Seit dem Telefonat von Karin Keller-Sutter mit Donald Trump wird aber wieder gehofft.
Die schweizerische Beziehung zu den Vereinigten Staaten von Amerika ist eine Chronik der enttäuschten Hoffnungen. Als Donald Trump seine Strafzölle verkündet, reagiert Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter zuerst schlicht: «enttäuscht». Das Wörtchen erzählt schon die ganze Geschichte – über eine alte Täuschung, die einmal mehr der Enttäuschung weichen musste.
Die Schweiz bezeichnet sich häufig als «sister republic» der USA. Die Beziehungen seien «sehr gut», schreibt der Bundesrat in seiner Amerika-Strategie – «in dieser Tiefe» gebe es das mit keinem anderen aussereuropäischen Land. Nur um dennoch prognostizieren zu müssen, «dass die USA (. . .) in erster Linie ihren Eigeninteressen verpflichtet bleiben und diese mit dem breiten Spektrum ihrer Machtmittel durchzusetzen suchen».
Die Schweiz scheint in diesen Tagen nicht vor allem enttäuscht über die Zölle, sondern darüber, nach der gleichen Formel behandelt zu werden wie fast alle anderen Länder auch.
«Grundsätzlich ist ja Trump der Schweiz wohlgesonnen», erklärt der frühere Botschafter Thomas Borer, «wir sind ein liberales, offenes Land.» Es müsse daran liegen, dass die Schweiz und ihre Diplomaten keine «belastbare Beziehung» zum «inner circle» von Trump aufgebaut hätten. Die grössten Trump-Freunde glauben zuerst an einen Rechnungsfehler. Und lassen sich die Zölle nicht sogar als dargebotene Chance für die Schweiz deuten? So versucht es die «Weltwoche». In dem amerikanischen Handelsbericht komme die Schweiz nur auf drei Seiten dran: «Es sollte für den Bundesrat ein Leichtes sein, die Hindernisse wegzuräumen.» Auf der Titelseite ist Trump mit seiner Zolltafel zu sehen, darunter steht: «Der Befreier».
«Don’t expect a free lunch»
Die Befreiung kommt einst tatsächlich aus Amerika – vor 80 Jahren, am Ende des Zweiten Weltkriegs. Doch das Verhältnis zwischen Grossmacht und Kleinstaat ist schon damals zwiespältig, mit der Befreiung kommen Erwartungen.
Die Schweiz muss schnellstmöglich Hindernisse wegräumen, um wieder ins Geschäft mit Amerika zu finden. Im Vergleich zu heute sind sie ungleich höher und vor allem selbstverschuldet: Es geht um die Verstrickungen mit Nazi-Deutschland. «Ihr Schweizer seid ja ganz nette Leute», heisst es aus Washington. «Wir machen Euch aber nachdrücklich darauf aufmerksam, dass für die Schweiz die Stunde geschlagen hat, zu zeigen, wo sie moralisch und wirtschaftlich steht.» Die USA blockieren Schweizer Vermögenswerte, setzen Firmen auf schwarze Listen. Es braucht das Geschick des Diplomaten Walter Stucki und eine Entschädigungszahlung von 250 Millionen Franken, um den Konflikt im Jahr 1946 zu entschärfen. Aber zu Beginn des Kalten Kriegs drängen die USA den neutralen Kleinstaat bereits wieder, sich dem Sanktionsregime der Nato gegenüber dem Ostblock anzuschliessen.
«Im allgemeinen, dünkt mich, ist Amerika eher unbeliebt», resümiert Max Frisch in den 1950er Jahren. Unter dem Titel «Unsere Arroganz gegenüber Amerika» spricht er über das kulturelle Unbehagen der Schweiz, das er auf die Dominanz Amerikas zurückführt: «einer Tatsache also, die uns zum sachlichen Interesse zwar nötigt, aber unser Interesse nicht eben fördert; denn jede Nötigung weckt Unlust». In Europa blicke man auf Amerika wie auf eine Kolonie, die zur Weltmacht geworden sei.
1954 folgt die nächste Nötigung. Der republikanische Präsident Dwight D. Eisenhower erhöht massiv den Zoll, und zwar ausgerechnet auf das schweizerischste aller Produkte: die Uhren. Die Importe aus der Schweiz würden der heimischen Industrie schaden, lautet seine Begründung. Der Bundesrat ist geschockt. Politik und Zeitungen sprechen von einem «Uhrenkrieg». Trotz diplomatischer Offensive endet er erst 1967.
Zwar steigt in jenen Jahren das Prestige der USA. Der «American Way of Life» wird zum nachahmenswerten Ideal der bürgerlichen Schweiz. Die Handelsbeziehungen und die gegenseitigen Hoffnungen intensivieren sich. In den diplomatischen Berichten aus Washington wird in den 1970er und 1980er Jahren fast nur Erfreuliches nach Bern rapportiert: eine «besondere Wärme» gegenüber unserem Land, zudem «betont positive Einstellungen».
