die Abschlüsse für Emotionen sorgen. Im bisherigen Verlauf der Berichtssaison fehlt es nicht an markanten Kursausschlägen. Während ASML und IBM enttäuscht haben, werden die Nachrichten von SAP, TSMC, Tesla, Netflix und Lam Research freundlich aufgenommen.
Die Kursreaktion kann gute Anhaltspunkte zur Markteinschätzung der Unternehmensergebnisse geben. Angesichts der wilden Spekulation mit Optionen, die Kursschwankungen tendenziell verstärkt, ist die Signalwirkung aber möglicherweise etwas verlorengegangen. Wichtig ist deshalb auch, den generellen Trend hinsichtlich der fundamentalen Entwicklung im Auge zu behalten.
In den vergangenen Quartalen konnten Tech-Konzerne über eine deutliche Beschleunigung des Gewinnwachstums berichten. Doch die Dynamik schwächt sich ab. Für das zweite Halbjahr rechnen Analysten für die Unternehmen im IT-Sektor des S&P 500 mit einer Ergebnisverbesserung von rund 15%, nach 27% respektive 21% in den ersten beiden Quartalen.
Auffällige Insidertransaktionen
Das Tempo ist damit zwar weiterhin ansprechend, und die Analysten können ihre Prognosen natürlich auch nach oben anpassen. Wichtiger an der Börse ist jedoch, in welche Richtung sich die Dinge verändern und vor allem wie schnell. Entscheidend ist ebenso, auf welchem Niveau sich die Bewertungen bewegen.
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass sich Verkäufe von prominenten Insidern im Tech-Sektor häufen. Jensen Huang beispielsweise, der CEO und Gründer von Nvidia, hat gemäss der Researchplattform Insiderviz zwischen Mitte Juni bis Mitte September Aktien im Wert von über 713 Mio. $ zu einem Durchschnittspreis von knapp 119 $ verkauft. Derzeit bewegt sich der Kurs um 140 $.
Huang hält damit zwar weiterhin rund 3,5% an Nvidia. Auch wurden seine Transaktionen in einer regulatorischen Meldung zu Insider-Verkäufen im Voraus angekündigt. Doch obschon sein sogenannter «Trading Plan» noch bis März 2025 gelaufen wäre, hat er nun bereits sämtliche zugeteilten Aktien ein halbes Jahr vor Ablauf der Frist abgestossen.
Dass Huang im Rahmen seiner Vergütung als CEO regelmässig Titel veräussert, ist zwar bekannt. In der Vergangenheit hat er aber auch schon Aktien seines Unternehmens am Markt gekauft – das letzte Mal in grösserem Stil auf dem Tief vom Herbst 2022, womit er ein gutes Timing bewiesen hat. Auffällig ist ausserdem, dass weitere Nvidia-Insider in den letzten Wochen Titel abgestossen haben, darunter die Verwaltungsräte Tench Coxe und Mark Stevens für insgesamt 236 bzw. 61 Mio. $ sowie Finanzchefin Colette Kress für 15,7 Mio. $.
Verkaufsmeldungen von Insidern sind gegenwärtig auch bei anderen Tech-Konzernen ein Thema. Michael Dell etwa hat einen substanziellen Teil seiner Aktien am IT-Ausrüster Dell Technologies verkauft. Gegen Ende September hat er eine Transaktion im Umfang von rund 1,2 Mrd. $ abgewickelt, nachdem er in der zweiten Hälfte des Monats bereits Titel zum selben Betrag veräusserte. Hinzu kommen weitere Verkäufe von mehr als 2,1 Mrd. $ im ersten Halbjahr 2024. Seit Ende 2023 hat sich seine Beteiligung an Dell damit von 52 auf 45,6% reduziert.
Kasse gemacht hat ebenso Peter Thiel. Der Mitbegründer von Palantir Technologies hat Anfang Oktober Veräusserungen im Umfang von mehr als 1 Mrd. $ offengelegt. Dies, nachdem er bereits im früheren Jahresverlauf Aktien im Wert von rund 400 Mio. $ verkauft hatte. Sein Anteil am Spezialisten für Analysesoftware hat sich dadurch von über 6,8 auf weniger als 4,5% verringert. Wie bei Nvidia-Chef Huang wurden die Transaktionen im Rahmen eines «Trading Plan» vollzogen, der aber erst Ende 2025 abgelaufen wäre und bereits jetzt vollständig ausgeschöpft ist.
