Nach Aktionen in Bern, Basel, Lausanne, Genf, Freiburg und an der ETH erreichen die antiisraelischen Proteste eine weitere Hochschule.
Am Anfang ist da nur ein einzelner Student, der sich, ein Palästina-Tuch um den Hals, kurz vor Mittag in den Lichthof der Universität Zürich setzt. Kurz darauf laufen Dutzende durch verschiedene Eingänge in den Innenhof. Die Besetzung – oder zumindest der Versuch davon – beginnt.
Es ist ein Aktion mit Vorgeschichte. An sieben Schweizer Hochschulen ist es bisher zu propalästinensischen Kundgebungen gekommen. Nun kommt eine achte hinzu, und es ist die grösste des Landes.
Zwischen 50 und 70 Protestierende haben am frühen Nachmittag eine Ecke des zentralen Lichthofs der Universität Zürich (UZH) besetzt. Mit Slogans, die lauten «Wie lange wird die UZH schweigen?», «Wir sind alle Kinder von Gaza», und den zum Symbol gewordenen Palästina-Tüchern wenden sie sich gegen den Krieg in Gaza und gegen das, was sie als eine einseitige Haltung der Universität zum Konflikt betrachten.
Die Forderungen der Protestierenden sind dieselben wie jene bei der Besetzung der ETH Zürich vor einer Woche: «Solidarität» mit den Palästinensern, «Boykott» akademischer Institutionen, die in den Krieg involviert sind, und «Transparenz» über die Verbindungen der UZH zu Israel.
Der UZH werfen die Demonstrierenden in einem Communiqué mangelnde Dialogbereitschaft und eine einseitige Haltung im Gaza-Krieg vor. Als öffentliche Universität habe sie die Pflicht, sich wie beim Krieg in der Ukraine klar zu Positionieren und den Tod Zehntausender in Gaza zu verurteilen.
Persönlich zur Aktion äussern wollten sich die Demonstrierenden gegenüber der NZZ nicht. Trotz mehrfachen Anfragen fand sich niemand Gesprächsbereites. Und das obwohl aus einer Kartonschachtel eigens ein «Presse»-Stand errichtet worden war.
Dafür waren allsbald auch umstrittene Slogans wie «From the river to the sea, Palestine will be free» und «Long live the student intifada» zu hören und zu lesen.
Universität sucht Dialog mit Protestierenden
Zur Teilnahme an der Aktion wurde sehr kurzfristig aufgerufen. Aus studentischen Kreisen ist jedoch zu Vernehmen, dass die Planung dafür schon gut eine Woche lang läuft. Vergangenen Dienstag hatte auch an der ETH Zürich eine Protestaktion mit rund hundert Teilnehmenden stattgefunden. Diese wurde jedoch nach kurzer Zeit durch die Polizei geräumt, bevor eine eigentliche Besetzung daraus entstehen konnte.
An der Universität deutet am Anfang vieles auf ein anderes Vorgehen: Um halb eins verkünden die Protestierenden die Universität habe ihnen vorerst erlaubt, vor Ort zu bleiben.
Um halb drei dann die Wende: Wie die NZZ aus Polizeikreisen vernimmt, hat die UZH den Demonstrierenden ein Ultimatum gestellt. Bis um 17 Uhr sollen sie demnach den Lichthof verlassen, sonst droht eine Räumung durch die Polizei.
Die Universität bestätigt kurz darauf an einer improvisierten Medienkonferenz das Vorgehen. Man werde die Besetzung bis 17 Uhr dulden, sagt UZH-Mediensprecher Beat Müller. Danach werde Strafantrag gestellt und die Polizei geholt. «Wir dulden keine Übernachtung.»
Aber: Die Universitätsleitung sei bereit, sich noch diese Woche mit einer Delegation von Protestierenden zu treffen.
Die Antwort der Protestierenden darauf: «Wir bleiben, bis unsere Forderungen erfüllt sind.»
