In der Nacht auf Samstag flog Israels Luftwaffe mehrere Angriffswellen gegen Iran. Zumindest auf den ersten Blick wirkt die lange angekündigte Antwort auf Teherans Raketensalve von Anfang Oktober nicht wie eine Eskalation. Eine Analyse.
Lange war darüber spekuliert worden, wie der israelische Gegenschlag gegen Iran wohl aussehen würde – und wann er stattfinden würde. In der Nacht von Freitag auf Samstag war es dann so weit. Israelische Kampfflugzeuge flogen nach Angaben der Armee mehrere Angriffswellen gegen Ziele in der Islamischen Republik. Die Luftangriffe mit angeblich Dutzenden Kampfjets dienen als Vergeltung für die massive Raketensalve, die Iran vor knapp einem Monat auf Israel abgefeuert hatte.
Am 1. Oktober hatten Teherans Revolutionswächter fast 200 ballistische Raketen auf Israel abgeschossen. Sie rächten sich damit nach eigenen Angaben unter anderem für die Tötung des Hizbullah-Chefs Hassan Nasrallah sowie des Hamas-Führers Ismail Haniya. Der heftige Angriff hatte in Israel zwar nur Sachschaden angerichtet – trotzdem schwor die israelische Regierung umgehend Vergeltung.
Wurde Teheran gewarnt?
Noch ist unklar, was genau bei den nun vollzogenen Gegenangriffen in der Nacht getroffen wurde und wie gross die Schäden sind. Laut Israels Armee galten die Attacken militärischen Zielen. Darunter sollen sich Fabriken zur Herstellung von ballistischen Raketen sowie Flugabwehreinrichtungen befunden haben. Iranische Stellen wiederum sprachen von Angriffen in der Nähe von Teheran sowie zweier Provinzen im Westen des Landes, an der Grenze zu Irak. Iran bestätigte am Samstag, dass es «begrenzte Schäden» gegeben habe. Laut der iranischen Nachrichtenagentur Irna sollen zwei Soldaten ums Leben gekommen sein.
Obwohl es sich um den bisher grössten israelischen Angriff auf iranisches Territorium handelte, schien sich am Samstag bei vielen Beobachtern und Israels westlichen Verbündeten Erleichterung breitzumachen. So stellt dieser Gegenschlag offensichtlich nicht die befürchtete Eskalation dar, die die Lage in Nahost endgültig ausser Kontrolle geraten lässt und einen fortgesetzten Raketenkrieg zwischen Israel und Iran herbeiführen könnte.
Das Regime in Teheran hatte in letzter Zeit immer wieder klargemacht, dass es Angriffe auf seine Nuklearanlagen oder seine Öl-Infrastruktur nicht hinnehmen und darauf mit aller Härte reagieren würde. Keines dieser Ziele ist in der letzten Nacht jedoch getroffen worden. Israel hat auch davon abgesehen, Einrichtungen der Regimes und die Zentren der Macht der Islamischen Republik anzugreifen.
Stattdessen sollen die Israeli Teheran laut amerikanischen Medien offenbar über Drittstaaten vorgewarnt haben. All dies weist darauf hin, dass es sich bei den nächtlichen Schlägen wohl eher um eine symbolische Antwort gehandelt haben könnte – und nicht um einen Auftakt zu einer weiteren, noch grösseren Runde an Feindseligkeiten zwischen den beiden Ländern, die seit Monaten auf einen Krieg zutaumeln. Israels Armee jedenfalls warnte Iran, in Zukunft nicht weiter zu eskalieren.
Druck aus Washington
Der begrenzte Angriff zeigt, dass Israel trotz all der aggressiven Rhetorik und den Drohgebärden der letzten Wochen derzeit offenbar kein Interesse an einem weiteren Schlagabtausch mit Iran hat. Verantwortlich dafür dürften mehrere Gründe sein: So hatten die Amerikaner ihren Verbündeten in letzter Zeit immer wieder zu verstehen gegeben, dass ein offener Krieg zwischen Israel und Iran kurz vor den Präsidentschaftswahlen nicht in ihrem Interesse wäre.
Beobachter gehen davon aus, dass Washington deshalb nun grossen Druck auf Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu ausgeübt hat, von einer allzu harten Vergeltung abzusehen – auch wenn Hardliner in Israel von einer «historischen Gelegenheit» sprachen, das iranische Atomprogramm lahmzulegen. Zudem waren kürzlich ausgerechnet in Amerika Dokumente zu den israelischen Vergeltungsplänen an die Presse durchgereicht worden. Dies könnte der geplanten Operation zusätzlich Wind aus den Segeln genommen haben.
Zudem ist sich wohl auch Israel der eigenen Grenzen bewusst. Die Armee des kleinen Landes führt bereits jetzt einen Zweifrontenkrieg gegen den Hizbullah und die Hamas. Ein Krieg mit Iran – das im Gegensatz zu Libanon und Gaza Tausende Kilometer entfernt liegt – würde grosse Ressourcen binden und wäre ohne amerikanische Hilfe wohl kaum zu stemmen. Die USA haben aber immer wieder signalisiert, dass sie zum jetzigen Zeitpunkt in einen solchen Waffengang nicht mit hineingezogen werden wollen.
Iran spielt die Angriffe herunter
Bereits im letzten Frühling, als der seit Jahren andauernde Schattenkrieg zwischen Jerusalem und Teheran schon einmal zu eskalieren drohte, trat Israel auf die Bremse. Damals beantwortete es einen vorher angekündigten Raketen- und Drohnenangriff aus der Islamischen Republik bloss mit einer symbolischen Drohgebärde: Getroffen wurde ein einzelnes Flugabwehrsystem nahe der iranischen Stadt Isfahan.
Nun ist der Gegenschlag zwar grösser, aber immer noch äusserst begrenzt ausgefallen. Dennoch ist eine neue Stufe in diesem Schlagabtausch erreicht: Zum ersten Mal hat sich Israel offen zu einem Luftangriff auf iranisches Territorium bekannt. Nach bisherigen Erkenntnissen agierten israelische Flugzeuge während mehrerer Stunden im iranischen Luftraum.
Es ist allerdings fraglich, ob Iran die Sache nun auf sich beruhen lässt. Erste Meldungen staatsnaher, iranischer Medien – welche den israelischen Angriff bewusst als schwach und wirkungslos herunterspielen – lassen zumindest darauf schliessen. Allerdings stehen die Iraner schon seit längerem mit dem Rücken zur Wand. Israels Blitzkrieg gegen den Hizbullah in Libanon hat sie ihrer effektivsten Waffe beraubt – die Schiitenmiliz galt als Kronjuwel im iranischen Abschreckungsdispositiv. Vor allem radikalere Kader innerhalb des Teheraner Regimes verlangen deshalb ein entschlossenes Handeln, um die eigene Abschreckung wiederherzustellen.
Trotzdem dürfte das wirtschaftlich geschwächte Regime in Teheran ebenfalls kein Interesse an einer Ausweitung der Feindseligkeiten haben. Der frisch gewählte Präsident Masud Pezeshkian befand sich jüngst auf einer Charmeoffensive in Richtung Westen und der Golfstaaten. Zudem muss sich der greise Revolutionsführer Ali Khamenei um die eigene Nachfolgeregelung kümmern, um so sein Regime – das in letzter Zeit auch innenpolitisch unter Druck geraten war – stabil zu halten.