Weil es so gut läuft, macht Holcim eine Zäsur: Das grosse, schnell wachsende Nordamerika-Geschäft wird ausgegliedert – Holcim kappt alle Verbindungen. Der Rest erhält einen Chef, der genau weiss, was Jenisch von ihm will.
Aus einer Holcim macht Jan Jenisch zwei Holcim. Der Verwaltungsratspräsident und Firmenchef des weltgrössten Zement- und Baustoffherstellers will den Konzern aufspalten. Das Bemerkenswerte: Mit dem Nordamerika-Geschäft soll nicht nur ein grosser und besonders aussichtsreicher Teil des Konzerns ausgegliedert werden. Holcim will auch keine Beteiligung an dem künftigen Spin-Off halten.
Stattdessen gehe es um den Nutzen für die Aktionäre: «Die Holcim-Anteilseigner erhalten 100 Prozent der Aktien», sagt Jenisch im Gespräch mit der NZZ. «Wir sind keine Empire-Builder», kommentiert er die Absicht, einen elementaren Geschäftsbereich einfach ziehen zu lassen.
Die Zeiten eines Holcim-Imperiums sind vorbei
Das ist neu. Noch im Jahr 2015 übernahm Holcim den Lafarge-Konzern, um ein globales Zement-Imperium zu formen. Jetzt steht die grösste Neuorganisation seit jener umstrittenen Transaktion an. Diesmal soll eine Trennung mehr Wachstum ermöglichen. Der Anlass ist rein geografisch: Holcim vertreibt in den USA und Kanada ähnliche Produkte wie im Rest der Welt. Die Unternehmensteile sind also vergleichbar – passen aus Sicht von Jenisch aber dennoch nicht mehr unter dasselbe Dach.
«Wir machen das aus einer Position der Stärke heraus», sagt Jenisch. Das Geschäft in Nordamerika sei zu erfolgreich, um im Konzernverbund zu bleiben. «Es muss eigenständig geführt werden, um im Jahr 2030 einen Umsatz von 20 Milliarden Dollar zu erreichen», so Jenisch. Als Betriebsergebnis (Ebit) wird ein Wert von 5 Milliarden Dollar angepeilt. Die erhofften Relationen sind der übrigen Holcim mehr als ebenbürtig: Im Rest der Welt will der Konzern 2030 rund 22 Milliarden Franken umsetzen und 4 Milliarden Franken verdienen.
Diese Wachstumspläne basieren auf einem veränderten Angebotsmix. Ging es Holcim zu Zeiten von Lafarge noch primär um Zement, so sind zuletzt andere Baumaterialien für den Konzern immer wichtiger geworden. Jenisch, der Holcim seit 2017 als CEO führt, hat diesen Bereich durch viele Zukäufe aufgebaut. Im Gegenzug stiess er grosse Segmente wie die Zementproduktion in Brasilien und Indien ab. Das Schwellenländer-Geschäft mit Zement ist nicht nur ein Problem für die Klimabilanz, sondern bindet auch mehr Kapital und benötigt mehr Energie als die Produktion von hochwertigen Bauprodukten in entwickelten Ländern.
Dazu zählen zum Beispiel Dachmaterialien, in deren Herstellung Holcim stark investiert hat – und die USA, wo der Konzern mittlerweile 850 Betriebsstätten unterhält. Die Hoffnungssparte «Solutions & Products» steuert dort schon rund einen Drittel zum Umsatz bei. Fast die Hälfte des US-Erlöses wird mit Renovationen und Reparaturen erzielt. Das ist ein wichtiges Standbein, denn Neubauten sind stark vom Konjunkturzyklus abhängig.
In den USA sind die Aussichten gut – trotz Trump
Holcims weltweiter Umsatz ist von 2017 bis 2022 um 8 Prozent auf 29 Milliarden Franken gewachsen. Die Sparte Nordamerika legte in dieser Zeit um 78 Prozent auf 10 Milliarden Franken zu. Für 2023 werden lokal und global neue Rekorde erwartet – aber das Geschäft in den USA und Kanada wird profitabler sein als jenes im Rest der Welt. Holcim ist in den USA schon jetzt der grösste Zementproduzent und der drittgrösste Anbieter von Dachprodukten.
Mit der Ausgliederung soll sich der Bereich mit 16 000 Mitarbeitern besser auf amerikanische Kunden fokussieren können. Möglicherweise auch, weil weniger Rücksichten als in einer globalen Konzernstruktur genommen werden müssen und der Bereich seine eigenen Prioritäten setzen kann. Er wird ein amerikanisches Management und einen unabhängigen Verwaltungsrat erhalten. Ein Börsengang in den USA ist für das erste Halbjahr 2025 geplant.
Ein Grund für Holcims Optimismus in der weltgrössten Volkswirtschaft sind die Förderprogramme der Regierung von Präsident Joe Biden. Unter anderem mit dem Inflation Reduction Act werden Infrastrukturbauten gefördert. Unternehmen, die selbst Förderungen erhalten und deswegen ihre Produktionsstätten ausbauen, beauftragen ebenfalls Baufirmen – wovon wieder Holcim profitiert. Im Konzern herrscht Zuversicht, dass auch eine allfällige Wiederwahl von Donald Trump keinen fundamentalen Politikwechsel bedeuten würde.
Stabilität im Rest der Welt: Interner Nachfolger für Jenisch
Die «alte» Holcim schrumpft durch die Abspaltung erheblich. Sie zählt noch 48 000 Mitarbeiter und erzielt derzeit mehr als die Hälfte ihres Umsatzes in Europa. Noch vor der grossen Trennung wird sich der 58-jährige Jan Jenisch ab dem Frühjahr auf die Rolle als Verwaltungsratspräsident konzentrieren. Dieses Amt führt er seit Mai 2023. Übergangsweise behielt er den Posten als CEO.
Nun ist ein Nachfolger für die Geschäftsleitung gefunden. Anfang Mai übernimmt Miljan Gutovic den CEO-Posten. Er ist ein bekanntes Gesicht: Gutovic ist seit sechs Jahren beim Konzern mit Sitz in Zug tätig, zuletzt als Leiter des Europageschäfts. Jenisch kennt ihn sogar schon länger, denn zuvor war Gutovic 12 Jahre lang bei Sika beschäftigt, dem Schweizer Bauchemieriesen. Jenisch wiederum wechselte ebenfalls von Sika zu Holcim – und man könnte unterstellen, dass Jenisch mit der Diversifizierung von Holcim eine ähnliche Strategie verfolgt wie seinerzeit bei Sika.
Gutovic bringt viel Fachwissen, aber keine Sicht von aussen. Die hat für Jenisch auch nicht Priorität: «Es ist optimal, starke interne Kandidaten zu haben. Herr Gutovic kann ab dem ersten Tag voll loslegen», sagt Jenisch im Gespräch. Der starke Mann bei Holcim streitet ab, dass Gutovic zu eng auf den Pfaden bleiben muss, die er selbst ausgetreten hat. «Er hat nicht den Auftrag, es so zu machen wie ich», so Jenisch. «Gutovics Auftrag ist, 2024 zu einem weiteren Rekordjahr für Holcim zu machen.»