Wladimir Putin, Xi Jinping und Donald Trump stehen für eine Grossmachtpolitik, die überwunden schien. Und als Beweis dafür, dass der Imperialismus zurückkehrt. Diese Sicht greift zu kurz.
Wladimir Putin überzieht die Ukraine mit einem Krieg, der kein Ende findet, Xi Jinping droht, Taiwan gewaltsam mit China zu vereinigen, und Donald Trump denkt in aller Öffentlichkeit darüber nach, den Panamakanal, Grönland oder Kanada unter amerikanische Kontrolle zu bringen. Die drei mächtigsten Staatschefs der Welt betrachten Staatsgrenzen als Manipuliermasse und militärische Gewalt als legitimes Mittel der Politik. Völkerrechtliche Verpflichtungen kümmern sie nur so lange, wie sie den eigenen Interessen nicht zuwiderlaufen.
Putin, Xi und Trump stehen für eine Grossmachtpolitik, die überwunden schien. Und als Beweis dafür, dass der Imperialismus zurückkehrt. Der Begriff hat Konjunktur. Putin, Xi Jinping und Trump werden fast unisono als Imperialisten bezeichnet: als Staatenlenker also, die nicht zögern, den Einflussbereich ihres Landes über dessen Grenzen hinaus auszudehnen. Durch Eroberung. Oder subtiler. Über politische, wirtschaftliche oder kulturelle Einflussnahmen, um kleinere Staaten von sich abhängig zu machen.
Imperialismus ist ein politisches Schimpfwort, das tief ins 19. Jahrhundert gehört. In die Zeit der Kolonialherrschaft, als sich Abenteuerlust, Macht- und Gewinnstreben in Grossbritannien, Frankreich, Belgien, Deutschland und anderswo in einem ungezügelten Expansionsdrang entluden. Man wollte sich die Welt untertan machen und die als überlegen empfundene eigene Lebensart bis in den letzten Winkel der Erde verbreiten.
Das gelang erstaunlich gut. Die Imperien waren gross, mächtig. Aber keines hat im 20. Jahrhundert überlebt. Das Habsburgerreich, das Osmanische und das Zarenreich brachen im Ersten Weltkrieg auseinander. Das britische und das französische Kolonialreich zerfielen nach 1945. Nach und nach setzten sich nationale Unabhängigkeitsbewegungen durch. Die bipolare Weltordnung, die nach dem Zweiten Weltkrieg etabliert wurde, liess in Europa keinen Platz mehr für imperiale Grossmachtideen.
Welt ohne Grenzen
Anstelle der Kolonialmächte blieben Russland und Amerika als Supermächte übrig, die die Welt unter sich in zwei Einflusszonen teilten. Das schuf die Grundlage für einen Frieden, der zwar fragil, aber doch so dauerhaft war, dass man sich nicht vorstellen konnte, dass er je ins Wanken kommen könnte. Auch als der eine Pol wegfiel und das «Gleichgewicht des Schreckens» Schlagseite bekam: Eine Welt ganz ohne Grossmacht schien undenkbar.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion verkündete der amerikanische Präsident Bush Anfang der 1990er Jahre den Beginn einer «neuen Weltordnung». Unter Führung der Supermacht, die übrig geblieben war: der USA. Das klang plausibel. China war schwach und das wiedervereinigte Europa zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um weltpolitisch eine Rolle zu spielen. Die Machtgelüste, die Europa in zwei katastrophale Kriege getrieben hatten, schienen Ausdruck einer für immer vergangenen Zeit.
Es war, als ob die Welt den Atem anhielte. Der amerikanische Politologe Francis Fukuyama sah das Ende der Geschichte gekommen, unter linken Intellektuellen wurde der Nationalstaat als Auslaufmodell gehandelt. Die grösste Bedrohung der Staatenwelt, suggerierte der Philosoph Jürgen Habermas 2011, bestehe darin, dass «die globalisierten Märkte der Politik davoneilen» und sich in den Zwängen verfangen würden, die sie selbst geschaffen hätten. Die Finanzkrise von 2008 hatte gezeigt, zu welchen Verwerfungen das führen kann.
Imperien hatten in diesem Weltbild keinen Platz mehr. Habermas sah die Zukunft Europas in einer transnationalen Demokratie, die allerdings nur ein erster Schritt in Richtung auf eine demokratisch organisierte Weltbürgerschaft sein sollte. Er sprach von einem «Weltparlament». In allem Ernst. «Weltinnenpolitik» lautete der Begriff, in dem sich die Vision eines Reichs des Friedens und der demokratischen Freiheit verdichtete. Alle Menschen werden Brüder. Oder zumindest Bürgerinnen und Bürger eines gemeinsamen Landes in einer Welt ohne Grenzen. Kosmopoliten.
Imperialisten sind die anderen
Heute ist das weit weg. Mit dem Angriff Putins auf die Ukraine ist das Gefühl der Sicherheit verflogen, in dem solche Hirngespinste entstehen konnten. Unter den Grossmächten gilt das Recht des Stärkeren. Das Völkerrecht, das Habermas als Vorstufe einer globalen Verfassung verstehen wollte, ist Makulatur geworden. Etwa so verpflichtend wie ein Friedensgebet des evangelischen Kirchentags. Die Welt scheint am gleichen Punkt zu stehen, an dem sie vor dem Ersten Weltkrieg stand: im Zeitalter einer ungezähmten Machtpolitik.
