Der Zustand der SBB-Anlagen hat sich verschlechtert. Bis ins Jahr 2028 will der Bund den Bahnen nun zwei Milliarden Franken mehr zur Verfügung stellen. Das hat auch Folgen für den Ausbau.
Bahnchefs wie Thomas Küchler (SOB) und Vincent Ducrot (SBB) warnen bereits vor deutschen Verhältnissen. Sie befürchten, dass für den Unterhalt der Bahn in der Schweiz zu wenig Mittel zur Verfügung stehen. Die Warnungen untermauern die SBB mit dem Netzzustandsbericht für das vergangene Jahr, den sie der NZZ auf Anfrage zur Verfügung stellten. Mit diesem wird jährlich der Zustand der Infrastruktur analysiert.
Und der Zustand hat sich gegenüber dem Vorjahr leicht verschlechtert. Insgesamt klassieren die SBB diesen noch als «gut bis ausreichend». Der Rückstand bei der Erneuerung von Anlagen, die überaltert oder in ungenügendem Zustand sind, ist um zwei Prozent auf rund acht Milliarden Franken angestiegen. Damit würden auch die Wahrscheinlichkeit von Ausfällen und die Unterhaltskosten zunehmen, schreiben die SBB. Bei den Geleisen, Weichen und Brücken rechnen sie in den kommenden Jahren mit einem überdurchschnittlichen Bedarf für die Erneuerung.
Im Vergleich zum benachbarten Ausland ist der Zustand des SBB-Netzes nach wie vor gut. So ist die Zuverlässigkeit auf Paradestrecken wie Mattstetten–Rothrist auf einem hohen Niveau. Netzzustandsberichte hätten auch eine politische Komponente, schrieb Peter Füglistaler, der Direktor des Bundesamts für Verkehr (BAV), unlängst auf der Plattform Linkedin. Deshalb gelte es die Einschätzungen kritisch zu hinterfragen. Doch der Trend geht in die falsche Richtung: Der Zustand der Anlagen der SBB verschlechtert sich seit längerem – zwar nur leicht, aber kontinuierlich.
Die SBB fordern deshalb, dem Substanzerhalt in den nächsten Jahren einen höheren Stellenwert beizumessen. Sonst leide rasch die Zuverlässigkeit und damit die Pünktlichkeit, schreibt Peter Kummer, der Chef der SBB-Division Infrastruktur im Vorwort.
16,4 Milliarden für vier Jahre
Das Lobbying der Branche hat gewirkt. Am Mittwoch hat der Bundesrat die nächste Leistungsvereinbarung für die SBB und die anderen Bahnen verabschiedet. Für die Jahre von 2025 bis 2028 sieht er 16,4 Milliarden Franken für den Betrieb und die Erneuerung von Schienen, Anlagen und Tunnels vor. Das ist zwar nicht so viel, wie es die Branche gefordert hatte, aber rund zwei Milliarden mehr als in der laufenden Vierjahresperiode – und 1,3 Milliarden mehr, als der Bundesrat in der Vernehmlassung vorgeschlagen hatte. Die Regierung steht damit zu einem ausfinanzierten Unterhalt, der auch gesetzlich Vorrang vor dem Ausbau hat.
Die Schweiz habe ein hervorragendes Bahnsystem, für das sie im Ausland beneidet werde, sagte Bundesrat Albert Rösti vor den Medien. «Dem müssen und wollen wir Sorge tragen.» Der Bund sehe mehr Mittel denn je vor, um das Bahnnetz kontinuierlich in einem guten Zustand zu halten, auch nach Abzug der Teuerung. Der grösste Teil der Gelder ist für den Substanzerhalt vorgesehen. Die zusätzlichen Mittel sollen es auch ermöglichen, baureife Projekte zu realisieren, um Bahnhöfe barrierefrei zu machen. Der Bund finanziert rund zwei Drittel der Kosten für den Unterhalt und Betrieb. Der Rest kommt über die Trassegebühren von den Bahnen und Nutzern.
Ein noch höherer Zahlungsrahmen würde dagegen kaum zu mehr Erneuerungsarbeiten führen, sagte Rösti. Diese würden unter laufendem Betrieb erfolgen und viel Personal benötigen. Das federführende BAV erlaubt sich in den Unterlagen einen Seitenhieb an die Branche. In den vergangenen Jahren seien bei einigen Bahnen nicht primär die finanziellen Mittel, sondern die ungenügenden Ressourcen und Zeitfenster für Bauarbeiten das Problem gewesen, schreibt es.
Finanzielle Engpässe absehbar
In der Botschaft ans Parlament betont der Bundesrat zwar, es bleibe genug Geld, um die laufenden und geplanten Ausbauprojekte umzusetzen. Zwei Milliarden Franken mehr für den Unterhalt heissen aber auch, dass im Bahninfrastrukturfonds (BIF) weniger Mittel für den künftigen Ausbau zur Verfügung stehen. Die geplante, befristete Subventionierung des Binnengüterverkehrs soll ebenfalls aus dem BIF finanziert werden. Ab dem Jahr 2029 zeichneten sich im Fonds Engpässe ab, falls alle Projekte realisiert würden, sagte Rösti.
Der Bundesrat will im Jahr 2025 die nächste Botschaft für den Bahnausbau in die Vernehmlassung schicken. Für das Paket sollen zwischen 10 und 15 Milliarden Franken zur Verfügung stehen. Bereits ist klar, dass es nicht für alle Wünsche der Kantone reichen wird. Alleine die von Basel und Luzern geforderten Tiefbahnhöfe mit Zubringerstrecken verschlingen enorme Summen. Zudem kommt es bei laufenden Ausbauprojekten zu Mehrkosten. Auf der West-Ost-Achse von Genf nach St. Gallen braucht es zusätzliche Massnahmen, weil die sogenannte Wankkompensation, die schnellere Kurvenfahrten von IC-Doppelstockzügen der SBB ermöglichen sollte, nicht funktioniert.
«Wir werden Geld für erste Etappen von Grossprojekten haben, aber nie in dem Umfang, wie es Ideen und Wünsche gibt», sagte der BAV-Direktor Füglistaler im April im Interview mit der NZZ. Gemäss Rösti wird der Bundesrat dem Parlament im Rahmen der Möglichkeiten des BIF Projekte vorlegen, die das beste Kosten-Nutzen-Verhältnis hätten.
Ungeachtet der steigenden Unterhaltskosten stockt das Parlament die Ausbauvorlagen des Bundesrats jedoch regelmässig auf. Die SBB als grösste Bahn nutzen die Diskussion deshalb auch für einen Weckruf. «Jeder Franken, der in den Ausbau investiert wird, verursacht Folgekosten von drei Prozent – und das Jahr für Jahr», rechnet der Infrastrukturchef Kummer im Netzzustandsbericht vor. Ein Ausbauprojekt für eine Milliarde Franken koste innerhalb von zehn Jahren also 300 Millionen für den Substanzerhalt. Das erklärt, weshalb die SBB-Führung beim weiteren Bahnausbau auf die Bremse drückt.
Immerhin enthält der neuste Netzzustandsbericht auch eine gute Nachricht: Die SBB sind weiterhin sicher. Gegenüber dem Vorjahr ereigneten sich auf ihrem Netz sogar deutlich weniger Zugsunfälle.