Der 94-Jährige will Ende Jahr den Chefposten bei Berkshire Hathaway an Greg Abel abgeben. «Ich werde weiterhin herumhängen», beruhigt er seine Fans.
Die Bombe liess Warren Buffett erst zum Schluss platzen. An der 60. Generalversammlung seiner Versicherungs- und Investmentfirma Berkshire Hathaway gab er am Samstag bekannt, per Ende Jahr als CEO zurückzutreten. «Ich werde weiterhin herumhängen und es ist denkbar, dass ich in einigen Fällen nützlich sein könnte», ergänzte Buffett trocken. Er machte aber klar, dass sein designierter Nachfolger, Greg Abel, künftig die Entscheide treffen werde.
Tausende Aktionäre im CHI Health Center in Omaha sprangen von ihren Sitzen auf und applaudierten Buffett minutenlang; ihre Gesichter verrieten Dankbarkeit und Wehmut. Alle wussten: Sie erlebten hier das Ende einer Ära, die grossen Reichtum brachte – sowohl Berkshire Hathaway, dem wohl unkonventionellsten Unternehmen des Landes, als auch Amerika schlechthin.
Der Buddha des Kapitalismus
Buffett kündigte seinen Rücktritt überraschend an; nicht einmal Greg Abel selbst, der während der ganzen Veranstaltung neben ihm sass, soll davon gewusst haben. Aber natürlich rechnete die Welt schon lange damit, dass der 94-jährige Patron nicht für immer an der Spitze des Unternehmens stehen würde, das er zu einem der zehn grössten der Welt gemacht hat.
Zuvor hatte Buffett trotz seinem hohen Alter noch einmal gewohnt schlagfertig durch die Generalversammlung geführt, die in der Unternehmenswelt ihresgleichen sucht. Das liegt vor allem an Buffett selbst. Wie ein Buddha des Kapitalismus sitzt er auf dem Podium, vor sich zwei Dosen Cherry Cola, und beantwortet fast fünf Stunden lang die grossen Fragen des Lebens und Investierens, die ihm seine Aktionäre stellen: Muss man als Investor immer geduldig sein? Wie werden autonome Fahrzeuge das Autoversicherungsgeschäft umkrempeln? Und was hätte Buffett Benjamin Franklin 1776 gesagt, wenn er ihn bei der Gründung der USA hätte beraten können?
Die Aufmerksamkeit für Buffetts Kommentare war in diesem Jahr auch deshalb besonders gross, weil die Lage der amerikanischen (Wirtschafts)nation sehr ungewiss scheint, seit Donald Trump seinen grossen Handelsstreit mit dem Ausland lanciert hat.
Bodenständiger Anti-Trump
Buffett und Trump sind beides Unternehmer und profitierten auf ihre Weise von der Weltordnung, wie sie Amerika nach dem Zweiten Weltkrieg hervorgebracht hatte. Beide hatten einen guten Start ins Leben und nutzten ihr jeweiliges Talent und etwas Glück, um enormen Reichtum und Einfluss zu erlangen.
Aber sie taten dies auf sehr unterschiedliche Art. Buffett investierte zeitlebens in unterbewertete und möglichst solide Unternehmen, deren Geschäft er zu verstehen versuchte. Über sechs Jahrzehnte entwickelte er aus Berkshire Hathaway, dank dem Zinseszins-Effekt und dem enormen Wohlstandszuwachs in den USA, ein Unternehmen mit einem Marktwert von mehr als einer Billion Dollar.
Buffett hatte viel Glück im Leben und gibt das gerne zu. Donald Trump, der sein Geld und seinen Ruhm als Immobilienentwickler und später als Fernsehstar erlangt hat, wird dagegen nicht müde, seine eigene Genialität zu preisen. Anders als Buffett sieht er die Pax Americana, vor allem die zweite Hälfte seit 1990, nicht als Erfolgsgeschichte, sondern als Zeit des Niedergangs, in der die USA vom Ausland ausgeraubt und erniedrigt worden sei. Der frühere Immobilien-Tycoon sieht Verhandlungen als Nullsummenspiel – bei dem einer gewinnt und ein anderer verliert.
