Die französische Actrice spricht gerne über ihr Metier, ihren neuen Film, aber weit weniger gern über sich. Eine Begegnung mit Tücken.
Anfangs deutet alles darauf hin, dass die Diva ihren Ruf zu widerlegen gedenkt, eine schwierige Interviewpartnerin zu sein. Isabelle Huppert redet bei diesem Gespräch in einem Genfer Hotelzimmer nicht nur klug und reflektiert, sondern zunächst auch bestens aufgelegt, wirkt zugänglicher, als man sie aus ihren rätselhaften Rollen kennt. Dann wird die Stimmung kippen.
Doch von Anfang an. Isabelle Huppert ist hier, um einen Film zu promoten, einen der sogenannt kleinen Filme, in denen mitzuwirken sie sich auch mit ihrem Status nicht nehmen lässt. Ihr Gespür für kaum bekannte Regisseurinnen bewies sie schon, als sie vor 16 Jahren Ursula Meiers formidables Debüt «Home» mitprägte. Nun spielt sie die Hauptrolle in «Sidonie au Japon» ihrer Landsfrau Élise Girarde.
Erörterungen zu diesem Film gehen ihr leicht über die Lippen in einem Gesicht, das alters-, fast zeitlos wirkt. Während sie spricht, spielen die Finger am Scheitel im Haar oder mit den Enden des weiten, grosskragigen Hemds. In ihren Zügen erkennt man noch den introvertierten Teenager aus Claude Gorettas «Spitzenklöpplerin» (1977) wieder, bis auf die damalige Pausbäckigkeit.
Isabelle Huppert, Sie erzählten einmal, als Mädchen hätten Sie eine tiefe Leere in sich verspürt.
Oh, mein Gott, sagte ich das?
So wurde es jedenfalls gedruckt.
Jedermann fühlt doch manchmal eine Leere in sich, Sie nicht?
Es klang dramatisch, nach einem abgrundtiefen Nichts, und dann kam die Schauspielerei, die Sie erfüllte und erlöste.
Das wiederum ist wahr. Aber es ging weniger um Leere, die Schauspielerei erlaubte es mir einfach, überhaupt zu existieren. Sie ist das Einzige, was ich tun kann. Denn sie fällt mir leicht, verlangt mir keinen Effort ab. Und ich bin sehr faul.
Sie sagten einmal, als Schauspielerin würden Sie keine Figuren verkörpern, sondern Geisteszustände, Gemütsverfassungen.
Ja. Man spielt eine Person, keine Figur, die eine reine Phantasiegestalt ist. Je mehr Sie an die Rolle glauben, desto mehr können Sie dem, was Sie tun, Realität und Lebendigkeit verleihen. Man spielt also eher eine Kreuzung zwischen Fiktion und sich selbst.
Ist die Schauspielerei somit im Grunde eine sehr private Angelegenheit?
Natürlich, absolut privat. Sonst hätte sie keinen Wert. Es ist mein Aussehen, meine Gefühlswelt, es sind meine Augen. Es ist, was ich bin.
Aber die Darstellung ist für die Öffentlichkeit bestimmt. Wie kann das privat sein?
Es ist privat hinter der Maske, der Rolle, der Fiktion. Alle grossen Schauspieler agieren so.
Sie sind schon vergewaltigt worden in Rollen, haben gemordet. Das ist Teil von Ihnen?
Was der Figur geschieht, ist Fiktion und gehört zur Story, nicht zur Rolle. Ich spreche davon, wie sie auf das Geschehen reagiert, welche Emotionen sie zeigt.
Wie hat sich Ihre Schauspieltechnik über die Jahre verändert?
Ich denke nicht, dass ich sie im Lauf der Zeit geändert habe. Sie gehörte einfach von Anfang an zu mir. Man muss sie weder unbedingt lernen, noch lässt sie sich so einfach beschreiben. Sie setzt von selbst ein, wenn man am Drehen ist, umgeben von Leuten und Kameras, von diesen Bedingungen, die es nur beim Filmemachen gibt.
Woran merken Sie, dass Sie sich mit der Zeit als Schauspielerin verbessert haben?
Ich glaube nicht, dass ich mich verbessert habe. Verändert ja, aber nicht verbessert, so hoffe ich. Ich wusste von Beginn weg, wie es geht. Also habe ich nichts dazugelernt.
In Ihrem neuen Film fällt schon bei der Einstiegsszene am Flughafen der trippelnde Gang von Sidonie auf. Wie entscheiden Sie, wie sich eine Figur bewegt?
