Ein Anstieg des Yen hat die Rekordjagd am japanischen Aktienmarkt gestoppt. Exportfirmen drohen fallende Kurse, aber ein Kollaps des Marktes ist nicht zu erwarten. Eine Yen-Wende hätte nicht nur Verlierer, sondern auch einige Gewinner zur Folge.
Rasche Erholungen nach einem Aktienmarkt-Crash können trügerisch sein. Besonders hoch ist das Risiko derzeit in Japan, wo auch viele ausländische Anleger sind. Nach dem massiven Crash Anfang August, als der Leitindex Nikkei 225 innert zwei Tagen etwa 20 Prozent an Wert verlor, hat der Markt mehr als die Hälfte seiner Verluste wieder wettgemacht.
Am Donnerstag stieg der Index um 0,7 Prozent auf 38 211 Punkte. Damit liegt er nur noch rund 10 Prozent unter seinem Allzeithoch vom 10. Juli. Doch Experten warnen vor einem Risiko für den japanischen Markt: Der Yen, der derzeitige Motor des japanischen Markts, könnte weiter steigen.
Sein rasanter Fall hatte erst die Aktienkurse auf Rekordhöhe getrieben. Dann hatte sein plötzlicher Anstieg sie so stark wie nie nach unten gedrückt. Denn je schwächer die Währung, desto höher steigen bei der Umrechnung die Ergebnisse der japanischen Unternehmen in ihrem Auslandsgeschäft. Das geht so lange gut, bis die Währung steigt und sich der Trend – wie jetzt geschehen – abrupt umkehrt.
Für die Investoren stellt sich die Frage, wie es mit dem Yen weitergeht. Auch die bisherige Anlagestrategie, die auf die Exportfirmen als Gewinner einer Weichwährung setzte, gehört auf den Prüfstand.
Wie geht es weiter mit dem Yen?
Die grosse Frage bleibt kurzfristig die Richtung des Yen. Von 2021 bis Anfang Juli war Japans Währung um etwa 40 Prozent auf 161 Yen zum Dollar abgesackt. Das hatte den Nikkei 225 auf 42 426 Punkte getrieben. Seither hat sich der Yen um 8 Prozent aufgewertet.
Die japanische Investmentbank Nomura geht von einer andauernden Yen-Schwäche und damit einer weiteren Erholung des Aktienmarkts aus. Der Think-Tank Oxford Economics mahnt hingegen: «Die Möglichkeit weiterer Yen-Gewinne ist ein deutliches Risiko.»
Wie stark könnte der Yen werden?
Die japanische Volkswirtin Sayuri Shirai, die früher Mitglied im geldpolitischen Ausschuss der japanischen Notenbank war, sieht es ähnlich. «Sobald die amerikanische Notenbank beginnt, den Leitzins zu senken, wird der Yen allmählich aufwerten.»
Das Tempo der Zinssenkungen bestimmt dabei das Ausmass der Yen-Wende. Mögliche Zinsanhebungen durch die Bank von Japan würden den Trend verstärken. Denn der hohe Unterschied im Leitzins zwischen Japan und den USA von fünf Prozentpunkten verursachte erst die Yen-Schwäche. Sie könnte nun von beiden Seiten aus angegriffen werden.
Was bedeutet ein stärkerer Yen für den Aktienmarkt?
Schon beim jetzigen Niveau des Yen scheinen neue Aktienrekorde ausser Reichweite. Die US-Investmentbank JP Morgan Chase beispielsweise senkte ihr Kursziel für den Nikkei-225-Index von 42 000 auf 39 000 bis 40 000 Punkte. Steigt der Yen nun weiter, dürften die Kursziele erneut purzeln, weil Japans Aktien historisch gesehen schon recht hoch bewertet sind.
Derzeit werden die Werte im Nikkei zum 15,5-Fachen des erwarteten Gewinns gehandelt. Das ist günstig im Vergleich zu den USA. Aber im langjährigen Schnitt lag das sogenannte Kurs-Gewinn-Verhältnis in Japan nur beim 14-Fachen des Werts.
