Tocotronic macht auf der Konzerttour halt in Zürich und feiert eine über dreissigjährige Karriere. Nach wie vor hadert die Band in ihren Songs mit der Gegenwart. Das gelang ihr in der Vergangenheit jedoch prägnanter.
Sie beginnen mit einem Lied über den Tod. Und sie geben es gleich selbst zu: Das sei unkonventionell für ein Konzert. Um Punkt neun (angesagt, getan) stehen die vier Rocker von Tocotronic am Freitagabend auf der Bühne des Zürcher Klubs X-Tra. Sie spielen, nachdem der Sänger Dirk von Lowtzow das Publikum anständig begrüsst und die Stadt gelobt hat, «Der Tod ist nur ein Traum». Nach den Überlegungen zur Vergänglichkeit folgt direkt die Hymne aufs Gegenteil: «Bleib am Leben».
Zu einem singenden New-Order-Bass greifen sie im Anti-AfD-Song «Denn sie wissen, was sie tun» die immer zahlreicher werdenden unangenehmen Zeitgenossen an. Man müsse sie und ihre kleine Welt bekämpfen, heisst es in dem Lied, und zwar nicht mit Waffen, sondern mit Küssen auf den Mund.
Die Gruppe, bestehend aus den vier Mittfünfzigern Dirk von Lowtzow (Gesang), Jan Müller (Bass), Arne Zank (Schlagzeug) und Felix Gebhard (Ersatz an der Gitarre für den erkrankten Rick McPhail), ist mit dem Album «Golden Years» auf Tour und feiert eine fast dreissigjährige Karriere. Mit der neuen Musik versucht Tocotronic zu der einprägsamen Unmittelbarkeit des Frühwerks zurückzukehren.
Diskursrock, der unsexy Beschrieb für Tocotronic
Das junge Tocotronic aus Hamburg sprach das Publikum direkt an. Mit prägnanten Parolen: «Ich weiss nicht, warum ich euch so hasse, Tanztheater dieser Stadt» und «Wir kommen, um uns zu beschweren». Für jeden in den späten neunziger Jahren heranwachsenden Menschen hatte die Band elegante Merksätze parat. Deutschsprachiger Diskursrock ist der ganz unrockig klingende Kurzbeschrieb für ihr Schaffen.
Der kritische Gestus des frühen Tocotronic war immer ironisch gebrochen. Seine Kritik zielte nicht selten auch gegen eigene Gewissheiten. Es waren Lieder gegen die Anpassung, aber auch über die Lächerlichkeit, dringend unangepasst sein zu wollen («Für die Pullunder, die du damals trugst, bin ich erst jetzt bereit»).
Das Spannungsfeld zwischen der Ablehnung gesellschaftlicher Normen und dem gleichzeitigen Wunsch nach Anerkennung bildet seit je ein zentrales Motiv der Band. Tocotronics Widerstand war stets von Selbstreflexion geprägt – ein spielerischer Umgang mit Opposition, der auch deshalb möglich war, weil die Welt letztlich doch nicht vollkommen unerträglich erschien.
Alles beim Alten
Jetzt neu! Alles wie früher! So liesse sich die Bewegung beschreiben, die Tocotronic auf seiner Reise durch die zwölf neuen Lieder durchläuft. Und doch ist es eben nicht mehr wie früher. Natürlich spürt die Band, spürt der Songschreiber Dirk von Lowtzow das. Kaum jemand beherrscht es so gut wie er, den eigenen Weltschmerz auszudrücken und gleichzeitig auf subtile Weise zu untergraben. Anders formuliert: Wenn Lowtzow von goldenen Jahren spricht, liegt der Verdacht nahe, dass er weiss, dass sie es eigentlich nicht sind.
Tocotronic bietet nach wie vor einen «safe space» für die Fans. Dirk von Lowtzows baut ihn während des Konzerts aus, mit seinem hyperhöflichen Gebaren und mit extrem ernsthaften «Dankeschöns» nach dem Applaus. Die meisten Texte des Albums «Golden Years» sind verschwommen. Wie der Blick aus einem Fenster bei Regen. So manches klang früher dringlicher.
Das zeigt sich nun auch in Zürich. Gegen Ende schöpfen Tocotronic aus dem Repertoire der alten Songs. Stücke wie «Let There Be Rock» und «Das Geschenk» – grungige, punkige Neunziger-Jahre-Nostalgie. Mit «This Boy is Tocotronic» oder «Hi Freaks» geht es in die nuller Jahre. Und mit «Explosion» und «Freiburg» krachend ins Finale, so dass sich schliesslich nicht mehr nur die Menschen in den vordersten Reihen euphorisch bewegen.
Vielleicht sind die goldenen Jahre, die versprechen, dass alles zwar anders, aber noch besser wird, wirklich schon vorbei. Aber vielleicht haben die Fans ja Glück, und das vierzehnte Album von Tocotronic ist nicht das letzte, die Band wird sich niemals auflösen und niemals in Rente gehen. Vielleicht kommt das Beste ja doch noch.