Die Politik leidet an der letzten Grossbank. Sie ist angeblich ein Monster, das mit immer neuen Auflagen gezähmt werden muss. Im Interesse des Landes ist das nicht.
Es gehört zu den liebenswerten bis skurrilen Eigenheiten der Schweiz, dass sie manchmal Dinge anders macht, nur damit sie anders sind als im Rest der Welt. Swiss Finish nennt sich das.
So hat sich in den Nachbarländern der deutsche Stecker weitgehend durchgesetzt. Nur die Schweiz beharrt auf ihrem eigenen Stecker. Begründet wird dies – natürlich – mit höherer Sicherheit. Swiss Finish eben, auch wenn in Deutschland weder besonders viele Häuser durch Kabelbrände zerstört werden noch Menschen scharenweise an Stromschlägen sterben.
Nirgends ist das Swiss Finish so beliebt wie bei Banken, die als systemrelevant gelten. Vor nunmehr zwei Jahren wurde die Krise der Credit Suisse so offensichtlich, dass sie auch der Bundesrat nicht mehr leugnen konnte. Aber noch immer sind die Nachwehen des Bankenkollaps nicht ausgestanden. Im Gegenteil: Mit helvetischer Behäbigkeit strebt die Diskussion über die Konsequenzen erst jetzt ihrem Höhepunkt entgegen.
Die Aufsicht steht unter Rechtfertigungsdruck
Bald wird eine Parlamentarische Untersuchungskommission ihre Vorschläge für die Regulierung der letzten verbliebenen Grossbank vorlegen. Sie wird sich dabei auch mit den Gründen auseinandersetzen, warum die heilige Dreifaltigkeit der Bankenkontrolle – der Bundesrat, die Nationalbank und die Finanzmarktaufsicht – trotz Warnzeichen erst aktiv wurde, als es längst zu spät war.
Die drei Institutionen stehen unter erheblichem Rechtfertigungsdruck. Um den Vorwurf der Untätigkeit zu entkräften, sind Bundesrat und Finma vor der Publikation des PUK-Berichts in die Offensive gegangen. Finanzministerin Karin Keller-Sutter sprach sich für eine deutliche Verschärfung der Kapitalanforderungen aus. Für die UBS würde das höhere Kosten bedeuten. Die Bundesrätin bezeichnete zusätzliches Eigenkapital in Höhe von 15 bis 25 Milliarden Franken als «plausibel».
Die Finma ordnete bereits an, dass die UBS ihre Notfallpläne überarbeiten muss. Sie soll die Voraussetzungen schaffen, um bei der nächsten existenzbedrohenden Krise Geschäftseinheiten einzeln veräussern zu können. Wenn sie die Einheiten stärker gegeneinander abschotten muss, kann die Bank weniger Synergien realisieren. Auch das treibt die Kosten in die Höhe.
Die UBS protestiert in der Öffentlichkeit nur verhalten, dafür aber hinter verschlossenen Türen umso lauter. Sie fühlt sich gegenüber der ausländischen Konkurrenz benachteiligt. Werden die Anforderungen angehoben, muss die UBS erheblich mehr Eigenkapital vorhalten als amerikanische und europäische Grossbanken.
Die Wettbewerber profitieren überdies davon, dass die USA, Grossbritannien und die EU die globale Bankenreform «Basel III» verzögern. Die Schweiz jedoch setzt bereits 2025 die Vorschriften um, welche die Kapitalanforderungen zusätzlich erhöhen. Wie bei der OECD-Mindeststeuer geriert sich Bundesbern als Musterschüler. Die Konkurrenz freut sich über so viel Strebertum.
Begründet werden die strengeren Auflagen wie immer, wenn die Schweiz einen Sonderweg beschreitet, mit einem Zuwachs an Sicherheit. Da unterscheiden sich Steckdosen und Banken kaum. Weil die Bilanzsumme der UBS mit 1,6 Billionen Franken doppelt so gross ist wie das Bruttoinlandprodukt der Schweiz, besteht für die Volkswirtschaft ein Klumpenrisiko. Zudem gab es bisher rechtliche Defizite in der Aufsicht. Die Finma muss fehlbare Banken öffentlich an den Pranger stellen oder Top-Kader härter bestrafen können, wie das im Ausland längst üblich ist.
Die Debatte krankt jedoch daran, dass sie den zweiten Schritt vor dem ersten macht. Bevor der Bundesrat die Regeln verschärft, sollte er zwei zentrale Fragen klären: Wie viel Risiko ist die Schweiz bereit zu tragen? Will das Land überhaupt noch eine in New York, Hongkong und Bümpliz gleichermassen heimische Grossbank? Wenn nicht, wäre es ehrlicher, der UBS die Verlegung des Hauptsitzes ins Ausland zu empfehlen.
Lange bot das helvetische Biotop den Banken hervorragende Standortbedingungen. Dann begannen die US-Präsidenten Clinton und Obama, beide Vertreter der Demokraten, einen Feldzug gegen die lästige Konkurrenz der Wall Street. Auf die Auseinandersetzung um die nachrichtenlosen Konten folgte der Angriff auf das Bankgeheimnis.
