Der neue Mann auf der Münchner Bank hat einen grossen Namen. Doch er kommt mit einem Makel.
Vor einigen Tagen kursierte eine etwas kryptische Nachricht auf dem Kanal X. Diese besagte, dass Uli Hoeness, der Ehrenpräsident des FC Bayern, gefragt worden sei, was er denn vom Belgier Vincent Kompany halte. Hoeness habe abgewinkt: Die Bayern seien äusserst zufrieden mit ihren Innenverteidigern Matthijs de Ligt und Eric Dier.
Nun aber kommt ebendieser Kompany zum FC Bayern: Der Trainer, der zuletzt beim Premier-League-Absteiger Burnley unter Vertrag stand, unterschrieb am Mittwoch einen Kontrakt bis zum 30. Juni 2027.
39 Jahre ist Kompany alt; nur der im Frühjahr letzten Jahres entlassene Julian Nagelsmann war auf dieser Position jünger als er. Somit ist zu einem Ende gekommen, was unendlich schien: die Suche der Bayern nach einem Coach. Kompany tritt in der Gewissheit an, vielleicht nicht die siebente oder achte Wahl zu sein, mindestens aber die fünfte oder sechste.
Vertrag bis 2027: Vincent Kompany neuer Trainer des FC Bayern. 🔴⚪
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— FC Bayern München (@FCBayern) May 29, 2024
Die Bayern erheiterten mit ihrer Suche die Republik
Die Zahl der Kandidaten, die nicht verfügbar waren beziehungsweise es nicht sein wollten, ist imposant. Julian Nagelsmann wollte nicht zurück nach München und lieber Bundestrainer bleiben; Ralf Rangnick folgte offenbar mysteriösen Einflüsterern und sagte ab, nachdem er schon zugesagt hatte; die Ablösesumme für den Österreicher Oliver Glasner, gegenwärtig in der englischen Premier League aktiv, gestaltete sich so exorbitant hoch, dass die Bayern sie sich nicht leisten wollten, Leverkusens Meistertrainer Xabi Alonso war früh aus dem Rennen.
Es waren turbulente Tage in München, bevor die Bayern sich mit Burnley und Kompany handelseinig wurden. Als die Absagen im gefühlten Zwei-Tages-Rhythmus bekanntwurden und die Bayern sich vergegenwärtigten, wie gross die Not ist, verfielen sie offenbar auf den Gedanken, dass das Gute vielleicht so nah sein könnte: Sie führten Gespräche mit dem bereits entlassenen Thomas Tuchel, der letztlich aber bloss bekräftigte, dass es bei der getroffenen Vereinbarung zur Vertragsauflösung zum Saisonende bleiben werde.
Die Bayern waren blamiert – und das auf die gründlichste Art. Dass sonst auch über allerlei Namen diskutiert wurde – Zinedine Zidane, Roberto De Zerbi, Erik ten Hag, Hansi Flick und Julen Lopetegui, der mit seiner vorsorglichen Absage einer Anfrage zuvorkam –, fügte sich ins Bild.
Als blossgestellt stand vor allem der Sportvorstand Max Eberl da, dem allem Anschein nach die Rückendeckung für ein kräftiges Votum fehlte. So blieb am Ende der ehemalige belgische Nationalspieler übrig, der zu seiner aktiven Zeit während vieler Jahre als Innenverteidiger Manchester Citys und der belgischen Nationalmannschaft so geachtet wie gefürchtet war.
Ein billiger Spass ist seine Verpflichtung nicht, obschon der Kandidat noch relativ unerfahren und, vor allem, titellos ist. Rund 15 Millionen Euro inklusive Boni dürfte die Bayern der Trainer-Transfer kosten, womit die Aufwendungen für Fussballlehrer in den letzten Jahren mittlerweile exorbitante Ausmasse annehmen. Julian Nagelsmann wurde für mehr als 20 Millionen Euro von RB Leipzig geholt, er musste nach seinem Rauswurf ebenso abgefunden werden wie Thomas Tuchel. Ein Boulevardblatt beziffert die Aufwendungen der Bayern für ihre Trainer jüngst auf 62 Millionen Euro in den letzten Jahren. Dabei dürfte es sich um eine äusserst konservative Schätzung handeln.