Ein Anstieg der japanischen Währung um 10 Prozent würde nun die Gewinne der börsennotierten Unternehmen im Schnitt um 8 Prozent senken, so rechnet die japanische Finanzgruppe Monex vor.
Wer wären die grössten Verlierer?
Die grössten Verlierer dürften die bisherigen Gewinner sein: Unternehmen mit einem hohen Anteil an Exporten oder einem grossen Auslandsgeschäft. Die Automobilindustrie liefert schon jetzt ein Beispiel.
Die Aktie des weltgrössten Autoherstellers Toyota verlor am Donnerstag gegen den Markttrend ein Prozent an Wert. Mit 2665 Yen wird die Aktie etwa ein Fünftel unter ihrem Juli-Hoch gehandelt.
Es gibt auch Gewinner neben den Verlierern
Bei der UBS bleibt man dennoch optimistisch: «Für einige Sektoren und Aktien bietet die Erholung der Aktienkurse nach wie vor Anlagechancen.» Unter den Empfehlungen sind sogar einige exportorientierte Branchen wie elektronische Bauteile und Halbleiterherstellungsanlagen.
Die japanische Investmentbank Nomura preist ein paar Unternehmen zum Kauf an, die sie noch für deutlich unterbewertet hält. Dazu gehört der Technikkonzern Panasonic, dessen Autoakku-Geschäft wächst. In der Halbleiterbranche rät sie zu globalen Konzernen wie dem Anlagenbauer Tokyo Electron und Advantest, einem Hersteller von Messgeräten.
Die Gewinner: Banken und der Binnenmarkt
Neben den Verlierern gibt es aber auch Gewinner einer Yen-Stärke. Das ist das Gros der auf den Binnenmarkt fokussierten Firmen. Sie litten bisher. Der schwache Yen verteuerte bisher nicht nur die Preise für Importe, allen voran Energie und Rohstoffe. Er senkte durch höhere Inflation auch die Kaufkraft ihrer japanischen Kundschaft.
Kommt es zu einer dauerhaften Yen-Wende, könnte der Binnenkonsum und damit das Wachstum und die Gewinne dieser Unternehmensgruppe steigen. Die UBS-Strategen raten daher ausser zu ausgewählten Hightech-Konzernen auch zu binnenmarktorientierten Unternehmen, besonders Immobilien und Banken, die zudem von steigenden Zinsen in Japan profitieren könnten.
Ausserdem gibt es für Japan-Investoren noch einen zusätzlichen Bonus-Faktor. Das sind die Reformen der Corporate Governance.
Bonus-Faktor: Corporate-Governance-Reformen
Die Regierung und die Tokioter Börse drängen Firmen seit Jahren massiv dazu, mehr auf Investoren zu hören, effizienter zu wirtschaften und ihren Marktwert zu steigern. Diese Botschaft scheint langsam anzukommen. Kei Okamura, Portfoliomanager des US-Fonds Neuberger Berman, stellt fest: «Die Denkweise der Manager hat sich geändert.» Die Zahl der Unternehmen, die deutlich unterhalb ihres Bilanzwerts gehandelt würden, nehme ab, während die Zahl der Manager zunehme, die Investoren zuhörten.
Ein Beispiel für das Umdenken liefert derzeit ein grosses Übernahmeangebot für Japans führenden Einzelhändler Seven & I Holdings, zu dem die globale Convenience-Store-Kette Seven-Eleven gehört. Der kanadische Einzelhandelsriese Alimentation Couche-Tard hat Anfang der Woche einen Kauf angeboten – und die Japaner haben ihn nicht sofort abgeschmettert. Ein Ausschuss soll über ihn entscheiden.
Das Resultat: Der Aktienkurs des japanischen Einzelhändlers liegt derzeit 18 Prozent über dem Kurs von Montagmorgen. Dieser Schock allein dürfte die Top-Etagen der börsennotierten Unternehmen ermuntern, ihre Profitabilität und ihren Marktwert zu erhöhen.
Das wiederum ist eine Botschaft, die Investoren interessieren wird. Denn damit könnte der japanische Markt selbst bei einem stärkeren Yen höhere Bewertungen rechtfertigen als bisher.