Allerdings bestehe «in dieser schweizerischen Harmonie ein einziger Missklang», heisst es schon 1962: die Banken und deren angeblich fehlende Zurückhaltung bei «dirty money». Bald kabelt der Schweizer Botschafter nach Bern, es sei «nicht ausgeschlossen, dass die Frage des Bankgeheimnisses mit der Zeit zu einem ernstlichen Politikum in den schweizerisch-amerikanischen Beziehungen werden könnte».
Die Schweiz wurstelt sich durch, passt Gesetze an, wo der amerikanische Druck zu hoch wird. Das Bankgeheimnis bleibt vorerst unangetastet. Fritz Leutwiler, der Präsident der Schweizerischen Nationalbank, spricht schon 1983 von einem «gewissen Justizimperialismus der USA», der ein «echtes Problem» sei.
Im Jahr 1991 enttäuscht ein Schweizer Wirtschaftsdiplomat in einem Leitfaden in wenigen Zeilen die ewigen Hoffnungen: «Don’t expect a free lunch in Washington. (. . .) Man wird immer zur Kasse gebeten, auch wenn man glaubt, die Angelegenheit sei längst erledigt.»
Erloschene Liebe
Mitte der neunziger Jahre trifft eine solche Altlast die Schweiz mit voller Wucht: die nachrichtenlosen Vermögen und das Raubgold aus der Nazi-Zeit. Der Jüdische Weltkongress, der Anwalt Ed Fagan und der republikanische Senator Alfonse D’Amato aus New York stellen die Schweiz an den Pranger. Der überforderte Bundesrat schlittert in die grösste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Er setzt eine Task-Force unter Leitung des Diplomaten Thomas Borer ein, der mithilfe von amerikanischen PR-Agenturen in den USA lobbyieren und eine Lösung finden soll.
Wenig hilfreich ist dabei, dass Bundespräsident Jean-Pascal Delamuraz im Dezember 1996 das wohl ungeschickteste Interview der Bundesratsgeschichte gibt: «Gewisse Senatoren» mit «gewisser Unterstützung» wollten das Land «destabilisieren und diskreditieren», sagt Delamuraz. Es gehe «um nichts anderes als um die Zerstörung des Finanzplatzes Schweiz». Die Idee eines Entschädigungsfonds für Holocaust-Opfer nennt er «Erpressung». Das amerikanische Aussendepartement bezeichnet Delamuraz’ Aussagen umgehend als «alberne Beschuldigung». Der Ton ist gesetzt.
Kurz darauf schreibt der Schweizer Botschafter in Washington in einem internen Strategiepapier, das an die Medien gelangt, von einem «Krieg, den die Schweiz an der Aussen- und Innenfront führen und gewinnen muss». Das amerikanische Aussendepartement kontert: Dies zeuge von einer «besorgniserregenden Verirrung». Auf beiden Seiten wird mit Boykotten gedroht.
Der Antiamerikanismus, zuvor vor allem bei den Linken verbreitet, ist in der bürgerlichen Schweiz angekommen. Christoph Blocher, der wenige Jahre zuvor noch gesagt hat: «Ich mag die Amerikaner sehr, ihren freiheitsliebenden Geist», und der sogar vorschlug, die Schweiz solle sich der nordamerikanischen Freihandelszone Nafta anschliessen, sieht in ihnen nun skrupellose Erpresser: «Das ist eine unzulässige Einmischung eines fremden Staates!» Auch Freisinnige empören sich: «Das müssen wir uns nicht bieten lassen», ärgert sich Nationalrat Jean-Pierre Bonny. Und Ernst Mühlemann, der Brigadier, Bankkadermann und «Schattenaussenminister» des Landes, geht noch weiter: «Meine Liebe für die USA ist erloschen.»
Zwar kommt es 1998 zu einer aussenpolitischen Entspannung, als sich die Schweizer Grossbanken zu einer Zahlung von 1,25 Milliarden Dollar zugunsten von Holocaust-Überlebenden und deren Nachkommen verpflichten. Aber die jahrzehntelange besondere Beziehung zu den USA hat sich abgekühlt.
Im Jahr 2003 ergibt eine Umfrage der «Weltwoche»: «Die Amerikafeindlichkeit in der Schweiz hat extreme Ausmasse angenommen.» 57 Prozent der Schweizer hätten eine eher schlechte oder sehr schlechte Meinung von Amerika – es ist ein europäischer Rekordwert. Das hat mit den Kriegen von George W. Bush in Afghanistan und im Irak zu tun. Aber nicht nur: Der Streit um die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg hat tiefe Spuren hinterlassen. Und der Kampf um den Finanzplatz geht unvermittelt weiter.
