Staffel 1 über den südkoreanischen Escape-Room brach alle Rekorde auf Netflix. Nun folgt die Fortsetzung der Geschichte, die unmissverständliche Gegenwartskritik und schonungslose Splatter-Ästhetik kombiniert.
Das Timing war geschickt, ja sogar perfekt. 2021 wurde «Squid Game» während des globalen Post-Corona-Blues erst zum viralen Hype, dann zum absoluten Megahit. Die südkoreanische Serie fügte sich nahtlos in die allgemeine dystopische Stimmung. Bald waren alle bisherigen Klick-Rekorde auf Netflix überholt: Bis heute registrierte der Streamingdienst 330 Millionen Aufrufe und mehr als 2,8 Milliarden Stunden Gesamtlaufzeit.
Die Zahlen sind eindrücklich, denn immerhin: «Squid Game» ist brutal. In der Serie unter der Regie von Hwang Dong-hyuk geht es ums blanke Überleben. Bei einem gefährlichen Turnier treten Hunderte Hochverschuldete mit der Aussicht auf ein gigantisches Preisgeld gegeneinander an. Auf der Tagesordnung stehen harmlose Kinderspiele wie Tauziehen. Doch wer verliert, wird von maskierten Aufsehern «eliminiert». Anleihen an frühere Kino-Kassenschlager wie «Battle Royale» und die «Hunger Games» sind offensichtlich und gewollt.
Langwierige Suche nach dem Mann im Anzug
Nach drei Jahren folgt nun die zweite Staffel. Es geht dort weiter, wo die Geschichte um Gi-hun (Lee Jung-jae), besser bekannt als Spieler 456, nach seinem spektakulären Gewinn des Wettbewerbs geendet hatte. Das setzt unweigerlich eine gewisse Kenntnis der ursprünglichen Prämisse und einiger Schlüsselfiguren voraus. Am besten, so denkt man sich wohl bei Netflix, schaut man vorab noch einmal in den ersten Durchgang rein.
Gi-hun ist heute nicht mehr derselbe, kein hoffnungsloser Pechvogel mit Charme und Empathie. Anstatt sich mit dem Geld, das er am Ende der «Squid Game»-Serie als Sieger bekam, eine sichere Existenz aufzubauen, ist er nun auf Rache aus. Er will die verantwortliche Organisation und die sadistischen Handlanger der Turniere zu Fall bringen. Aber bereits die Suche nach dem Mann im Anzug, der ihn einst rekrutiert hat, erweist sich als schwierig und langwierig, was gleich zu Beginn auf Kosten der Spannung geht.
Davon abgesehen ist auch die zweite Staffel nichts für schwache Nerven. Bald ist klar, dass Gi-hun noch einmal an dem alljährlich stattfindenden Gemetzel teilnehmen muss, wenn er die Spiele beenden will. Dass er diesmal Verbündete innerhalb und ausserhalb des Systems findet, macht die Sache nicht einfacher. Teamgeist ist gefragt, aber am Ende kämpft jeder für sich, um dem tödlichen Spiel zu entgehen.
Gi-huns eigentliches Problem jedoch ist ein anderes: Ausgerechnet sein grösster Widersacher, der berüchtigte Frontmann und Überwacher der Spiele, In-ho (Lee Byung-hun), treibt ein trügerisches Doppelspiel, das er nicht erkennt. Auf diesen dramatischen Clou konzentriert sich die gesamte Handlung – es ist ein einfacher Schachzug von Hwang, der erneut das Drehbuch verfasst hat; dafür raffiniert inszeniert und mit einigem Unterhaltungswert.
Bei den Wettstreitern fällt vor allem der deutlich tiefere Altersdurchschnitt auf. Diesmal ist eine Reihe motivierter Youngster, Hipster oder Rapper, die sich haushoch mit Kryptowährung verzockt haben, dabei. Auch eine Transperson befindet sich unter ihnen. Die Zielgruppe der Serie wird maximiert. «Squid Game» war bereits in der ersten Staffel weniger auf Kapitalismuskritik ausgelegt als auf Thrill und Kalkül.
An der allgemeinen Stimmung innerhalb der Gruppe ändert die erweiterte Diversität wenig: Eine Hälfte der Spieler ist verunsichert und ängstlich, die andere voller Ehrgeiz und Gier. Bald bilden sich unter den Männern und Frauen abermals kleine Allianzen; Freundschaften und Rivalitäten zeichnen sich ab. Die Lügen, Lästereien und Intrigen unter ihnen machen nach wie vor einen Teil der Faszination für die Serie aus.
Gleichzeitig haben sich auch die Spiele und Spielregeln erweitert, um den Nervenkitzel zu erhöhen. Etwa wird neuerdings nach jeder Runde abgestimmt, ob der Wettkampf weitergehen oder beendet werden soll. Dadurch verhärten sich die Fronten zusätzlich. Doch von derart minimal spannungssteigernden Effekten abgesehen ist alles beim Alten; die Teilnehmerzahl wird im Verlauf geringer, der Jackpot grösser. Und das Blut fliesst, spritzt und klebt.
Test für Teilnehmer und Publikum
Die Stärke von «Squid Game» liegt in der visuellen Umsetzung. Der «Spielplatz» imponierte bereits in der ersten Staffel mit seiner aufwendigen, auf Hochglanz polierten Ausstattung. Am Szenenbild hat sich nichts geändert; Hwang setzt weiterhin auf Neonfarben und geometrische Designs: die Reduktion auf einfache Formen – Dreieck, Kreis und Quadrat. Der Schlafsaal dagegen ist und bleibt ein Unort: eine riesige Lagerhalle mit symmetrisch angeordneten mehrstöckigen Betten, in der die Kandidaten und Kandidatinnen zusammengepfercht hausen.
Letztlich jedoch testet diese «Squid Game»-Fortsetzung nicht nur die teilnehmenden Schuldner, sondern auch die Geduld des Publikums. Hwang spinnt einen Plot, der eher auf Wiedererkennung als auf Originalität beruht. Unermüdlich versucht Gi-hun die Überlebenden davon zu überzeugen, dem üblen Treiben ein für alle Mal ein Ende zu bereiten. Doch für eine Revolution reicht seine Entschlossenheit und Zivilcourage alleine nicht. Als sich die verbleibende Masse endlich zum Aufstand erhebt, sind die sieben Folgen fast um – und der Cliffhanger gesetzt.
«Solange sich die Welt nicht ändert, hört das Spiel nicht auf», ist ein Satz, der schon viel früher fällt. Und man ahnt längst, was das bedeutet. Die nächste Staffel ist in Arbeit. 2025 soll der finale Showdown anstehen.