Die waghalsige Wirtschaftspolitik von Donald Trump stiftet Verunsicherung. Obschon der US-Präsident unter dem Druck der Bondmärkte die «reziproken» Zölle für neunzig Tage ausgesetzt hat, bleibt die Gefahr einer Rezession beträchtlich. Was heisst das für Anleger?
Was für eine Wendung: Noch vor kurzem notierten die Börsen auf Rekordhoch, der Londoner «Economist» schrieb, die Welt beneide die USA um ihre starke Wirtschaft, und das Narrativ des «American Exceptionalism» war in aller Munde. Doch dann schien die US-Konjunktur wegen der aggressiven Trump’schen Zollpolitik schnurstracks auf eine Katastrophe zuzusteuern.
Gleich mehrere Banken und Researchhäuser haben zuletzt die Wahrscheinlichkeit für einen Abschwung in diesem Jahr erhöht – bis US-Präsident Donald Trump am Mittwoch einen Rückwärtssalto hinlegte und verkündete, die «reziproken» Zölle für neunzig Tage auszusetzen. Und das nur wenige Stunden, nachdem sie in Kraft getreten waren.
Rebellion der Finanzmärkte
Zu gross wurde offenbar der Druck der Finanzmärkte. Insbesondere am Anleihenmarkt liessen sich unüblich heftige Bewegungen beobachten, die Sorgen um die Finanzmarktstabilität aufkommen liessen. Somit wird zunächst «nur» der seit dem 5. April gültige globale Zoll von 10% auf alle Importe angewandt – auch die Schweiz kann vorderhand aufatmen.
Während die Welt erleichtert reagiert, erhöhen die USA die Importzölle auf chinesische Waren per sofort auf 145%. Donald Trump goutiert es nicht, dass Peking Gegenmassnahmen ergriffen hat. Die bereits eingeführten branchenspezifischen Zölle, etwa auf Importen von Stahl, Aluminium und Autos sowie der Satz von 25% auf kanadischen und mexikanischen Einfuhren, bleiben jedoch bestehen.
Zölle so hoch wie seit fast hundert Jahren nicht mehr
Die «Zollpause» ist ein positives Signal, denn viele Marktbeobachter waren sich einig: Die noch zum Wochenbeginn geplanten Sätze hätten einen Konjunkturabschwung nahezu garantiert, wirken die Zölle doch wie eine Steuer für die amerikanischen Konsumenten.
Das Schlimmste konnte in letzter Minute zwar abgewendet werden – doch ist damit die Rezessionsgefahr tatsächlich gebannt? Denn auch nach der jüngsten Deeskalation erreichen die Restriktionen für Importe den höchsten Stand seit den Dreissigerjahren. Dass sie das Wachstum belasten werden, ist offensichtlich.
Angeschlagene Konsumenten
Bereits vor Trumps «Liberation Day» häuften sich die Abkühlungssignale aus der US-Wirtschaft. Vor allem scheint sich der Konsum abzuschwächen. Langfristig trug er rund 70% zum Wachstum bei – gemäss dem kanadischen Analysehaus BCA Research belief sich sein Beitrag seit 2020 sogar auf 80%. Und diese Stütze bröckelt.
So signalisierten die viel beachteten Umfragen der Universität Michigan und des Forschungsinstituts Conference Board schon vor den Marktturbulenzen eine spürbare Eintrübung der Konsumentenstimmung. Das vom Conference Board erhobene Barometer notiert nur wenig über dem in der Pandemie erreichten Tiefst, und der Indikator der Universität Michigan ist zuletzt ebenfalls abgesackt.
Die schlechtere Stimmung spiegelt sich bereits im schwächeren Konsum. Unter anderem hat diese Verlangsamung die Schätzung des GDPNow-Modells der Fed-Distriknotenbank Atlanta für das reale PCE-Wachstum im ersten Quartal auf –2,8% gedrückt. Auch korrigiert um die verzerrenden Goldimporte resultiert ein Rückgang von –0,8%.
Gemäss BCA Research sind die Bankeinlagen relativ zum verfügbaren Einkommen zurück auf dem Niveau von vor der Pandemie – die während Corona kumulierten «Überschussersparnisse» sind demnach aufgebraucht. Bei den 20% der Bevölkerung mit den geringsten Einkommen sind die (realen) Bankeinlagen unter den Stand von 2019 gerutscht.