Die Liste der Insiderverkäufe bei Tech-Konzernen lässt sich beliebig erweitern: Von Broadcom und Arista Networks über Palo Alto Networks bis hin zu Adobe wurden grössere Transaktionen bekanntgeben. Diese Woche hat Netflix-Gründer Reed Hastings gemeldet, dass er seit August für annähernd 190 Mio. $ Aktien des Streamingdiensts verkauft hat.
Mit Jeff Bezos bei Amazon (8,5 Mrd. $) und Mark Zuckerberg bei Meta Platforms (430 Mio. $) haben ebenso die Gründer von zwei der grössten Tech-Unternehmen beträchtliche Tranchen früher im Jahr abgestossen. Bezos hat überdies angekündigt, dass er weitere 25 Mio. Titel abstossen will, die zum aktuellen Kurs einen Wert von knapp 3,2 Mrd. $ haben.
Ungute Erinnerungen an die letzte Verkaufswelle
Einzelne Verkäufe von Insidern müssen kein Warnzeichen sein. Manchmal haben die Gründe dafür nichts mit dem Geschäftsgang zu tun, beispielsweise bei anfallenden Steuern, bei einer Scheidung oder beim Erwerb einer Liegenschaft. Auch hängen Managementtransaktionen nicht selten mit einer im Voraus geplanten Einlösung von Optionen im Rahmen von Vergütungsprogrammen zusammen, die bei Tech-Konzernen besonders beliebt sind.
Dass Meldungen von Insider-Verkäufen im Tech-Sektor deutlich zunehmen, weckt jedoch ungute Erinnerungen an die Häufung solcher Transaktionen gegen Ende 2021. Auch damals stiessen führende Persönlichkeiten aus der Branche wie Bezos, Zuckerberg, Huang, Elon Musk oder Oracle-Gründer Larry Ellison in bedeutendem Umfang Aktien ab, worauf wenig später der Bärenmarkt von 2022 begann.
Die Bewertungen im Tech-Sektor und an den US-Börsen sind gegenwärtig zudem generell anspruchsvoll. Der Leitindex S&P 500 hat letzte Woche ein Rekordhoch markiert und handelt auf Basis der Gewinnschätzungen für die nächsten zwölf Monate zum Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von fast 23. Der Nasdaq 100 mit den grössten Technologiewerten ist zum KGV von über 27 im historischen Vergleich ebenfalls teuer.
Zu denken gibt vor diesem Hintergrund, dass zugleich Aktienkäufe von Insidern rückläufig sind. Gemäss dem Researchdienst Washington Service haben Mitglieder aus der Geschäftsleitung und aus dem Verwaltungsrat in den ersten neun Monaten des Jahres insgesamt lediglich rund 2,3 Mrd. $ an Aktien ihrer Unternehmen gekauft. Im Vergleichszeitraum entspricht das dem geringsten Volumen seit 2014.
Ein ähnlicher Trend geht aus Daten zu Insider-Transaktionen hervor, die das Anlegermagazin «Barron’s» regelmässig publiziert. Demnach beträgt sich das Verhältnis zwischen Käufen und Verkäufen an den amerikanischen Aktienmärkten derzeit 41. Werte unter zwölf gelten als positiv für die Aussichten an den Börsen, Werte über zwanzig sind ein negatives Zeichen.
In auffälliger Diskrepanz dazu steht, dass Aktienrückkaufprogramme bei vielen Unternehmen auf Hochtouren laufen. Gemäss dem Analysedienst EPFR haben amerikanische Konzerne von Anfang Jahr bis Mitte Oktober Rückkäufe eigener Titel im Umfang von 1,1 Bio. $ angekündigt. Im Vergleichszeitraum vor einem Jahr waren es weniger als 950 Mio. $. Hält der Trend an, wird 2024 ein neuer Rekord resultieren.
Etwas pointiert gesagt: Während die Entscheidungsträger in den Chefetagen von Corporate America ihr Exposure reduzieren, drehen sie ihre Titel auf Kosten der Publikumsaktionäre dem eigenen Unternehmen an.