Die japanischen Selbstverteidigungskräfte versagen im Kampf um neue Rekruten. Statt billiger PR braucht es ein stärkeres Bewusstsein für die gestiegenen Sicherheitsrisiken in Ostasien.
Japan hat die sicherheitspolitischen Zeichen der Zeit erkannt. Tokio versteckt sich nicht mehr hinter dem Schutzschild Amerikas. Aufgeschreckt durch den Ukraine-Krieg, vollzieht Tokio eine Zeitenwende. Innerhalb von fünf Jahren verdoppelt die Regierung die Militärausgaben, sie sucht neue verteidigungspolitische Allianzen und geht in der Rüstungspolitik in die Offensive. Bloss bei der Beschaffung von Manpower für die Streitkräfte tritt die Inselnation auf der Stelle.
Als wäre es nur die Demografie
Gebetsmühlenhaft verweisen die Verantwortlichen auf das Demografieproblem. Japan schrumpft und altert wie kaum ein anderes Land auf dieser Welt. Künstliche Intelligenz, Automatisierung und unbemannte Waffensysteme mindern zwar den Personalbedarf. Dieses Potenzial schöpft die Hightech-Nation aber bereits in erheblichem Mass aus. Ein neuer Fregattentyp kommt mit zwei Dritteln der Besatzung des Vorgängermodells aus. Doch ohne Frauen und Männer in Uniform wird kein Krieg gewonnen.
Es führt kein Weg daran vorbei, sich um militärischen Nachwuchs zu bemühen. Manche Kampagnen der sogenannten Selbstverteidigungskräfte (SDF) wirken indes geradezu verzweifelt. So locken die Rekrutierer mit Wahlfreiheit beim Haarschnitt – flotte Frisuren statt Bürstenschnitt. Sie versprechen modernere Toiletten oder werben mit grösseren Steaks und geräumigeren Kajüten, die im U-Boot mehr Privatsphäre bieten. Neue Beratungsangebote richten sich an Opfer von sexueller Belästigung. Die Wirkung dieser Kampagnen? Gering.
Ihr Rekrutierungsziel verfehlen die japanischen Streitkräfte ebenso regelmässig wie deutlich. Nur die Hälfte des Personalbedarfs konnte in der jüngsten Ausschreibungsrunde gedeckt werden. Und dies, obwohl China und Nordkorea unentwegt demonstrieren, dass Japan eine starke militärische Abschreckung braucht. Chinesische Kriegsschiffe und Kampfjets loten immer unverfrorener die Grenzen aus. Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un testet wie besessen Raketen, die mit Atomwaffen bestückbar sind. Zudem teilt Japan umstrittene Grenzen mit einer dritten aggressiv-autoritären Grossmacht: Russland.
Trotz den gestiegenen Sicherheitsrisiken drehen sich die Rekrutierer mit ihren Lockrufen im Kreis. Gewiss, die Lebensbedingungen in den japanischen Kasernen sind verbesserungsfähig. Auch müssen die finanziellen Anreize stimmen, damit mehr junge Japanerinnen und Japaner sich für eine Militärkarriere entscheiden. Wenn Soldatenfamilien in der brütenden Sommerhitze auf die Klimaanlage verzichten müssen, weil deren Kosten das Haushaltsbudget sprengen, läuft etwas schief.
Ein Reputationsproblem
Und dennoch dürften diese Bemühungen wenig fruchten, solange es die politische Führung nicht schafft, die Kernbotschaft zu vermitteln: Die Sicherheitslage in Nordasien hat sich verschlechtert – das Land muss mehr tun, um sich gegen Gefahren zu wappnen, die von seinen Nachbarn ausgehen.
Japan, bis Ende des Zweiten Weltkriegs selber ein Aggressor, gefiel sich lange in der Rolle des friedliebenden Stabilitätsankers in Ostasien. In der pazifistischen Verfassung entsagte Japan dem Recht, als unabhängige Nation Krieg zu führen. Dabei schwang ein Gefühl moralischer Überlegenheit mit. Antimilitarismus gehört vielerorts zum guten Ton. Wer in diesem Klima dienen will, muss schon fast Scham überwinden.
Ausserhalb der Kasernenmauern begegnet die Bevölkerung den Armeeangehörigen bestenfalls mit Neugier, aber nur selten mit Respekt. Kein Wunder, sieht man auf den japanischen Strassen höchst selten Soldaten in Uniform. Elegantere Duschen und bessere Kasernenküche werden daran nichts ändern. Es braucht einen Bewusstseinswandel bei den Eliten – und Vorbilder, die ihn wirkungsvoll verkörpern.