Die Imperien, die im 20. Jahrhundert untergegangen seien, meldeten sich zurück, sagen Historiker. Der Politikwissenschafter Herfried Münkler nennt sie die «Untoten des 21. Jahrhunderts». Die Imperien hätten sich wieder aufgeschwungen und seien zu den bestimmenden Akteuren der Zeit geworden. Nichtimperiale Kräfte, so Münkler, würden es schwer haben, neben diesen und gegen sie globalen Einfluss auszuüben. Die Zukunft, so scheint es, gehört denen, die sich nehmen, was sie wollen, ob sie Putin, Xi Jinping oder Trump heissen. Imperien werden die Ordnungsmächte des 21. Jahrhunderts.
Mit Imperialismus will selbstverständlich niemand etwas zu tun haben. Als Wladimir Putin im September 2022 die Annexion von vier ukrainischen Oblasten bekanntgab, verband er das mit einer von Hass triefenden Anklage gegen den «sogenannten Westen», der einen rücksichtslosen Neokolonialismus betreibe und die Souveränität von Ländern und Völkern missachte.
Sich selbst stellte Putin als Anwalt des «globalen Südens» dar. Als Kämpfer gegen Kolonialismus und Imperialismus. Sklaverei, Despotie, Rassismus, Ausbeutung – die Geschichte des Westens sei «eine Chronik endloser Expansion», sagte Putin. Eine einzige Folge von Verbrechen. Den Angriff Russlands auf die Ukraine rechtfertigte der Kremlherr so realitätsfremd wie selbstherrlich als Akt, der historische Gerechtigkeit schaffen soll. Imperialisten sind die anderen.
Putins Traum
Dass Putin imperiale Träume hegt, steht ausser Frage. Ein Reich wie zu Zeiten der grossen Zaren, auf die er sich ständig bezieht, soll den Zusammenbruch der Sowjetunion vergessen lassen: das historische Ereignis, das Putin als die «grösste geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts» bezeichnet. Darauf arbeitet Putin hin. Obsessiv, rücksichtslos und menschenverachtend. Wie viele Tote seine verblasenen Visionen fordern, kümmert ihn ebenso wenig wie die Tatsache, dass er sein eigenes Land damit ruiniert.
Da liegt die Schwäche von Putins Imperialismus: Militärische Macht ist das Einzige, was Russland zu bieten hat. Das mag reichen, um einen Krieg zu gewinnen. Aber nicht, um ein Imperium zu begründen. Vom Römischen Reich bis zum British Empire: Die militärische Gewalt der Imperien – und der militärische Schutz, den sie kleineren Ländern damit bieten – war nur eine Seite ihres Glanzes. Ihr Erfolg beruhte ebenso auf der politischen und wirtschaftlichen Macht. Kleinere Länder nahmen in Kauf, weniger autonom zu sein. Dafür bekamen sie Sicherheit. Aber auch Prosperität und die Zugehörigkeit zu einem Kulturraum.
Dass sich Putin dessen bewusst ist, darf bezweifelt werden. Umso klarer sieht Donald Trump das Problem. Auch wenn dauernd vom neuen amerikanischen Imperialismus die Rede ist: Trump ist kein Imperialist. Im Gegenteil. Er begräbt die imperialistischen Ambitionen, von denen sich bereits seine Vorgänger Obama und Biden verabschiedet haben. Er weist die Rolle der USA als Weltpolizist und Schutzmacht Europas zurück, weil er der Ansicht ist, das Land könne sie auf die Länge nicht wahrnehmen, ohne sich wirtschaftlich und politisch zu überfordern. Er will Amerika gross machen. Nicht den Einflussbereich bewahren, den das Land über Jahrzehnte hatte.
Neben Putin, dem Imperialisten ohne imperiale Macht, und Trump, der die nationale Agenda der USA über alles stellt und Aussenpolitik als Business betreibt, das von kurzfristigen Interessen bestimmt ist, steht Xi Jinping. Er spielt ein kompliziertes Spiel: so viel internationaler Einfluss, wie das Land gut verkraften kann, und imperiale Ambitionen auf Taiwan, aber kaum darüber hinaus. Dazu ein schwer zu durchschauendes Gefüge von wirtschaftlichen Abhängigkeiten, das sich vom gigantischen Seidenstrassen-Projekt über Afrika bis nach Südamerika erstreckt, und so viel Nähe zu Russland, wie opportun ist, um die USA in Schach zu halten.
Im Trümmerfeld
Mit Imperialismus, wie man ihn aus der Geschichte kennt, hat das wenig zu tun. Russland ist zu schwach, um eine Weltmacht zu sein, und die USA nehmen sich selbst aus dem Rennen. China baut an einem weltumspannenden Imperium, kontrolliert den kleinen Nachbarn Nordkorea aber nur locker.
Alle drei tummeln sich auf dem Trümmerfeld, das die gestürzten Imperien und die zerfallene Nachkriegsordnung hinterlassen haben. Sie tasten das Gelände ab, bewerten die Ressourcen der Gegner und prüfen Opportunitäten. Indien steht am Rand und versucht sich zu positionieren. Europa auch. Allerdings ohne eine klare Vorstellung zu haben, wie es auf die dramatischen Veränderungen antworten soll.
Wie die Welt aussieht, die aus diesem Chaos hervorgeht, ist offen. Immerhin so viel hat die Geschichte gelehrt: Eine von Imperien kontrollierte Ordnung ist besser als ein Spielfeld, das von hemmungslos konkurrierenden Nationalstaaten beherrscht wird. Jede Ordnung braucht einen Hüter, der sie garantiert und Staaten mit Sanktionen belegt, die sich nicht an die Regeln halten. Amerika will diese Rolle nicht mehr spielen. Autoritäre Staaten wie Russland und China drängen darauf, in die Lücke zu stossen. Und Europa ist zu schwach, um auf der grossen Bühne eine Rolle zu spielen. Ein Wilder Westen ohne Regeln ist das Gefährlichste, was der Welt passieren kann.