Die Regierung von Giorgia Meloni liegt im Dauerclinch mit Journalisten und Medienhäusern. Zudem macht sie Druck auf die RAI, Italiens öffentlichrechtlichen Sender. Wie steht es um die Pressefreiheit in Italien?
Diesen Vorwurf wollte sie dann doch nicht auf sich sitzen lassen. Als kürzlich die EU-Kommission die Warnglocke ertönen liess und Italiens Medienpolitik kritisierte, setzte sich die Hausherrin im Palazzo Chigi in Rom an ihren Schreibtisch und formulierte einen Brief. In einem Bericht über den Zustand der Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten hatte die Brüsseler Behörde zuvor die angebliche Einschüchterung von Journalisten in Italien gerügt und die Situation bei der RAI beklagt.
«Cara Ursula», schrieb Meloni also an die Adresse der EU-Kommissions-Präsidentin, Ursula von der Leyen. Es sei bedauerlich, so die Ministerpräsidentin, dass nicht einmal der Bericht der EU von den «Profis der Desinformation und Mystifizierung verschont geblieben» sei. Die Regierung in Rom unternehme selbstverständlich alles, um die Grundwerte der EU zu gewährleisten und die freie Information «mit Nachdruck voranzutreiben». Die Vorhaltungen in Sachen Pressefreiheit seien «plump und fadenscheinig».
Gegenüber Journalisten im Inland wurde die Regierungschefin noch deutlicher. Das Brüsseler Dokument sei technischer Natur, es sei aber von einigen italienischen «Interessengruppen» instrumentalisiert worden und gebe einfach die Kritik von Zeitungen wie «Domani», «Il Fatto Quotidiano» und «La Repubblica» wieder – von linken und linksliberalen Blättern also, die der Regierung überaus skeptisch gegenüberstehen. Anders gesagt: Italiens Regierungschefin unterstellte ihren Kritikern, das negative Zeugnis der EU über Italien beeinflusst zu haben.
Die Meloni wohlgesinnten Medien nahmen den Ball auf und publizierten kurzerhand eine Liste von vermeintlichen «Anti-Meloni-Journalisten», was wiederum die Journalistenverbände des Landes veranlasste, vor einem Rückfall in «illiberale» Zeiten zu warnen.
Kleinliche Interventionen
Zweifellos, der Ton in Italiens Politik ist ruppig, das Land ist stark polarisiert, ein tiefer Graben trennt die politischen Lager, die gemässigte Mitte hat, teilweise selbst verschuldet, einen schweren Stand. Das zeigt sich auch in der Mediendebatte, und entsprechend schwierig ist es mitunter, die Übersicht zu wahren. Tatsächlich häufen sich in letzter Zeit die Nachrichten über kleinliche und weniger kleinliche Interventionen seitens der Regierung. Ein paar Beispiele:
- Eine freie Journalistin wurde kürzlich zur Zahlung einer Busse von 5000 Euro an Giorgia Meloni verurteilt. Die Journalistin hatte sich 2021, als Meloni noch Oppositionsführerin war, auf dem Kurznachrichtendienst X über die geringe Körpergrösse der Politikerin lustig gemacht. Ähnlich erging es im letzten Herbst dem bekannten Autor Roberto Saviano. Ein Gericht in Rom verpflichtete ihn zu einer Strafzahlung in der Höhe von 1000 Euro, weil er Meloni im Jahr 2020 im Fernsehen beleidigt hatte. In beiden Fällen hatte Giorgia Meloni darauf verzichtet, die Klagen fallen zu lassen, nachdem sie Regierungschefin geworden war, obwohl sie sich in dieser Funktion härtere Kritik gefallen lassen muss.
- Als kürzlich eine Undercover-Recherche des Nachrichtenportals «Fanpage» Bilder von antisemitischen und den Faschismus verherrlichenden Umtrieben der Jugendorganisation der Fratelli d’Italia ans Tageslicht brachte, distanzierte sich Meloni klar von diesen Vorgängen – um sogleich auch die Enthüllungsmethoden der Journalisten zu kritisieren. «Das sind die Methoden autoritärer Regime», polterte sie.
- Bei der RAI ist es in kurzer Zeit zu Abgängen prominenter Journalisten gekommen. Ob das – direkt oder indirekt – etwas mit der Machtübernahme durch die Regierung Meloni zu tun hat, ist schwer zu beurteilen. Tatsache ist, dass die Sender an Profil verloren haben und Rückschläge bei den Einschaltquoten haben hinnehmen müssen. Als im Frühling der Schriftsteller Antonio Scurati in der RAI über Mussolini und den italienischen Faschismus hätte reden sollen und kurzfristig wieder ausgeladen wurde, machten Zensurvorwürfe die Runde.