Jetzt reitet der ebenfalls demokratische Präsident Biden die nächste Attacke, indem er seinen Botschafter in Bern das Sanktionsregime des neutralen Kleinstaates kritisieren lässt. Washington wird keine Ruhe geben. Die Schweiz hatte nie eine kohärente Strategie gegen das Powerplay. Jetzt schickt sie sich sogar an, von sich aus die Standortfaktoren zu verschlechtern.
Einst waren die Schweiz und ihre Banken Synonyme. Diese Symbiose ist vorbei. Seit der Bankier zum amerikanisch sozialisierten Banker mutiert ist, schlägt ihm Ablehnung, bisweilen sogar Hass entgegen. In der Politik haben Banken – nimmt man einmal die von Politikern kontrollierten Kantonalbanken aus – nur noch wenige Freunde. Selbst für bürgerliche Politiker ist es inzwischen toxisch, sich für einen starken Finanzsektor allgemein und die UBS im Besonderen einzusetzen.
Der Markt ist die Lösung
In Bern zeigt keine Windfahne die vorherrschende Windrichtung zuverlässiger an als Gerhard Pfister. Er kritisierte Sergio Ermottis üppiges Gehalt als instinktlos. In der direkten Demokratie hätten solche Exzesse Folgen. Wenn die Unternehmen das nicht akzeptierten, müssten sie daraus Konsequenzen ziehen – was wohl heissen soll, dass sie dann die Schweiz verlassen sollten. Es ist ein Irrtum, dass der Populismus nur an den politischen Rändern gedeiht. Er existiert genauso in der Mitte.
Auf die Saläre der Spitzenleute reagieren alle Nichtbanker mit Kopfschütteln. Das aber kann kein Grund sein, die Regulierung zu überdehnen. Das Ziel muss es sein, die Balance zwischen den Bedürfnissen der UBS und den Vorkehrungen gegen den nächsten Crash zu finden. Es geht nicht darum, Banken aus moralischen Gründen zu bestrafen.
Handeln Politiker verantwortungsethisch und nicht gesinnungsethisch, lassen sie sich nicht von schwankenden Stimmungen leiten. Die Demokratie ist kein Freibrief für eine überzogene Einmischung der Politik in die Wirtschaft.
Es war ein Fehler, die Unternehmen zu überfrachten mit gesellschaftlichen Aufgaben wie Klimaschutz, Inklusion, Gender-Gerechtigkeit und anderen Modethemen. Der Trend flaut im Ausland schon ab. Sogar die EZB hat begriffen, dass ihr Job die Preisstabilität und nicht die Rettung der Welt ist. Die Schweiz sollte nicht mit der üblichen Verspätung den Moden hinterherlaufen.
Ein Übermass an Auflagen macht die nächste Krise sogar wahrscheinlicher. Wird die Ertragskraft der UBS unverhältnismässig geschwächt, macht das die Bank anfälliger und nicht resilienter. Will man den Bankenplatz stärken und vielfältiger machen, gibt es einen anderen Hebel als immer mehr Bürokratie: die Marktkräfte. Eine negative Folge des CS-Untergangs ist die Monokultur einer «Monsterbank». So hat die Metallindustrie bereits beklagt, dass die UBS neuerdings die Konditionen verschlechtere.
Ein Geldinstitut, das von seiner Grösse und Vernetzung ein echtes nationales Gegengewicht im Heimmarkt bilden könnte, wäre die Zürcher Kantonalbank. Will man sie entfesseln, sollte man sie privatisieren und die Staatsgarantie beenden. Das aber würde Mut erfordern und die Bereitschaft, Kontrolle abzugeben. Dies aber ist das Letzte, wozu die Politik bereit ist.
Die Entwicklung geht in die entgegengesetzte Richtung. Nach Deregulierung und Globalisierung schwingt das Pendel zurück. Der Staat überschätzt seine Steuerungsfähigkeit. Mit Zuckerbrot (protektionistischen Subventionen) und Peitsche (Regulierung und Zöllen) spielt er den Dompteur in der Manege.
Die Politik kann sich des Beifalls der Wähler sicher sein. Diese verlangen nach mehr Schutz angesichts von Krieg, Völkerwanderung und Wirtschaftssorgen. Doch die Behörden haben die Bankenkrise 2008 nicht vorhergesehen. Danach schufen die Too-big-to-fail-Regeln ein trügerisches Gefühl von Sicherheit. Der Zusammenbruch der CS traf die Aufseher erneut unvorbereitet.
Selbst härteste Auflagen können die nächste Krise nur bedingt abwenden. Wenn eine Bank so schlecht wirtschaftet wie die CS, fährt sie an die Wand. Regulatoren können das nicht verhindern. Das Biest namens Kapitalismus lässt sich nur begrenzt zähmen. Da es aber keine vernünftige Alternative gibt, werden wir mit der Unsicherheit leben müssen.