Das ist sehr merkwürdig: Man entscheidet das nicht, man sieht es auch nicht voraus. Aber die Körpersprache finden Sie sofort, wenn Sie einen Film zu drehen beginnen. Natürlich kommt es dann auch darauf an, ob man flache oder hochhackige Schuhe trägt und so weiter. Aber tatsächlich habe ich in jedem Film eine andere Körpersprache. Ein höchst erstaunliches Beispiel liefert übrigens Sandra Hüller in «The Zone of Interest». Der ganze Film ist ausserordentlich, es gibt keine Nahaufnahmen von den Gesichtern, also hat man über sie keinen Zugang zum Innenleben. Sie drückt das nur mit ihrer Körpersprache aus, das ist unglaublich.
Sie lehnten vor bald dreissig Jahren Michael Hanekes Angebot für die Hauptrolle in «Funny Games» ab. Sie sollen Angst davor gehabt haben – warum?
Es war nicht wirklich Angst. Ich dachte, dieser Film lasse keinen Raum für Imagination, und wusste nicht, wie ich das handhaben sollte. Als ich dann das Ergebnis sah, fand ich es einfach toll. Aber ich habe nie bereut, ihn nicht gemacht zu haben. Es war der Anfang einer langen Serie möglicher Zusammenarbeiten zwischen Michael und mir, die nicht zustande kamen. Einmal lehnte ich ab, dann wieder scheiterte ein Projekt. Schliesslich kam er mit «Die Klavierspielerin» und sagte: «Isabelle, das ist mein letzter Versuch.» Dann endlich gelang es.
Noch prägender als Haneke war für Ihre Karriere Claude Chabrol. In einem der sieben Filme, die er mit Ihnen drehte, spielten Sie 1988 mit ihrer vierjährigen Tochter Lolita Chammah. Diese berichtete mir vor einigen Jahren in einem Interview sehr warm von ihren Erinnerungen an jene Dreharbeiten. Dann fragte ich sie, ob Sie ihr Ratschläge für die Schauspielkarriere gegeben hätten.
Als sie vier war?
Später. Und sie sagte, nicht wirklich.
Sie hat recht. Und sie ist auch so eine wunderbare Schauspielerin geworden. Wenn schon, dann will eine Mutter dem Kind die Dinge des Lebens mitgeben. Aber auch da gibt es einen besseren Weg, als Ratschläge zu geben, nämlich mit gutem Beispiel voranzugehen und so die Lebensweise zu vermitteln. Lolita kennt meine Energie, meine Neugierde und so weiter.
Die Neugierde des Journalisten schliesslich wird zum Bruch in diesem zwanzigminütigen Gespräch führen. Im Vorfeld ist ihm mitgeteilt worden, Madame Huppert wolle keine Details zu ihrem Alter publiziert wissen. Den Versuch, sie nach den Gründen zu fragen, schmettert sie mantraartig ab, unter Wiederholung des Satzes: «Es ist nicht der Gegenstand unseres Gesprächs.»
Es ist eine von zwei Passagen, deren Autorisierung sie schliesslich verweigern wird. Die zweite betrifft eine Frage zu Woody Allen, der mittlerweile besonders gerne in Paris dreht. Huppert gilt als kühn und vorsichtig zugleich – und zumindest das wird in dieser Begegnung bestätigt.
Japanreise zu den Geistern der Vergangenheit
Isabelle Huppert, in den fünfziger Jahren in Paris zur Welt gekommen, ist auch ohne Hollywood-Erfolge über ihr Heimatland hinaus zur Ikone geworden. Sie hat in mehr als hundert Filmen mitgewirkt, war öfter für den Filmpreis César nominiert als jede andere und für ihre Rolle als Mörderin in Paul Verhoevens «Elle» im Jahr 2017 für einen Oscar vorgeschlagen. Dieses Jahr wird sie die Jury des Filmfestivals von Venedig präsidieren, was einer Adelung gleichkommt.
In «Sidonie au Japon» von Élise Girarde, der zurzeit im Kino läuft, gibt sie eine Schriftstellerin mit Schreibstau, die sich auf einer Japanreise den Geistern der Vergangenheit stellt, samt dem Geist des vor Jahren tödlich verunfallten Ehemanns. Sie entdeckt ein neues Land und dank einem einheimischen Verleger (Tsuyoshi Ihara) eine neue, fast wortlose Liebe, für welche die Kirschblüten eigens zu blühen scheinen. Das Tempo ist bedächtig, die Handlung etwas vorhersehbar, erfüllt von stilvoller Stille.