Aber auch andere Spieler haben ihre Rolle im Team gefunden. Deshalb ist Real Madrid nun wieder ein Titelkandidat in der Champions League.
Es hatte gedauert, doch nun sangen die Real-Fans im Estadio Santiago Bernabéu seinen Namen. Der Fussballer Kylian Mbappé wurde vor ihrer Kurve behandelt, nachdem er mit Ederson, dem Goalie von Manchester City, zusammengestossen war. Die Szene trug sich am Mittwochabend in der 57. Minute des Play-off-Rückspiels in der Champions League zu, der im Sommer aus Paris nach Madrid gewechselte Stürmerstar hatte da bereits die ersten zwei Tore für sein Team erzielt. Wenig später stand Mbappé wieder vom Boden auf – und beim nächsten Angriff traf der Franzose zum dritten Mal für Real Madrid.
Ein diagonaler Antritt an der Strafraumgrenze und ein wuchtiger Kick ins lange Eck zum 3:0. Vorher schon ein filigranes Dribbling auf engem Raum zum 2:0. Und ein überlegter Lupfer nach einem langen Pass zum 1:0. Drei verschiedene Arten, Tore zu schiessen, drei Visitenkarten eines kompletten Angreifers, der seine Form gefunden hat. «Es muss der Horror sein, gegen ihn zu verteidigen», sagte der Teamkollege Jude Bellingham nach dem Spiel.
Eins, zwei, drei: Mit seinen Fingern zählte Mbappé lachend die Treffer. Der Matador des ungefährdeten 3:1 im europäischen Neo-Klassiker ist endgültig angekommen am Hof der «Königlichen». Als ihn die riesigen 360-Grad-Videoleinwände bei seiner Auswechslung mit dem jubelnden Volk dahinter zeigten, ging der neue König des Bernabéu.
Der Saisonstart des Neo-Galaktischen geriet komplett daneben
«Ich bin nicht hierhergekommen, um schlecht zu spielen», sagte Mbappé, 26, nach der souveränen Achtelfinal-Qualifikation von Real Madrid. Und das war keinesfalls kokett gemeint. Blessuren, Abstimmungsprobleme mit Vinícius Júnior, dazu Probleme in der Nationalmannschaft und – mittlerweile offiziell entkräftete – Vergewaltigungsvorwürfe nach einer Partynacht in Stockholm: Der Saisonstart des Neo-Galaktischen geriet so daneben, dass prominente Stimmen gar nicht erst versuchten, ihn schönzureden: Der Real-Trainer Carlo Ancelotti hatte von einem «komplizierten Moment», Frankreichs Verbandspräsident Philippe Diallo von einer «delikaten Phase» gesprochen. «Er ist kein Leader», schimpfte Reals Klublegende Bernd Schuster, und die vereinsnahe Zeitung «Marca» schrieb, Mbappé sei «nicht einmal ein Schatten des Spielers, der er war».
Nach verschossenen Elfmetern Ende November in Liverpool und Anfang Dezember in Bilbao war Mbappé «am Boden», wie er später einräumte. Doch zugleich markierten jene Fehlschüsse auch den Wendepunkt. Seither hat er in 18 Spielen ebenso oft getroffen. «Ich wusste, dass ich nicht schlechter spielen konnte», blickte Mbappé nun auf jene Tage zurück. «Ich musste Persönlichkeit zeigen.» Den Traum vom Wechsel zu seiner Jugendliebe Real Madrid verwirklicht zu haben, sei das eine, sagte er, aber er sei gekommen, um eine «Epoche zu markieren, Geschichte zu schreiben». Das Résumé von Mbappés Reflexion: «Die Eingewöhnungszeit ist vorbei, ich muss meine Qualität unter Beweis stellen.»
Selbstkritik und Resistenz gehören zum Holz, aus dem Champions geschnitzt sind. Ein solcher muss Mbappé im Europacup allerdings erst noch werden, mit Paris Saint-Germain war er bisher stets gescheitert. Seine neuen Teamkollegen hingegen hatten die Champions League im Sommer gerade erst gewonnen. Womöglich lief der eine oder andere auch deshalb im Herbst einmal ein paar Schritte weniger.
