Die BKW habe Druck ausgeübt, um die negativen Auswirkungen eines Projekts im Berner Oberland auf die Wildtiere zu vertuschen. Das wirft dem Energiekonzern ein von ihm beauftragtes Umweltbüro vor.
Die Bedenken gegen ein alpines Solarkraftwerk kommen für einmal von ungewohnter Seite. Es sind von der BKW selber eingesetzte Gutachter, die dem Stromkonzern massive Vorwürfe machen. Die BKW soll die Behörden im Zusammenhang mit der alpinen Solaranlage Tschingel bei Schattenhalb im Berner Oberland irregeführt und getäuscht haben. Diese Beschuldigung erhebt ein Beratungsbüro in einem Brief an den Berner Regierungsrat Christoph Ammann. Die NZZ erhielt das Schreiben vom 17. Januar gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz.
In der Kontroverse geht es um die Frage, wie stark die Wildtiere durch den Bau und Betrieb der Photovoltaik-Anlage betroffen sind, die die BKW im Jagdbanngebiet Schwarzhorn errichten will – und welche Ausgleichs- und Ersatzmassnahmen die Energieversorgerin ergreifen muss, um die Umweltschäden zu kompensieren. Das Umweltbüro führte im Auftrag der BKW Energie AG verschiedene Erhebungen und Berichte zu Wildtieren durch.
Da es sich um eine sensible Landschaft handelt, spielt es eine entscheidende Rolle, wie der sogenannte Umweltverträglichkeitsbericht (UVB) ausfällt. Je stärker die Beeinträchtigungen für die Wildtiere sind, umso mehr aufwendige Massnahmen muss der Energiekonzern ergreifen. Im Dezember 2024 hat die BKW den Bericht beim zuständigen Regierungsstatthalteramt Interlaken-Oberhasli eingereicht. Gemäss dem Büro, das für Erhebungen im Zusammenhang mit Wildtieren verantwortlich war, hat das Unternehmen dabei getrickst.
Im Bericht «wurden relevante Resultate und Angaben zu den Wildtieren von der BKW oder des von ihr beauftragten UVB-Verfassers gelöscht, zugunsten des Bauprojekts geschönt oder in falschem Zusammenhang missverständlich wiedergegeben», heisst es im Schreiben an den Berner Energie- und Umweltdirektor. So würden unter anderem geschützte und auf der roten Liste befindliche Tierarten im Bericht unterschlagen. Arten wie Schneehuhn, Bartgeier, Steinadler und Luchs seien im Bericht schlicht weggelassen worden.
Schutzwirkung der Anlage «frei erfunden»
Auch sei die Bedeutung des Anlagen-Standorts als Lebensraum für Gemsen und Hirsche bewusst abgeschwächt worden. Sogar als «frei erfunden» bezeichnen die Biologen im Brief die von der BKW behauptete Schutzwirkung der Anlage für gewisse Tierarten. Dies sei im finalen Bericht hinzugefügt worden, obwohl diese Schlussfolgerung wildbiologisch nicht haltbar sei. Im Bericht sind denn auch keine Ausgleichs- und Ersatzmassnahmen für die aufgeführten Arten geplant – entgegen der Empfehlung der Fachexperten.
Auch die Methoden, mit denen der Energiekonzern angeblich zu den erwünschten Resultaten gekommen ist, prangert das Umweltbüro im Schreiben an den Regierungsrat an. «Wir und weitere am UVB Beteiligte wurden von der BKW unter Druck gesetzt, unsere Berichte in deren Sinn anzupassen, Inhalte nicht wiederzugeben oder stark abzuschwächen.» Konkret hätten die BKW-Verantwortlichen angedroht, dass die Rechnung für die Aufwände nur bezahlt würde, «wenn die Aussagen im Bericht entsprechend angepasst würden». So sei die Rechnung für das durchgeführte Wildkamera-Monitoring noch ausstehend, heisst es im Schreiben.
Das Umweltbüro betont in seinem Schreiben, dass man nicht an die Berner Regierung gelange, um das Projekt zu verhindern. Vielmehr gehe es darum, eine transparente Darstellung der Ausgangslage sicherzustellen und zu gewährleisten, dass die Berner Regierung das Projekt sachgemäss beurteilen könne. Auch wolle man verhindern, dass das Büro selber durch die oben geschilderten Mängel im Bericht in Verruf geraten könnte.
