Die Bank of Japan wettet auf Wachstum, steigende Inflationserwartung und höhere Löhne. Die Märkte erwarten mindestens einen weiteren Zinsschritt in diesem Jahr.
Die japanische Zentralbank hat am Freitag ihren Leitzins auf 0,5 Prozent verdoppelt. Dies ist die dritte Zinserhöhung, seit die Bank of Japan (BoJ) im März 2024 ihren Negativzins aufgegeben hat. Auf diesem Niveau lag der Leitzins zuletzt vor 17 Jahren. «Der geldpolitische Kurs der BoJ weicht damit weiter von dem anderer Notenbanken ab», urteilt Izumi Devalier, Volkswirtin bei der Bank of America Securities in Tokio.
So hat Christine Lagarde, die Chefin der Europäischen Zentralbank, auf dem Weltwirtschaftsforum in der Schweiz gerade dezent niedrigere Zinsen angedeutet. Dagegen setzte die BoJ nach Jahrzehnten der Null- und Negativzinspolitik ihre Zinswende fort.
1995 senkte die BoJ die Zinsen erstmals auf 0,5 Prozent, um die negativen Folgen einer geplatzten historischen Aktien- und Immobilienblase zu bekämpfen. Seitdem haben sich Wirtschaft und Gesellschaft an extrem niedrige Kreditzinsen gewöhnt. Entsprechend gründlich hatte die Notenbank dieses Mal ihre Zinsanhebung vorbereitet.
Die Anleger hatten die Entscheidung erwartet und eingepreist. Die Finanzmärkte reagierten kaum auf die Nachricht. Denn um Überreaktionen zu vermeiden, hatten vorige Woche sowohl Notenbankchef Kazuo Ueda als auch sein Stellvertreter Ryozo Himino Reden gehalten, die nach Ansicht der meisten Beobachter auf eine Zinserhöhung hindeuteten.
Äusserungen von Japans Minister für wirtschaftliche Erholung, Ryosei Akazawa, wurden sogar als grünes Licht der Regierung für eine Zinserhöhung interpretiert. Die BoJ könnte verschiedene Faktoren in Betracht ziehen, «einschliesslich der Notwendigkeit eines politischen Spielraums, um die Zinsen im Notfall senken zu können», hatte Akazawa Anfang des Jahres gesagt. Es sei generell fraglich, ob das derzeitige Zinsniveau in Japan normal sei.
Moderates Wachstum und stärkere Inflation
Für Gregor Hirt, Global Chief Investment Officer bei Allianz Global Investors, spiegelt diese Kommunikationsstrategie die Absicht der BOJ wider, «Überraschungen an den Märkten zu vermeiden». Als Motiv nennt er den weltweiten Aktiencrash Anfang August 2024 nach einer überraschenden Zinserhöhung der BoJ Ende Juli. Aber auch die Wirtschaftsdaten stützten die Argumentation für eine Zinserhöhung, meint der Experte.
Tatsächlich zieht die Inflation in Japan wieder etwas an. Im Dezember stieg die Kerninflationsrate, also die Preissteigerung ohne frische Lebensmittel, auf drei Prozent. Das Inflationsziel der Bank of Japan liegt bei zwei Prozent. Einschliesslich der Preise für Obst und Gemüse stieg die Teuerungsrate sogar auf 3,6 Prozent und machte damit die Lohnerhöhungen für viele Japaner mehr als wett.
Die Notenbank erhöhte in ihrem Wirtschaftsausblick am Freitag sogar ihre Prognose für die Kerninflation in diesem Jahr um 0,5 Prozentpunkte auf 2,4 Prozent und um 0,1 Prozentpunkte auf zwei Prozent im Jahr 2026. Zudem rechnet die BoJ weiterhin mit einem moderaten Wirtschaftswachstum von rund einem Prozent – und erneut mit Lohnerhöhungen, die in grossen Unternehmen über der Inflation liegen könnten.
BoJ wettet auf stark steigende Gehälter
Notenbankchef Ueda hatte wiederholt die steigenden Reallöhne als entscheidenden Faktor für Zinserhöhungen genannt. Denn die Notenbank hofft auf eine positive Lohn-Preis-Spirale, bei der die Löhne schneller steigen als die Preise. Folglich soll die Kaufkraft der Japaner wachsen.