Fast schon verzweifelt mahnte Ancelotti immer wieder die defensive Solidarität an, die Real bei allem individuellen Glanz im Angriff zu sechs Champions-League-Titeln in elf Jahren geführt hatte. Der Trainer selbst tüftelte insbesondere an der bestmöglichen Mittelfeldbesetzung ohne den zurückgetretenen Toni Kroos. Pünktlich zur entscheidenden Saisonphase scheint er die Lösung gefunden zu haben.
«Es hat uns viel Mühe gekostet, die richtige Mannschaft zu finden, aber ich glaube, jetzt haben wir sie», sagte Ancelotti nach dem Umweg über die Play-off-Partien. Als Schlüssel erwiesen sich dabei auch Spieler, mit denen keiner gerechnet hatte. Etwa der aus dem eigenen Nachwuchs aufgerückte Innenverteidiger Raúl Asencio, den Verletzungen in die Startformation spülten, sowie vor allem der langjährige Ergänzungsspieler Dani Ceballos, 28, dessen einst hoffnungsvolle Karriere auf Reals Ersatzbank zu versanden drohte. Mehrfach wollte er gehen, stets überredeten die Trainer ihn zum Bleiben, nie wurde ganz klar, weshalb – denn meist setzten sie dann doch nicht auf ihn. Ancelotti tut es nun. Mit seiner Technik und Ballsicherheit verkörpert Ceballos am ehesten jene Qualitäten, die mit Kroos abhandengekommen sind. Physisch starke Nebenleute wie Aurélien Tchouaméni profitieren von seinen Vorzügen in gleichem Masse, wie sie diese ideal ergänzen.
Und dann sind da natürlich noch die «vier Phantastischen», wie Mbappé, Vinícius, Rodrygo Goes und Jude Bellingham genannt werden. In den zwei Partien gegen Manchester City boten sie ein Spektakel unberechenbarer Ideen bei höchstem Tempo und maximaler Präzision. Auch sie musste Ancelotti allerdings zuerst richtig arrangieren und einschwören. Bellingham auf links und Rodrygo auf rechts rücken nun ins Mittelfeld ein und beteiligen sich, jedenfalls in den wichtigen Partien, vollumfänglich an der Defensivarbeit. Trotzdem zeigten sie vorn so brillante Szenen wie Rodrygo bei einer Tunnelvorlage auf Mbappé vor dem 2:0: «Er ist stark unterschätzt», lobte ihn Bellingham danach. «Für mich ist er der talentierteste Spieler in unserem Kader.»
Alles strahlende Gesichter und freundliche Worte in einem Klub, der im Ligabetrieb derzeit maximal schlechte Laune ausstrahlt, unablässig gegen die Schiedsrichter agitiert und am Wochenende die Tabellenführung verlor. Bis in der vergangenen Woche begleiteten Real ausserdem Zweifel angesichts der Tatsache, in der laufenden Saison noch kein Spitzenteam bezwungen zu haben. Mit zwei Siegen gegen Manchester City (Hinspiel: 3:2) ist die To-do-Liste in dieser Hinsicht nun abgearbeitet. Wobei die müde wirkenden Engländer derzeit kaum als Spitzenteam bezeichnet werden sollten. Ihr Trainer Pep Guardiola lobte das gegenwärtige Real-Team nach dem Rückspiel zwar als das beste und variabelste, gegen das er in den vielen Duellen in den letzten Jahren gespielt habe. Vor allem aber war seine City-Equipe die schlechteste Version, die man je von einer Guardiola-Mannschaft gesehen hat.
«Es hat zehn Partien gebraucht, um in den Achtelfinal einzuziehen, aber auf emotionaler Ebene ist uns dieses Play-off gut bekommen», resümierte derweil Ancelotti. Die defensive Ordnung aller, offensive Freiheiten besonders für die Stars – das ist seit nunmehr drei Jahrzehnten sein Erfolgskonzept als Coach. Wie weit wird es diesmal tragen? Mbappé kennt nur ein Ziel: «In meiner Karriere habe ich viele Tore geschossen, aber oft haben sie keine Titel eingebracht», sagte er. Nun soll sich endlich beides zusammenfügen.