Insbesondere die einkommensschwachen Konsumenten scheinen also ihren Notgroschen aufgezehrt zu haben. Zuletzt erhöhten sie ihre Schulden für Kreditkarten und Autos, die sie in steigender Zahl nicht mehr bedienen können. Gemäss der Fed-Distriktnotenbank New York geraten die Kreditnehmer vermehrt in Zahlungsverzug. Die überfälligen Kreditkartenschulden – sie sind seit mindestens dreissig Tagen geschuldet – sind auf 9% geklettert, diejenigen für Autos erreichen derzeit 8,1%. So hoch waren sie letztmals 2011 respektive 2010.
Beunruhigend ist ein Bericht der Nachrichtenagentur Bloomberg, wonach viele Amerikaner vermehrt ihre Vorsorgegelder anzapfen müssen, um dringende finanzielle Auslagen wie Arztrechnungen, Mieten oder Studiengebühren decken zu können. Obwohl solche vorzeitigen Bezüge versteuert werden müssen und oft mit einer Strafgebühr verbunden sind, bewegt sich die Nachfrage nach frühzeitigen Auszahlungen derzeit 15 bis 20% über dem langjährigen Durchschnitt.
Das Risiko ist nicht zu unterschätzen, dass ein Rückgang des Konsums sich bald in einem schwächeren Arbeitsmarkt niederschlägt. Noch ist die Beschäftigungslage komfortabel, wenngleich die Arbeitslosenquote seit März 2023 von 3,5 auf 4,1% gestiegen ist. Allerdings eignet sich die Arbeitslosenquote nicht als Frühindikator. Beginnen die ersten Unternehmen wegen der erhöhten Unsicherheit, weniger Stellen zu schaffen oder gar abzubauen, belastet das in der Regel via fallende Einkommen wiederum den Konsum.
Die jüngste Zunahme bei Ankündigungen zum Abbau von Arbeitsplätzen ist deshalb ein Warnsignal. So stellten US-Arbeitgeber im März die Streichung von 275’000 Stellen in Aussicht, was dem dritthöchsten Wert seit Datenerhebung entspricht. Haupttreiber war das von Elon Musk geführte Department of Government Efficiency, das die Bundesregierung auf Effizienz zu trimmen gelobt.
Ein negativer Impuls geht auch von der Börsenkorrektur aus. Wie der Ökonom Torsten Sløk von Apollo vorrechnet, hat der S&P 500 von seinem Höchst einen Verlust von rund 10 Bio. $ erlitten. Dieser negative Vermögenseffekt dürfte den Konsum ebenfalls schmälern. Die Gegenbewegung nach der Verkündung des Zollmoratoriums hat den Verlust zwar etwas gelindert, der Schaden ist dennoch beträchtlich, da auch Anleihen an Wert eingebüsst haben.
Vermögensverlust des S&P 500 von fast 10 Bio. $
Es ist also gut möglich, dass sich die USA bereits im Abschwung befinden. «Die meisten CEO, mit denen ich spreche, würden sagen, dass wir uns wahrscheinlich gerade in einer Rezession befinden», sagte BlackRock-Chef Larry Fink bei einer Veranstaltung des Economic Club of New York am 7. April.
Wie könnte sich die Lage zum Guten wenden?
Die Wirtschaft unterstützen könnte die US-Notenbank (Fed), indem sie aggressiv die Leitzinsen senkt und/oder den Kauf von langfristigen Staatsanleihen wieder aufnimmt (Quantitative Easing). Die Märkte haben bereits damit begonnen, mehr Zinssenkungen einzupreisen.
Die Zölle stellen allerdings ein Problem dar, da sie den Inflationsdruck hochhalten. Die Ökonomen von der UBS gehen davon aus, dass der «Core PCE», das bevorzugte Inflationsbarometer des Fed, in diesem Jahr trotz des Rückziehers von Trump auf über 4% steigen wird.
So meinte der Fed-Vorsitzende Jerome Powell kürzlich, die Notenbank habe es «nicht eilig», ihre Geldpolitik anzupassen. Zumal Trumps erratische Politik wenig hilfreich ist.