Kompany wird sich gut verständigen können
Nun hofft Manager Max Eberl, der als grösster Fürsprecher des Belgiers gilt, dass die Investitionen sich rentieren. Auf den ersten Blick macht der Neue einen hervorragenden Eindruck. Kompany gilt als äusserst smart. Verständigungsprobleme wird der Trainer in München nicht haben. Er ist nicht nur beinahe polyglott (neben Flämisch und Französisch spricht er Englisch, Spanisch und Deutsch), sondern auch äusserst eloquent.
Allenthalben wird ihm eine äusserst integre Art attestiert, wobei ihm diese angesichts der byzantinisch anmutenden bayrischen Ränkespiele zum Nachteil gereichen könnte. Bloss sind die Münchner längst nicht mehr so gut darin, ihre Interna vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Die quasi nicht vorhandene Diskretion während der Trainersuche sorgte republikweit für grosse Erheiterung.
Nahezu jeder glaubte, verlässliche Kenntnisse der Vorgänge zu haben, wie etwa jenes Detail, wonach Uli Hoeness bis zuletzt für Hansi Flick votiert habe und nicht für Kompany. Flick wurde am Mittwoch als neuer Barça-Trainer vorgestellt. Ebenso macht schon jetzt die Erzählung die Runde, dass das Schicksal Eberls unweigerlich an das Gelingen des Projekts Vincent Kompany gebunden ist.
Es ist eine fussballkonforme Variante der Kremlologie, der Auslegung von Geschehnissen hinter Festungsmauern, mögen diese im Fall der Säbener Strasse in München auch gar nicht hoch und massiv sein. All diese Diskussionen, so unterhaltsam sie auch sein mögen, haben allerdings für die Bayern einen fatalen Effekt: Der neue Mann ist schon beschädigt, bevor er seinen Posten überhaupt angetreten hat. Die Diskussion um Eignung oder Nichteignung des Belgiers dürfte auch an den Spielern kaum vorbeigegangen sein. So zitieren deutsche Zeitungen genüsslich die Vorbehalte mancher englischer Experten gegenüber Kompany, der zwar für fleissig und fussballsachverständig, aber eben auch für ein wenig naiv in seiner Herangehensweise gehalten wird.
Doch genau darin liegt, so paradox es klingen mag, die Chance für Kompany und die Bayern. Das Enttäuschungspotenzial ist beschränkt, mit guten Leistungen hingegen kann er positiv überraschen. Auch Kompany ist die Teilnahme an der Champions League durchaus zuzutrauen. Als Favorit gehen die Bayern ohnehin nicht in die kommende Saison.
In Burnley konnte er viel Geld ausgeben
Kompanys bisherige Jobs können zudem nur bedingt Aufschluss über sein Können geben. Seine Zeit beim belgischen Rekordmeister RSC Anderlecht, seinem Heimatklub, war durchwachsen, ebenso diejenige mit Burnley in der zweiten englischen Division und der Premier League. Mit Burnley stürmte Kompany in die höchste englische Spielklasse – stieg aber prompt wieder ab, und zwar mit einer soliden Distanz von acht Punkten auf die Nicht-Abstiegsränge. Was in der zweiten Liga funktionierte, genügte in der ersten nicht mehr: Hatte Burnley gegen die spielerisch limitierten Teams der zweiten Division mit durchaus gepflegtem Fussball überzeugt, so wurden dem jungen Trainer in der Premier League die Grenzen aufgezeigt.
Kompany hat den Aufsteiger Burnley mit Summen aufrüsten können, von denen das Gros der Bundesligaklubs nur zu träumen vermag: Rund 100 Millionen Euro wurden investiert. Der Hinweis, dass Kompany für sein anspruchsvolles Spiel das entsprechende Personal fehlte, führt daher in die Irre.
All das entkräftet ein wenig das Gütesiegel des Guardiola-Adjutanten im Team von Manchester City, das Kompany als Captain anführte. Der Trainer-Guru Pep Guardiola bekräftigte am Wochenende seine Wertschätzung für «Vinny» und wünschte den Bayern, die er einst zu drei Meistertiteln führte, die bestmögliche Entscheidung bei der Vergabe des Trainerpostens. Ob die Verpflichtung Kompanys das ist, wird sich zeigen müssen.