Durch den Vorstoss soll offenbar Infrastruktur des Hizbullah im unmittelbaren Grenzgebiet bekämpft werden. Viele Fragen bleiben allerdings offen.
Nach tagelangem Beschuss aus der Luft hat die israelische Armee in der Nacht auf Dienstag auch am Boden angegriffen. Wie die Armee in den frühen Morgenstunden mitteilte, hat sie eine «gezielte und begrenzte» Bodenoffensive im südlichen Libanon gestartet. Der Schwerpunkt des Manövers liege dabei auf Stellungen des Hizbullah in mehreren libanesischen Dörfern entlang der Grenze, die eine unmittelbare Bedrohung für israelische Städte darstellten. Die israelischen Bodentruppen würden dabei von der Luftwaffe und der Artillerie unterstützt.
Der israelische Militärsprecher Daniel Hagari behauptete am Dienstag, der Hizbullah habe sich in den libanesischen Dörfern entlang der Grenze darauf vorbereitet, eine Invasion wie jene der Hamas am 7. Oktober durchzuführen.
Am Montagabend hatten sich die Anzeichen für eine bevorstehende Bodenoffensive verdichtet. So erklärte das israelische Militär mehrere Gebiete entlang der Grenze zu militärischen Sperrzonen, darunter die Gemeinden Metula, Misgav Am und Kfar Giladi. Wenig später folgten Berichte, wonach sich die libanesische Armee aus dem unmittelbaren Grenzgebiet zurückgezogen hat.
Am Dienstagvormittag rief die israelische Armee die libanesische Zivilbevölkerung zudem dazu auf, aufgrund der intensiven Kämpfe das Gebiet südlich des Litani-Flusses bis auf weiteres zu meiden.
Was heisst «begrenzt»?
Bislang ist unklar, wie «begrenzt» diese Bodenoffensive tatsächlich ist. Noch liegt keine unabhängige Bestätigung für israelische Truppenbewegungen auf libanesischem Gebiet vor. Allerdings beschränken sich die von der Armee ausgerufenen Sperrzonen auf ein sehr limitiertes Gebiet im äussersten Nordosten Israels. Es wäre denkbar, dass Israel zunächst nur dort vorstossen wird, um nördlich der Grenze die Verbindungsstrasse in die Bekaa-Ebene abzuschneiden, die als Hochburg der schiitischen Hizbullah-Miliz gilt.
Auch gibt es Hinweise darauf, dass es vorerst keine grossangelegte Bodenoperation geben wird, wie das etwa 2006 der Fall war. Israel hat kürzlich zwar zusätzliche Einheiten in Grenznähe verlegt und einzelne Reservebrigaden mobilisiert. Dennoch ist die Truppenstärke relativ limitiert – für einen grossen Einmarsch in Südlibanon müsste Israel wohl Tausende weitere Soldaten mobilisieren, wofür es derzeit aber keine Anzeichen gibt.
Es stellt sich aber die Frage, was Israel mit seinen jetzigen Vorstössen erreichen kann und will. Zwei israelische Beamte sagten gegenüber dem amerikanischen Nachrichtenportal «Axios», es gehe nicht darum, Südlibanon dauerhaft zu besetzen. Am Dienstag erklärte ein israelischer Sicherheitsbeamter gegenüber Journalisten, das primäre Ziel sei, Hizbullah-Stellungen entlang der Grenze zu zerstören: «Es ist keine Option, in Beirut einzumarschieren.» Die israelischen Truppen operierten in Gehdistanz zur Grenze.
Eine längere Besetzung des Gebiets ist laut dem Beamten nicht geplant: «Was gerade passiert, ist keine grössere Aktion, die langfristig angelegt ist – wir sprechen über limitierte Angriffe in spezifischen Gebieten.» Die Angriffe seien zeitlich begrenzt, und die eingesetzten Truppen könnten lediglich kleinere militärische Aktionen durchführen. «Das ist nicht mit den Operationen zu vergleichen, die wir in Gaza gesehen haben.»
Doch der Hizbullah verfügt nicht nur im unmittelbaren Grenzgebiet über Stellungen und ein ausgedehntes Netzwerk von Tunneln, sondern praktisch im gesamten südlichen Libanon. Selbst wenn er um einige Kilometer zurückgedrängt würde, könnte er seinen Beschuss auf Israel fortsetzen.
Und auch wenn die Schiitenmiliz jüngst durch Israels Angriffe stark geschwächt wurde, verfügt sie nach wie vor über Tausende Kämpfer, die sich seit Jahren für einen israelischen Einmarsch wappnen. So hatte am Montag der stellvertretende Hizbullah-Chef Naim Kassem verkündet: «Die Widerstandskräfte sind bereit für einen Bodenkampf.»
Washington stellt sich hinter Israel
Die USA, Israels wichtigster Verbündeter, haben sich derweil hinter Israel gestellt, wenn auch zögerlich. Der amerikanische Verteidigungsminister Lloyd Austin sagte in einem Telefonat mit seinem israelischen Amtskollegen Yoav Gallant: «Wir sind uns einig über die Notwendigkeit, die Infrastruktur entlang der Grenze zu beseitigen, damit der Hizbullah keine Angriffe auf Israels nördliche Gemeinden durchführen kann.» Israel habe das Recht, sich zu verteidigen.
Gleichzeitig warnten die USA vor einer Ausweitung der Offensive und einem daraus resultierenden langen Krieg gegen die Schiitenmiliz – letztlich werde es eine diplomatische Lösung brauchen, um die Rückkehr der Bewohner auf beiden Seiten der Grenze zu ermöglichen. Gegenüber der «Times of Israel» gab ein amerikanischer Beamter zu bedenken, dass auch Israels Invasion im Jahr 1982 als «begrenzte Operation» begonnen, sich danach aber in eine 18-jährige Besetzung des Gebiets verwandelt habe.
In der Nacht auf Dienstag griff die israelische Armee zudem weitere Ziele des Hizbullah in der Beiruter Schiiten-Vorstadt Dahiye an. Libanesische Medien berichteten von heftigem Explosionen. Es war zunächst unklar, was dabei getroffen wurde. In Dahiye war am Freitag auch der Chef des Hizbullah, Hassan Nasrallah, bei einem israelischen Luftangriff getötet worden. In jüngster Zeit hat Israel grosse Teile der Führung der islamistischen Miliz getötet, die seit dem 8. Oktober aus Solidarität mit der Hamas Israel beschiesst.
Der Hizbullah feuerte seinerseits in den vergangenen Stunden mehrere Raketen in Richtung Israel ab. Dabei griff die Miliz offenbar auch auf weitreichendere Raketen zurück: Gemäss israelischen Armeeangaben wurden drei oder vier Raketen aus Libanon auf das Zentrum Israels abgefeuert, auch in Tel Aviv heulten die Alarmsirenen. Grössere Schäden entstanden dabei allerdings nicht, zwei Personen wurden verletzt. Die stark geschwächte Truppe scheint nach wie vor nicht imstande, den unablässigen israelischen Angriffen etwas entgegenzusetzen.