Historische Vorbilder
Die aktuelle Protestaktion ist nicht die erste und alles andere als die grösste in der Geschichte der Universität. 2009 kam es zuletzt zu einer grossen Besetzung. Damals wurde der grösste Hörsaal der Hochschule während rund zwei Wochen von Studierenden im Beschlag genommen – aus Protest gegen die Bologna-Reform, die den Studienbetrieb an der Hochschule damals umkrempelte.
In den 1990ern demonstrierten bei mehreren Aktionen und Sit-ins Tausende gegen Sparmassnahmen im Bildungsbereich. Die 68er-Bewegung und die Jugendbewegung der 1980er hatten nochmals stärker an der Hochschule mobilisiert. Berühmt ist ein Bild von 1971, als die Konterfeis von Marx, Lenin und Mao auf Transparenten im Lichthof flatterten.
Die aktuelle Protestwelle kommt momentan nicht an die Grösse ihrer Vorgänger heran. Bei den bisherigen Besetzungen an anderen Schweizer Hochschulen – zuletzt jene in Bern, Basel und Fribourg – bewegten sich die Teilnehmerzahlen zwischen 50 und 100. Begonnen hatte alles an der Universität Lausanne, wo mehrere hundert Demonstrierende schon vor rund zwei Wochen einen akademischen Boykott Israels forderten.
Studierendenverband gegen Aktion
An der ETH Zürich waren die Forderungen vor einer Woche schliesslich ähnlich, wobei nicht ein allgemeiner Boykott gefordert wurde, sondern einer jener israelischen Institutionen, die in irgendeiner Form an der Militäraktion in Gaza beteiligt sind.
Der Studierendenverband der ETH, der VSETH, verurteilte die Aktion gegenüber der NZZ. Bei der Kundgebung seien rote Linien überschritten worden, sagte Präsidentin Julia Bogdan. Der Verband befürworte die Räumung der unbewilligten Protestaktion durch die Polizei.
Die Demonstrierenden hätten Parolen wie «From the river to the sea» gerufen und damit Israel die Daseinsberechtigung abgesprochen, sagte Bogdan. «Es kann nicht sein, dass sich die eigenen Studierenden an der Universität nicht mehr wohlfühlen.»
«Rede am liebsten nicht mit den Medien»
An der Universität Zürich hat die Protestgruppe sich derweil längst häuslich eingerichtet. Aktivisten haben Mätteli und Schlafsäcke ausgelegt und ein einziges einsames Zelt aufgestellt. Auf einem Tisch werden Hummus und frittierte Teigballen serviert.
Zmittag statt Slogans: Das scheint die Devise zu sein. Auch das anfangs von der Haupttreppe aus gehisste (und wegen schräger Hängung schlecht lesbare) Transparent wird eingeholt und auf den Boden gelegt. Die an den Wänden angebrachten Plakate werden – wohl aufgrund einer Aufforderung der Universität – entfernt.
An einem Tisch ist derweil eine A4-Seite mit dem «Awareness-Konzept» angebracht. Darin steht, der Protest sei friedlich, man solle den Unibetrieb nicht stören, Antisemitismus und Islamophobie würden nicht toleriert. Und: «Rede am liebsten nicht mit den Medien, es gibt Personen, die dafür zuständig sind».
Rundherum geht der Uni-Alltag seinen Gang. Aufrufe der Demonstrierenden an Umstehende, sich mit ihnen zu solidarisieren und mitzudemonstrieren bleiben ohne Erfolg.
An einem Tisch singen vier Studentinnen für eine fünfte «Zum Geburtstag viel Glück». Es wird gegessen, geschwatzt, gelernt und auch ein bisschen geglotzt. «Würdest du da für einen Hunderter mitmachen?», fragt ein schaulustiger Student seinen Kommilitonen. «Sicher nicht», sagt der.
Zur Stunde dauert die Aktion an. Polizei ist noch keine zu sehen.