Buffett glaubt an die USA
Obwohl Buffett und Trump sich unähnlicher nicht sein könnten, sind sie sich in einem Punkt einig: Gegen die USA zu wetten lohnt sich nicht. Der Berkshire-Chef, der viel Geld in amerikanische Staatsanleihen investiert hat, wollte an diesem Samstag nichts davon wissen, dass die USA dem wirtschaftlichen Untergang geweiht seien. «Würde ich heute geboren», witzelte er, «ich würde so lange verhandeln, bis sie mir sagten, dass ich in die USA komme. Wir alle hier haben viel Glück.»
Und über die Marktschwankungen seit Trumps Amtsantritt sagte er: «Das ist nichts». Der Aktienkurs von Berkshire Hathaway sei schon dreimal um 50 Prozent oder mehr gefallen. Wer im Aktienmarkt investiere, müsse solche Schwankungen von 15 Prozent aushalten. «Die Welt wird sich nicht dir anpassen. Du musst dich ihr anpassen.»
Buffett äussert sich an der Generalversammlung nie zur Tagespolitik; auch diesmal nahm er während der ganzen viereinhalb Stunden den Namen des Präsidenten nicht in den Mund. Trumps Handelspolitik hat aber derart grosse wirtschaftliche Auswirkungen, dass der 94-Jährige um einige generelle Bemerkungen nicht herumkam.
Buffett kritisierte dabei Trumps Zölle und die Art und Weise, wie dieser mit den Verbündeten umspringt: Häme sei seitens des Stärkeren nicht angebracht. «Handel sollte nicht als Waffe eingesetzt werden», fuhr er fort. Auch Trumps Glaube, dass Handel ein Nullsummenspiel sei, teilt Buffett nicht: «Wenn der Rest der Welt wohlhabender wird, geschieht das nicht auf unsere Kosten.»
Auch die hohe Staatsverschuldung der USA, ein Lieblingsthema von Buffett, wurde thematisiert. «Ich kann das Defizit in 5 Minuten beseitigen», hatte Buffett 2011 in einem Interview mit CNBC gesagt. Man müsse bloss ein Gesetz verabschieden, wonach kein Kongressabgeordneter zur Wiederwahl zugelassen werde, wenn das Budgetdefizit mehr als drei Prozent des BIP betrage.
Heute erreicht das Budgetdefizit der USA sogar fast 7 Prozent und die meisten Parlamentarier leben ganz gut damit. Buffetts Kritik ist derweil nicht leiser geworden. Er fürchtet – wie viele Beobachter und Anleger – um die langfristige Stabilität des US-Dollar, der in den vergangenen Wochen deutlich an Wert verloren hat. «Es ist das natürliche Vorgehen einer Regierung, die Währung abzuwerten», sagte Buffett, und es sei sehr schwierig, Vorkehrungen dagegen zu treffen.
So viel Cash wie noch nie
Berkshire Hathaway wäre derweil bereit für den nächsten Crash. Das Unternehmen hat im vergangenen Geschäftsjahr Unmengen an Apple-Aktien verkauft und hält nun mehr als 340 Milliarden Dollar in Cash oder in kurz laufenden amerikanischen Staatsanleihen. Berkshire hat jüngst zwar bekanntgegeben, die Investitionen in fünf japanische Handelshäuser erhöht zu haben. Der Berg an Cash ist damit aber nur unwesentlich geschrumpft. Noch immer warten Anleger weltweit, die Buffett gerne kopieren, auf das nächste grosse Investment des Altmeisters.
Buffett musste sie enttäuschen. Man betreibe ein Geschäft, das stark von wenigen Gelegenheiten abhänge. «Es ist eine Schatzsuche. Manchmal findet man etwas, vielleicht morgen, oder in fünf Jahren.» Dann müsse man bereit sein. Doch sei es sehr unwahrscheinlich, dass sich diese Gelegenheit genau morgen ereignen werde.
Der 94-Jährige war an der Generalversammlung zwar nicht mehr so gut zu Fuss wie früher, aber fast so präsent und gewitzt wie eh. Als die stehende Ovation kein Ende nehmen wollte, sagte Buffett: Der Enthusiasmus, der durch diese Antwort ausgedrückt wird, kann auf zwei Arten interpretiert werden – aber ich nehme es gerne!» Buffett bedankte sich, stand auf, lief bedächtig von der Bühne und verschwand hinter einem grossen blauen Vorhang.