- Es sind aber beileibe nicht nur linke Journalisten, die den kalten Atem der Regierung zu spüren bekommen. Selbst «Il Foglio», eine liberale, auf die Marktkräfte setzende Tageszeitung, bleibt nicht verschont. Luciano Capone weiss ein Lied davon zu singen. Als scharfzüngiger Kolumnist verschont er die Regierung nicht mit Kritik, weil sie seiner Ansicht nach eine protektionistische und etatistische Politik betreibt. Als er deswegen empfahl, den Industrieminister Adolfo Urso künftig «Urss» zu nennen, was im Italienischen die Abkürzung für Sowjetunion ist, trug ihm dies eine Verleumdungsklage ein. Urso fordert von Capone nicht weniger als Schadenersatz in der Höhe von 250 000 bis 500 000 Euro.
Lässt sich aus diesen und weiteren Episoden nun schliessen, dass die Pressefreiheit im Italien von Giorgia Meloni grundsätzlich gefährdet ist? Im jährlichen weltweiten Ranking der Pressefreiheit ist das Land jedenfalls um fünf Plätze auf Rang 46 abgerutscht.
Verpolitisierte RAI
In der Debatte wird einiges durcheinandergebracht. Die RAI etwa, Italiens öffentlichrechtliche Sendeanstalt, ist seit je Spielball der Politik. Jede Regierung, egal welcher Couleur, versucht, ihre Hand auf sie zu legen und Gefolgsleute an den wichtigen Schaltstellen zu platzieren. Diesbezüglich agiert Giorgia Meloni nicht wesentlich anders als ihre Vorgänger. Versuche, die RAI grundsätzlich von den Ränkespielen der Politik fernzuhalten, sind demgegenüber Stückwerk geblieben.
Luciano Capone, der Kolumnist, der sich mit der Schadenersatzklage von Industrieminister Urso konfrontiert sieht, glaubt nicht, dass sich die Situation unter Meloni verschärft hat. Er habe in der Vergangenheit ähnliche Klagen erhalten, unter anderem von Abgeordneten der linkspopulistischen Fünf-Sterne-Bewegung. Das Problem seien vielmehr die falschen Anreize, meint Capone. «Klagen kosten denjenigen nichts, der sie erhebt, aber sie kosten denjenigen viel, der sie erhält, selbst wenn er nie verurteilt wird.» Nur wenige Verlage könnten sich teure Klagen und lange Verfahren leisten.
Ähnlich argumentiert Giovanni Orsina, Professor für Zeitgeschichte an der Luiss-Universität in Rom. «Ich glaube nicht, dass die Pressefreiheit heute stärker eingeschränkt ist als früher.» Allerdings sei der Journalismus in Italien schon immer «fragil» gewesen. Viele Verleger stammten aus Publizistik-fremden Bereichen und erwirtschafteten ihr Geld in Sektoren, in denen die öffentliche Hand grosses Gewicht habe. Ausserdem gebe es traditionell eine grosse ideologische Nähe der Verlage zur Politik. «Der italienische Journalismus ist frei, sehr unvollkommen zwar, aber frei», so bilanziert Orsina. Daran habe sich bis heute nichts Wesentliches geändert. Die Nachrichten über den vermeintlichen Niedergang der Pressefreiheit hält er für politisch verbrämt – «sie kommen von einem Journalismus, der es versäumt, der Regierung ernsthaft etwas entgegenzusetzen», so Orsina. «Und da gäbe es weiss Gott einiges.»
«Vittimismo» als Leitmotiv
Und die zahlreichen Interventionen der Meloni-Regierung, die Schadenersatzforderungen wegen Lappalien?
Viele Beobachter, auch Orsina, halten sie für eine Konsequenz der für Giorgia Meloni typischen Opferhaltung, des sogenannten «vittimismo», den sie hegt und pflegt. Sie, die es aus einfachen Verhältnissen ganz nach oben geschafft hat, wird nicht müde zu betonen, wie viele Steine ihr dabei in den Weg gelegt worden seien und wie sie von der sogenannten guten Gesellschaft ausgeschlossen worden sei. Das erklärt die Beharrlichkeit, mit welcher sie an den Klagen festhält. Und die Wortwahl, mit der sie auf Kritik reagiert.
Selbst in dem Brief, den sie an «Cara Ursula» adressiert hat, dringt diese Haltung durch. Bei der RAI, so schrieb sie darin, habe man ihre Fratelli d’Italia immer aussen vor gehalten. «Als einzige Oppositionspartei wurden sie vom RAI-Verwaltungsrat ausgeschlossen, was gegen jeden Grundsatz des Pluralismus im öffentlichen Dienst verstösst.»
Jetzt, da sie es kann, dreht das Opfer den Spiess um.