Vertrauensverlust
Positiv wäre auch eine rasche Einigung im Handelskrieg, die am Ende zu weltweit fallenden Zöllen führen würde. Die angekündigte Pause schafft Zeit für mögliche «Deals». Doch wer weiss, ob Donald Trump nicht schon bald wieder seine Meinung ändert oder in neunzig Tagen die reziproken Zölle nicht doch in Kraft treten?
Die Unberechenbarkeit der amerikanischen Politik wird viele Investitions- und Expansionsentscheidungen verzögern. Wenn sich die Rahmenbedingungen mit einer derart hohen Kadenz ändern, verunmöglicht das den Unternehmen eine sinnvolle langfristige Planung. Die Konsequenz: Die Entscheidungsträger warten ab und legen grössere Projekte auf Eis.
Ungewiss ist zudem der Ausgang im Disput zwischen den USA und China, die ihre gegenseitigen Zollforderungen nach oben geschraubt haben. Nachdem die USA die Importe aus dem Reich der Mitte mit Zuschlägen von 104% belegte, reagierte Peking mit einer Erhöhung der Einfuhrzölle auf US-Güter auf 84%. Nach der jüngsten Anhebung verlangen die USA 145% auf chinesische Einfuhren. Ob sich nach dieser Eskalation rasch eine Lösung finden lässt, ist kaum abzuschätzen – die Auswirkungen der Massnahmen auf die Konjunktur sind auf jeden Fall negativ.
Umfangreiche Stimulusmassnahmen und Reformen in Europa und in China könnten den Schaden zumindest in Grenzen halten und einen globalen Abschwung abwenden. Führen die US-Massnahmen dazu, dass sich der Rest der Welt zusammenrauft und die gegenseitigen Handelsbeziehungen intensiviert, wäre das ein willkommener Nebeneffekt.
Was heisst das für Anleger?
Anleger können deshalb noch nicht aufatmen. Denn mit den sich eintrübenden Konjunkturaussichten werden auch die Unternehmensgewinne unter Druck geraten. Das Worst-Case-Szenario ist vorderhand abgewendet, aber das Rezessionsrisiko bleibt hoch.
Auch nach den jüngsten Verlusten sind insbesondere US-Aktien zudem nach wie vor sportlich bewertet, was wenig Spielraum für Enttäuschungen bei den Unternehmensgewinnen lässt. Analysten erwarten immer noch ein Gewinnwachstum von 12% für die S&P-500-Konzerne in den kommenden zwölf Monaten. Negative Gewinnrevisionen werden die Stimmung belasten. Defensive Sektoren wie Basiskonsum, Telecom und Versorger dürften relativ gesehen im Vorteil sein.
Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass eine Rezession nahezu sicher weitere Kursverluste bedeuten würde. Wie Stratege Ed Clissold von Ned David Research zeigt, verlor der S&P 500 in Bärenmärkten, die mit einer Rezession einhergingen, im Durchschnitt 34% an Wert. Vom bisherigen Rekordhoch im Februar bei 6144 Punkten würde das einen Indexstand von rund 4000 bedeuten (Stand am 10. April: 5457).
Geringeres Gewicht in US-Aktien
Losgelöst vom Rezessionsrisiko stellt sich die grundsätzliche Frage, ob US-Vermögenswerte unter der derzeitigen Regierung nicht eine höhere Risikoprämie – sprich eine niedrigere Bewertung – spiegeln sollten. Anleger dürften künftig wohl besser fahren, wenn sie das Gewicht des US-Marktes in ihrem Portfolio verringern. Das kann etwa dadurch erreicht werden, indem Aktien aus den USA, Europa, Schwellenländern, Japan sowie der Schweiz zu gleichen Teilen gewichtet werden.
Die jüngsten Verwerfungen haben zudem einmal mehr gezeigt, dass Gold in jedes Portfolio gehört. Während Staatsanleihen und Rohstoffe nahezu im Gleichschritt mit den Aktienmärkten nachgaben, sorgte das Edelmetall für Stabilität. Kursausschläge von -6 bis 10% von breiten Aktienindizes, wie das in den vergangenen Tagen der Fall war, markieren typischerweise den Beginn und nicht das Ende von Baissephasen.