Abschied von Amerika
Im Jahr 2009 verkündet der bekannteste Privatbankier der Schweiz – auch wenn es schmerze – den «Abschied von Amerika»: einem Land, «das über die letzten 60 Jahre unbestreitbar zu den weltweit aggressivsten Nationen gehört hat», das geheime Gefängnisse unterhalten und fragwürdige Regime gestützt habe, ein Land, das «immer noch die Todesstrafe kennt». Die Abrechnung kommt aus St. Gallen, vom Wegelin-Teilhaber Konrad Hummler.
In seinem Anlagekommentar beschreibt er Amerika als militärische Weltmacht, die in Schulden- und Problembergen versinke – was jenes «aggressive Potential» berge, das auch die Schweiz zu spüren bekomme. «It’s time to say Goodbye», schreibt Hummler, der zu dem Zeitpunkt noch nicht ahnen kann, dass er das «aggressive Potential» bald selbst spüren würde: nicht als Anleger, sondern als Teilhaber von Wegelin.
Es geht um das Bankgeheimnis. Zwar hat die Schweiz bereits in ein Abkommen mit den USA eingewilligt, das den Austausch von 4450 UBS-Kundendossiers regelt – um damit, so denkt man, das verbleibende Restgeheimnis zu verteidigen. Das Abkommen sei ein «Friedensvertrag», hofft Bundesrätin Micheline Calmy-Rey.
Aber die Angriffe aus Amerika lassen nicht nach. Über Nacht werden Bankkundenberater zu Angeklagten – verdächtigt der «Verschwörung gegen die USA». Ein Steueranwalt namens Bill Sharp erklärt der Schweiz: «Was die USA damit sagen, ist: Wenn wir das Problem nicht einvernehmlich lösen können, dann nehmen wir halt eine Bank nach der anderen ins Visier.» Einvernehmlich bedeutet natürlich: im Sinne von Amerika.
Die bürgerliche Schweiz – dem kapitalistischen Amerika historisch verbunden – verliert die Geduld. Christoph Blocher, mittlerweile ehemaliger Justizminister, sagt: «Amerika kennt nur Justizspektakel. Das ist kein Rechtsstaat im schweizerischen Sinn.» Der Financier Tito Tettamanti, der in seinem Berufsleben «sehr viel und hart» mit Amerikanern verhandelt habe, verkündet seine innere Emigration aus den USA: «Ich war immer ein Verehrer der Amerikaner und von ihrem kapitalistischen System. Doch seit dem Fall der Mauer (. . .) sind die Amerikaner arrogant geworden.»
Rückzugsgefecht
Das ungleiche schweizerisch-amerikanische Verhältnis lässt sich seit Jahrzehnten selbst in der codierten Sprache der Diplomatie erkennen: Mit zunehmendem Druck aus den USA zeigt sich die Schweiz jeweils «enttäuscht» (Karin Keller-Sutter) oder zumindest «erstaunt» (Eveline Widmer-Schlumpf). Nur um sich dann doch zu arrangieren und «entschlossen» zu handeln, was wiederum die USA freundlich lächelnd als «positiven Schritt» loben.
Der Kampf um das Bankgeheimnis ist ein Rückzugsgefecht. Am Ende müssen Konrad Hummler, Wegelin und die Schweiz kapitulieren: Die älteste Privatbank überlebt eine Anklage wegen «Verschwörung zum Betrug an den Vereinigten Staaten durch Verheimlichung nicht deklarierter Konten von US-Steuerzahlern» nicht. Und die Schweiz gibt mit dem Bankgeheimnis eines ihrer erfolgreichsten Geschäftsmodelle auf.
Die Moral der kleinstaatlich-grossstaatlichen Beziehung erzählt die Pointe der Geschichte: Während sich die Schweiz mit dem automatischen Austausch von Bankdaten arrangiert, lehnen die USA diesen Standard ab – und positionieren sich, mehr oder weniger offiziell, als «neue Schweiz». Der Grosse hat die Macht, dem Kleinen bleibt die Hoffnung.
Weiter hoffen
So hofft die Schweiz seit Jahren auf ein Freihandelsabkommen. Oder wenigstens auf einen nächsten Termin im Weissen Haus. Als zuletzt Ueli Maurer bei Donald Trump eingeladen war, hinterliess er seinen Wunsch mit schlechtem Englisch und gutem Willen: «Togethe ahead!» Vom Besuch im Jahr 2019 bleibt ein symbolisches Bild: Maurer, wie er sich ins Gästebuch einschreibt, und Trump, wie er hinter ihm über ihn wacht.
In dieser Woche hat ein 25-minütiges Telefonat von Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter mit Donald Trump die Phantasie angeregt: Noch bevor die Europäische Union einen Termin erhält, kommt die Schweiz mit den Vereinigten Staaten von Amerika ins Gespräch. Ist das nicht der Beweis einer speziellen Beziehung? Es besteht, wie immer, Hoffnung.