Erstmals musste Frankreich höhere Zinsen zahlen als Griechenland, um Schulden aufzunehmen. Eine neue Euro-Krise steht nicht bevor, doch die wirtschaftlichen Aussichten für das Land stehen schlecht.
Frankreichs Premierminister Michel Barnier wusste, dass es schwierig wird, seinen Budgetvorschlag für 2025 durch die Nationalversammlung zu bringen. Seine Minderheitsregierung könnte schon nächste Woche vor dem Aus stehen. Ihr Schicksal liegt in den Händen der Partei von Marine Le Pen, dem Rassemblement national (RN). Die Rechtspopulisten bilden als Einzelpartei den grössten homogenen Wahlblock im Parlament.
Le Pen drohte diese Woche mit einem Misstrauensantrag gegen das Staatsbudget. Kommt sie damit durch, ist es das Ende der Regierung. Barnier konterte im französischen Fernsehen und warnte vor einem «Sturm» und «schweren Turbulenzen» an den Finanzmärkten, falls das Haushaltsbudget scheitert und seine Regierung falle.
Gleich risikobehaftet wie Griechenland
Die Anleihenmärkte reagierten heftig. Französische Staatsanleihen verloren an Wert, die Zinsen auf zehnjährigen Schuldpapieren schnellten auf 3,02 Prozent hoch. Kurzzeitig lagen sie sogar einen Basispunkt höher als griechische Anleihen. Frankreich musste also mehr Zins zahlen als Griechenland, um sich zu verschulden.
Die Renditen fielen am Freitag wieder unter drei Prozent und damit unter jene Griechenlands. Es war aber ein temporärer Ausreisser mit hoher Symbolkraft: Vor weniger als 20 Jahren war Griechenland das finanzpolitische Schlusslicht Europas. Nun stand es vor Frankreich.
Die Episode lässt sich nicht schönreden: Der jähe Zinsanstieg ist Ausdruck des verlorenen Vertrauens der Investoren in den französischen Staat als Schuldner. Je höher die Zinsen, desto grösser das wahrgenommene Risiko.
Frankreich ist nun also gleich risikobehaftet wie Griechenland. Die Anleger entziehen aber auch französischen Aktien das Vertrauen: Der Leitindex CAC-40 hat in den letzten sechs Monaten zehn Prozent verloren und weist die schlechteste Performance in Europa aus – andere Börsen verzeichnen Rekordstände.
Kein Interesse, die Märkte zu beruhigen
Die Rating-Agentur Moody’s hat zudem den Ausblick für Frankreichs Kreditwürdigkeit auf «negativ» gesenkt. Weitere Abstufungen dürften folgen. Zinsausschläge sollten Politiker eigentlich zur Vernunft bringen – doch weder Barnier noch Le Pen haben ein Interesse, die Märkte zu beruhigen. Für Barnier sind die Marktsignale ein Druckmittel, um das Budget durchzubringen. Le Pen können die Verwerfungen egal sein, solange ihre Partei nicht an der Macht ist.
Damit das Haushaltspaket eine Chance hat, hat Barnier dem Druck der Opposition teilweise nachgegeben: Die Regierung hat die Erhöhung einer Elektrizitätssteuer fallengelassen. Das öffnet Tür und Tor für weitere Forderungen des RN: So soll Barnier die Reduktion von Rückerstattungen bei Medikamenten aufgeben, mehr Unterstützung für KMU sprechen sowie die Renten an die Inflation koppeln.
Das kommt bei den inflationsgeplagten RN-Wählern gut an. Sie kosten aber viel Geld, das Frankreich nicht hat. Für das laufende Jahr dürfte das Haushaltsdefizit bei über 6 Prozent des Bruttoinlandprodukts stehen, doppelt so hoch wie der EU-Zielwert von 3 Prozent. Sowohl der RN als auch die EU-Vorgaben schränken Barniers Handlungsfähigkeit ein.
Aufstieg Griechenlands, Abstieg Frankreichs
Kreditkosten um 3 Prozent bedeuten für Frankreich keine akute Schuldenkrise, wie sie Griechenland erlebte. Auf dem Höhepunkt der Euro-Krise im März 2012 standen die Zinsen für griechische Bonds bei rund 40 Prozent.
Finanzminister Antoine Armand hat zwar recht, wenn er sagt, Frankreich sei mit seiner wirtschaftlichen und demografischen Stärke nicht mit Griechenland zu vergleichen. Doch er übersieht, dass Griechenland nicht mehr das Griechenland der Euro-Krise ist.
Seit der von der EU konzertierten Rettungsaktion hat sich die griechische Wirtschaft deutlich erholt – auch dank drakonischen Sparmassnahmen. Die Renditen griechischer Anleihen sind seither deutlich gesunken. Letztes Jahr wurde die Kreditwürdigkeit Athens zum ersten Mal auf Investment Grade angehoben.
Die Annäherung der französischen und griechischen Anleihenrenditen stehen somit nicht nur für den Aufstieg Griechenlands, sondern vor allem auch für den Abstieg Frankreichs in Europas finanzielle Peripherie.