Die Wirtschafts-, Energie- und Umweltdirektion des Kantons Bern (WEU) will sich inhaltlich nicht zum Konflikt äussern. Sprecherin Susanna Regli bestätigt aber, dass der Regierungsrat Christoph Ammann Hinweise auf Unstimmigkeiten im UVB erhalten habe. Da es sich um Arbeiten im Auftrag der BKW handelte, habe die Direktion umgehend die BKW informiert und sie zu Abklärungen aufgefordert.
Gutachten entlastet BKW
Die harschen Vorwürfe des Umweltbüros haben die BKW in Aufruhr versetzt. Der Sprecher Philipp Mäder erklärt auf Anfrage, das Unternehmen habe nach Kenntnisnahme der Vorwürfe am 17. Januar eine interne Untersuchung gestartet, um sich ein Bild über den Sachverhalt zu verschaffen. Einige Tage später habe das Unternehmen zudem die Anwaltskanzlei Baker McKenzie beauftragt, um von unabhängiger Stelle die Vorwürfe zu untersuchen. Dazu seien sämtliche relevanten Unterlagen ausgewertet und die Projektmitarbeitenden der BKW befragt worden. Überdies habe man die Behörden angewiesen, den UVB vorläufig nicht zu verwenden.
Im Gutachten, das erst im Entwurf vorliegt, kommt Baker McKenzie zum Schluss, dass es nicht zutreffe, dass wesentliche Inhalte des UVB irreführend und täuschend seien. Auch seien die am Bericht beteiligten Umweltbüros nicht unter Druck gesetzt worden. Allerdings haben die Anwälte in den Entwürfen Kommentare von BKW-Mitarbeitenden festgestellt, die «unangemessen und unsachlich» seien. Diese Kommentare hätten das Gesamtergebnis des Berichts jedoch nicht in relevanter Weise beeinflusst.
Der Vorwurf, dass die BKW gedroht habe, ihre Rechnungen nicht zu bezahlen, falls der Bericht nicht im Sinne der BKW angepasst würde, entbehrt laut Baker McKenzie jeglicher Grundlage. Vielmehr habe das Beratungsbüro seine vertraglichen Verpflichtungen gegenüber dem Auftraggeber BKW verletzt. Das Umweltbüro habe sich geweigert, seinen Bericht mit der BKW zu besprechen, und stattdessen mit dem Schreiben an Regierungsrat Christoph Ammann die Eskalation gesucht.
Prestigeprojekt gefährdet
Beim Kraftwerk mit einer erwarteten Jahresproduktion von 14 Gigawattstunden handelt es sich um ein Prestigeprojekt der BKW. Als eines von wenigen Vorhaben aus dem mit grossen Erwartungen gestarteten alpinen Solarexpress hatte Tschingel trotz schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bisher gute Realisierungschancen.
Sowohl die Alpgenossenschaft Grindel als Landbesitzerin wie auch die Gemeinde Schattenhalb haben der 9 Hektaren grossen Anlage bereits zugestimmt. Zahlreiche andere Projekte in der ganzen Schweiz sind am Widerstand der Standortgemeinden gescheitert. Die BKW hat das Baugesuch im Mai 2024 eingereicht.
Auch für die Kreise, die das Projekt bekämpfen, geht es um viel. Als «Perle unter den Berner Oberländer Alpentälern» bezeichneten vier Organisationen aus dem Haslital im März 2024 das Reichenbachtal, wo die Anlage zu stehen kommen soll. Die SAC-Oberhasli, Haslital Tourismus, die Jungfrau Tourismus AG und der örtliche Bergführerverein forderten in einem offenen Brief die BKW auf, auf die Realisierung von Solarprojekten in diesem Gebiet zu verzichten. In einem Brief, über den die «Berner Zeitung» zuerst berichtete, heisst es, diese wunderbare Natur- und Kulturlandschaft müsse erhalten bleiben.
Es handelt sich ausserdem um die einzige alpine Solaranlage, die in einem eidgenössischen Jagdbanngebiet entstehen soll. Diese Gebiete dienten dem Schutz und der Erhaltung von seltenen und bedrohten wildlebenden Säugetieren und Vögeln, schreibt das Bundesamt für Umwelt. Mit dem besonderen Schutz sollen die Lebensräume der jagdbaren Arten erhalten bleiben. Grundsätzliche Einwände gegen das Projekt gibt es seitens der Behörden vor allem vom Jagdinspektorat des Kantons Bern. Die BKW bezeichnet diese Bedenken jedoch als unbegründet.
Es ist offen, ob die vergiftete Kontroverse Konsequenzen haben wird. Das Baugesuch für den geplanten Solarpark Tschingel ist immer noch hängig.