Im vergangenen Jahr hatten die höchsten Lohnerhöhungen in Grossunternehmen seit 30 Jahren diese Hoffnung in einigen Monaten sogar erfüllt. Ob sich dies in der Frühjahrsrunde wiederholen wird, bleibt abzuwarten. Die lokalen Niederlassungen der BoJ berichteten Anfang des Monats, dass auch in kleineren, regionalen Unternehmen die Bereitschaft zu Lohnerhöhungen zunimmt.
Zudem deuten erste Umfragen des Gewerkschaftsbundes Rengo unter seinen Mitgliedern darauf hin, dass die Lohnforderungen in diesem Jahr noch über denen des Vorjahres liegen werden.
Ein weiterer Unsicherheitsfaktor, der Amtsantritt des US-Präsidenten Donald Trump, hat bisher nicht für grosse Unruhe an den Märkten gesorgt. Auch wenn er derzeit von Forderungen nach Importzöllen und Zinssenkungen spricht, hat er noch keine konkreten politischen Schritte eingeleitet, die von den Anlegern als störend empfunden würden.
So urteilte die Zentralbank in ihrer geldpolitischen Stellungnahme, dass sich Konjunktur und Preise «im Grossen und Ganzen» wie erwartet entwickelten und die Unternehmen die Löhne weiter anheben wollten. Auch von höheren Zinsen erwartet sie keinen Schaden für die Wirtschaft, da sie unter der Inflationsrate liegen und Geld damit billig bleibt. «Die Realzinsen dürften deutlich negativ bleiben», heisst es abschliessend. Dies werde «die Konjunktur weiter kräftig stützen».
Weitere Zinserhöhungen
Diese Haltung ist umstritten. Im neunköpfigen geldpolitischen Ausschuss der BoJ gab es eine Gegenstimme. Auch einige Ökonomen sind der Meinung, dass die anhaltende Wachstumsschwäche keine Zinserhöhung rechtfertigt, aber die erneute Schwäche des Yen den Handlungsdruck erhöht.
Der Yen nähert sich wieder historischen Tiefstständen, was die Importpreise, insbesondere für Öl, Kohle, Gas und digitale Dienstleistungen, in die Höhe treibt. Stefan Angrick, Head of Japan and Frontier Markets Economics bei Moody’s Analytics, meint daher: «Die BoJ hat keine guten Optionen.»
Bleiben die Zinsen unverändert, besteht die Gefahr, dass der Yen schwächer wird, die Inflation steigt und die Kaufkraft der Haushalte und Unternehmen sinkt. Steigende Zinsen hingegen dürften kreditabhängige kleine und mittlere Unternehmen sowie Haushalte mit Hypotheken in Mitleidenschaft ziehen.
Diese Erwartung könnte sogar verhindern, dass steigende Reallöhne den Konsum ankurbeln. Toshihiro Nagahama, Chefökonom des Dai-ichi Life Research Institute, geht davon aus, dass der Konsum kaum angekurbelt würde. Denn laut einer Studie des Innenministeriums verwenden die Japaner ihre höheren Löhne aus Angst vor steigenden Zinsen eher für die vorzeitige Rückzahlung von Hypotheken als für den Konsum.
Bei allen Unterschieden gibt es einen Konsens: Experten und Investoren rechnen unisono mit weiteren, aber moderaten Zinserhöhungen in Japan. Volkswirt Angrick urteilt: «Die Kommunikation der Zentralbank schlägt einen zunehmend aggressiven Ton an.» Ihre geldpolitische Erklärung und der Bericht über die Wirtschaftsaussichten deute darauf hin, dass weitere Zinserhöhungen bevorstünden.
Takeshi Yamaguchi, Volkswirt bei Deutsche Securities in Tokio, prognostiziert Zinserhöhungen im Sechsmonatsrhythmus. Seine Kollegin Devalier von der Bank of America stimmt ihm zu. Sie glaubt aber, dass die Notenbank bei einem Prozent pausieren wird. Das entspräche dem unteren Ende des sogenannten neutralen Zinssatzes, bei dem der Zins das Wachstum weder stark fördert noch bremst. Nach Schätzungen der Zentralbank liegt dieser neutrale Zins irgendwo zwischen 1 und 2,5 Prozent.