Der Anschlag auf den Hamas-Führer in Teheran bestimmt die Agenda des Präsidenten. Eine Annäherung an den Westen erscheint noch unwahrscheinlicher als zuvor. Derweil gibt es neue Theorien davon, wie Haniya getötet wurde.
Masud Pezeshkian hat sich seine ersten Tage als Präsident gewiss anders vorgestellt. Statt sich in Ruhe der Bildung seines Kabinetts zu widmen, wurde er früh am Morgen nach Amtsantritt mit der Nachricht geweckt, dass der Hamas-Führer Ismail Haniya in Teheran getötet worden sei. Nur Stunden zuvor hatte Pezeshkian den Palästinenser als Ehrengast zu seiner Vereidigung im Parlament begrüsst. Später zeigten Fotos den Politbürochef der Hamas lächelnd auf dem Sofa bei Irans Revolutionsführer Ayatollah Ali Khamenei.
Die Tötung Haniyas überschattet nicht nur den Amtsantritt Pezeshkians, sondern dürfte auch seine Agenda bestimmen. Eigentlich war der Kandidat des Reformlagers mit dem Versprechen angetreten, sich für eine Verbesserung des Verhältnisses zum Westen einzusetzen. Dies steht nun aber stark infrage – nicht mehr nur, weil sein Handlungsspielraum begrenzt ist, da in der Islamischen Republik der Revolutionsführer die Leitlinien der Aussenpolitik bestimmt.
Nach dem Anschlag auf Haniya wählte Präsident Pezeshkian markige Worte und meinte drohend, das «terroristische Besatzungsregime» werde seine Tat bereuen. Bei der Trauerfeier für Haniya an der Universität von Teheran stand der Präsident direkt neben Khamenei, der persönlich das Gebet für den getöteten Hamas-Führer leitete. Auch sonst demonstrierte Irans Führung Geschlossenheit und drohte, dass sie für die Tötung ihres Gasts durch Israel direkte und harte Vergeltung üben werde.
Gegenüber Israel tritt Pezeshkian als Hardliner auf
Eine Abkehr vom antiisraelischen Kurs war unter Pezeshkian nie zu erwarten. Obwohl er dem politischen Lager der Eslahtaleban (Reformer) zugerechnet wird und einen Dialog mit dem Westen befürwortet, unterscheidet sich seine Position zu Israel kaum von jener der Hardliner. Der Veteran des Iran-Irak-Kriegs unterhält gute Beziehungen zu den Revolutionswächtern. Nach seinem Wahlsieg am 6. Juli bekräftigte er Irans Unterstützung für den Widerstand «gegen die kriminelle Politik des illegitimen zionistischen Regimes».
Nun droht eine weitere Verschärfung der Konfrontation. Die Tötung Haniyas in Teheran in Gegenwart anderer Staatsgäste ist nicht nur eine Demütigung des Regimes, sondern erscheint auch als gezielte Provokation. Die israelische Zeitung «Haaretz» warf angesichts des Ortes und des Zeitpunkts des Anschlags die Frage auf, ob Israel damit bewusst eine Eskalation habe provozieren wollen, um auch die USA in einen grösseren Krieg mit Teheran hineinzuziehen.
Dass es Israel gelang, den Ehrengast während seines Aufenthalts im hoch gesicherten Gästehaus des Präsidenten im Norden Teherans zu ermorden, offenbart erhebliche Schwächen des iranischen Geheimdiensts. Ganz überraschend ist dies freilich nicht. Schon lange gibt es Berichte, dass Irans Sicherheitsapparat von Israel infiltriert sei. So meinte der frühere Geheimdienstminister Ali Yunesi schon vor drei Jahren warnend, die Sicherheit der iranischen Führung sei ernsthaft gefährdet.
Wurde Haniya mit einer Bombe oder einer Drohne getötet?
Wie der Anschlag auf Haniya erfolgte, ist weiterhin Gegenstand von Spekulationen. Die «New York Times» berichtete am Donnerstag unter Berufung auf iranische Regierungsvertreter, er sei Opfer einer vor rund zwei Monaten in seinem Zimmer versteckten Bombe geworden. Unklar blieb dabei, wie der Sprengsatz in das Zimmer gelangte, warum er nicht entdeckt wurde und wie die Agenten bereits vor Monaten gewusst haben können, dass Haniya in dem Zimmer schlafen würde.
Eine weitere These ist, dass Haniya von einer kleinen, mit Sprengstoff präparierten Quadcopter-Drohne getötet wurde, die von aussen in sein Zimmer gesteuert wurde. Dies wurde der NZZ von zwei zuverlässigen Quellen berichtet. Auch das Nahost-Portal «Amwaj» vertrat diese These. Das Gästehaus in Saadabad liegt am Rand des Elburs-Gebirges im Norden Teherans. Es erscheint durchaus möglich, dass von dem nördlich angrenzenden Berghang eine Drohne lanciert wurde.
Weniger plausibel erscheint dagegen die These, dass Haniya von einer von ausserhalb Irans abgefeuerten Rakete getroffen wurde. Mehrere Medien hatten dies unter Berufung auf Quellen im Regime berichtet. Von der NZZ verifizierte Fotos des Gästehauses zeigen aber nur begrenzte äussere Schäden am Gebäude, was nicht auf einen Raketeneinschlag hindeutet. In jedem Fall ist Vorsicht geboten: Es ist nicht auszuschliessen, dass die Quellen ihre eigene Agenda verfolgen, wenn sie von einer Bombe, einer Drohne oder einer Rakete berichten.
Pezeshkian beruft Zarif zu seinem Stellvertreter
Es bleibt vorerst offen, wie das iranische Regime auf die Tötung Haniyas reagieren wird. Die «New York Times» berichtete unter Berufung auf Quellen in der Regierung, Khamenei habe am Mittwoch bei einer Sitzung des Rats für nationale Sicherheit einen Angriff auf Israel angeordnet. Das iranische Exil-Medium «Iran Wire» schrieb dagegen, eine solche Entscheidung sei noch nicht getroffen worden. Auch ein Angriff auf eine israelische Botschaft im Ausland sei denkbar.
Pezeshkian bemühte sich derweil, sein eigenes aussenpolitisches Programm nicht ganz aus den Augen zu verlieren. Zum Schweizer Nationalfeiertag am 1. August pries er in einer Botschaft an die Bundespräsidentin Viola Amherd die freundschaftlichen Beziehungen und äusserte die Hoffnung, die Kooperation zu verstärken. Die Schweizer Botschaft spielt eine wichtige Rolle in Teheran, da sie seit der iranischen Revolution 1979 die Beziehungen der USA vertritt.
Mit der Ernennung des früheren Aussenministers Mohammed Javad Zarif als sein Stellvertreter für strategische Fragen setzte Pezeshkian zudem ein klares Zeichen für Dialog mit dem Westen. Zarif war führend bei der Aushandlung des Atomabkommens von 2015 beteiligt. Er könnte Pezeshkian helfen, den Atomstreit zu entschärfen, um die schmerzhaften Sanktionen loszuwerden. Als seinen ersten Vizepräsidenten wählte er den Reformer Mohammed Reza Aref. Seine erste Auslandsreise führte Aref am Freitag allerdings nicht gen Westen – sondern zur Beisetzung von Haniya nach Katar.