Die britische Regierung ermahnt Gemeinden, weniger Geld zu verschwenden. Doch viele Kommunen kämpfen mit strukturellen Finanzproblemen. Und die bankrotte Stadt Birmingham schnürt das drastischste Sparprogramm ihrer Geschichte.
Für Birmingham war es ein schmerzhafter und historischer Moment: Während vor dem Rathaus Hunderte von Demonstranten protestierten, beschloss das Parlament diese Woche die einschneidendsten Haushaltskürzungen in der Geschichte der zweitgrössten britischen Stadt. Nachdem sich Birmingham im letzten September faktisch für bankrott erklärt hatte, mussten die Stadtbehörden nun unter dem Druck der Zentralregierung in Westminster ein Sparpaket im Umfang von 300 Millionen Pfund (338 Millionen Franken) schnüren.
Gravierende Fehler der Stadtregierung
Die Gemeindesteuern werden aufgrund einer einer Sondergenehmigung Londons schlagartig um über 20 Prozentpunkte erhöht. Und Hunderte von Beamten bangen um ihren Job. Die Unterstützung für Kunst- und Kulturinstitutionen wird so gut wie eingestellt – ebenso wie die Finanzierung des Transports für Schulkinder oder die Verfolgung von Anwohnern, die ihren Kehricht illegal entsorgen. Die regierende Labour-Partei Birminghams sprach von einem «verheerenden» Sparprogramm und bat die Bevölkerung um Entschuldigung.
Tatsächlich haben gravierende Fehler der Stadtregierung entscheidend zum Fiasko beigetragen. So hatten die Behörden vor den Folgen einer Lohngleichheitsklage so lange die Augen verschlossen, bis die Stadt ehemalige Mitarbeiterinnen auf einen Schlag mit 760 Millionen Pfund (856 Millionen Franken) entschädigen musste.
Und doch ist Birmingham kein Einzelfall. Seit 2018 sind acht englische Gemeinden faktisch bankrottgegangen, worauf sie unter der Aufsicht der Zentralregierung ihre Leistungen zusammenstreichen mussten. Gemäss einer Umfrage der Local Government Association (LGA) ist jede zehnte der 317 Gemeinden in England im laufenden Jahr akut vom finanziellen Ruin bedroht.
Im zentralistischen britischen Staat verfügen die Gemeinden nur über eine sehr limitierte Finanzautonomie. Die Möglichkeit, Steuern zu erheben, ist eng begrenzt, weshalb der Grossteil der Gemeindebudgets direkt aus der Kasse des Zentralstaats stammt. Nach der Finanzkrise von 2009 setzte die konservative Regierung von David Cameron Kostensenkungen auf breiter Front durch. Die heutige Regierung von Rishi Sunak verspürt angesichts der prekären Haushaltslage und der wirtschaftlichen Stagnation wenig Lust, den britischen Kommunen wieder stärker unter die Arme zu greifen.
Schatzkanzler fordert zum Sparen auf
Am Mittwoch präsentierte Schatzkanzler Jeremy Hunt im Parlament den wohl letzten Haushalt vor den im Verlauf des Jahres stattfindenden Unterhauswahlen. Er nutzte den begrenzten finanziellen Spielraum, um die Lohnabgaben um 2 Prozentpunkte zu senken, was den durchschnittlichen britischen Arbeitnehmer in Kombination mit einer im Herbst verkündeten Senkung um 900 Pfund pro Jahr entlasten soll. Finanziert wird dieses Zückerchen im Wahljahr freilich über die Erhöhung anderer Steuern wie etwa auf Tabak und Vapes oder durch die Abschaffung eines vorteilhaften Steuerstatus für nicht ausschliesslich in Grossbritannien domizilierte Ausländer.
Die Gemeinden forderte die Regierung derweil auf, unnötige Ausgaben zu streichen. Als Beispiel für Geldverschwendung nannte sie «woke» Diversitäts-Schulungen sowie die Beschäftigung externer Berater. Shaun Davies, Vorsitzender der Local Government Association, betonte gegenüber der BBC, die Debatte über Diversitäts-Trainings lenke von den realen Problemen der Gemeinden ab, die mit rekordhohen Ausgaben und rekordtiefen Einnahmen zu kämpfen hätten.
Stuart Hoddinott ist Experte für kommunale Finanzen bei der Denkfabrik Institute for Government. Er hält fest, dass etliche Gemeinden wie Birmingham durch eigenes Verschulden in Schieflage geraten seien. Nach der Finanzkrise erlaubte London den Gemeinden, bei einer öffentlichen Leihkasse hohe Kredite aufzunehmen, um die Budgetkürzungen des Zentralstaats zu kompensieren.
Der Gemeinderat von Woking in der Grafschaft Surrey setzte in der Folge mit abenteuerlichen Immobilienspekulationen rund 2 Milliarden Pfund in den Sand. Die Behörden von Thurrock in der Grafschaft Essex investierten dreistellige Millionenbeträge in Solaranlagen, ohne zu merken, dass sie einem Hochstapler auf den Leim gekrochen waren.
Steigende Kosten für die Fürsorge
Hoddinott spricht aber auch von strukturellen Problemen, mit denen eine zunehmende Zahl von Gemeinden ohne eigenes Verschulden kämpfe. So führe die wachsende und alternde Bevölkerung dazu, dass Gemeinden im kostspieligen Fürsorgebereich immer mehr Leistungen erbringen müssten.
Für die Betreuung von Betagten, Invaliden oder gefährdeten Kindern besteht eine gesetzliche Pflicht im nationalen Recht, weshalb die Gemeinden diese Leistungen selbst im Fall eines Bankrotts erbringen müssen. Laut Hoddinott hat die Inflation seit 2022 im Fürsorgebereich zu einer Kostenexplosion geführt, womit die geringeren Mittel aus der Kasse des Zentralstaats umso stärker ins Gewicht fielen.
Auch wenn manche Kontinentaleuropäer mit Schadenfreude auf die Probleme Brexit-Britanniens blicken, ist die missliche Finanzlage der Gemeinden keine Folge des Brexits. Sie passt vielmehr zu den jahrelang verschleppten Investitionen in die Infrastruktur, die sich beim desolaten Zustand der Abwasserversorgung, des Gesundheitswesens oder der Schulen zeigen. Dass sich die versprochenen Früchte des Brexits – von der Zusatzfinanzierung für Spitäler bis zum Wachstumsschub dank Deregulierung und Freihandel – bisher nicht materialisiert haben, trägt freilich ganz generell zu den wirtschaftlichen und finanziellen Schwierigkeiten des Königreichs bei.