Im südlichen Pazifik, den «Roaring Forties», entstehen im Stundentakt mächtige Sturmtiefs. Sie sind in der Vergangenheit vielen Seglern zum Verhängnis geworden.
Die zehnte Vendée Globe ist die Vendée Globe der Rekorde und der Überraschungen. Nie zuvor in der Geschichte dieser Nonstop-Weltumsegelung für Soloskipper haben so viele Seglerinnen und Segler teilgenommen. Und nie zuvor gab es nach drei Wochen so wenige Ausfälle. Nur ein Teilnehmer, der Franzose Maxime Sorel, musste nach einer Fussverletzung frühzeitig die Segel streichen. Alle anderen 39 Konkurrenten, darunter sechs Frauen, sind noch im Rennen. Das Feld ist weit auseinandergerissen; zwischen dem Ersten (Charlie Dalin) und dem Letzten (Szabolcs Weöres, durch eine Havarie weit zurückgeworfen) liegen 4000 Seemeilen.
Für die Spitze beginnt jetzt der Ernst des Lebens: Sie haben das Kap der Guten Hoffnung hinter sich gelassen und sind im Indischen Ozean angelangt. Nach dem Passieren von Neuseeland tauchen sie in den für seine vielen Stürme gefürchteten südlichen Pazifik ein. Dabei müssen sie sich wegen der Gefahr von Treibeis oberhalb des südlichen Polarkreises aufhalten und dürfen eine durch viele Wegpunkte fixierte Eisgrenze nicht überfahren. Deren südlichster Punkt liegt auf dem 59. Breitengrad. Diese Sicherheitszone, auch antarktische Ausschlusszone (AEZ) genannt, wurde nach der ersten Ausgabe der Vendée Globe eingeführt, weil treibendes Eis für die Seefahrer zu gefährlich war. Überwacht wird die Eisbewegung vom Weltraum aus.
Das Gebiet zwischen dem vierzigsten und sechzigsten südlichen Breitengrad ist für alle Segler ein äusserst anspruchsvolles Revier. Die Roaring Forties und die Screaming Fifties werden durch starke Westwinde geprägt. Die «Brüllenden Vierziger» und die «Schreienden Fünfziger» wurden seinerzeit von den Seefahrern wegen des unendlichen Lärms des Windes so genannt, der sich «brüllend» und «schreiend» anhörte.
Im Notfall muss die Zunge selbst genäht werden
Laut Meeno Schrader, Meteorologe, Segler und Gründer der Firma Wetterwelt, entstehen in diesem Bereich Tiefdruckgebiete von grösster Kraft und Intensität, die von West nach Ost ziehen. «Je weiter im Süden, desto intensiver sind die Tiefs», sagt er. Ein Sturmtief nach dem anderen werde dort unten geboren. Es gebe nur kurze Wetterberuhigungen, so der Meteorologe weiter, schon nach wenigen Stunden oder einem Tag sei das nächste Sturmtief da. «Und diese Sturmtiefs gehören nach den Wirbelstürmen zu den stärksten der Welt.»
So sind die Skipper mehrere Wochen lang extremsten Bedingungen ausgesetzt, die für Mensch und Material eine enorme Belastung bedeuten. Das Segeln in südlichen Breiten bedeutet nicht nur stürmische Winde und hohe Wellen, sondern auch niedrige Wassertemperaturen. Und eine ständig nasse Umgebung, die durch das geschlossene Cockpit etwas gemildert wird. Dazu kommt die Kollisionsgefahr durch treibendes Gut. Entschädigt werden die Solofahrer durch ein unglaublich faszinierendes Naturschauspiel. Sie befahren eine der letzten unberührten Gegenden dieser Welt, sie schwärmen von der atemberaubenden Schönheit, die durch eine Atmosphäre von Klarheit und Reinheit geprägt sei. Und alle sind fasziniert vom majestätischen Flug der Albatrosse, von denen sie oft begleitet werden.
Im südlichen Polarmeer haben sich in den vergangenen neun Ausgaben der Vendée Globe immer wieder dramatische Rettungsaktionen ereignet. Nachdem bereits bei der ersten Vendée Globe 1989/90 ein Segler einem gekenterten Teilnehmer zu Hilfe eilen musste, erlitt vier Jahre später Bertrand de Broc eine schwere Gesichtsverletzung. Mithilfe des Rennarztes aus der Ferne nähte er seine Zunge, was ihm den Spitznamen «Rambo» eintrug.
Vier Jahre später ereigneten sich mehrere schwere Unfälle. Am Weihnachtstag sendete Raphaël Dinelli an die Rennleitung folgende Botschaft: «Zwei Kenterungen, viele Schäden im Inneren des Bootes. Alles liegt lose auf dem Deck.» Zwanzig Stunden lang wartete er auf Hilfe, auf dem umgekippten Rumpf stehend, sich an einem Seil haltend. Der britische Segler Pete Goss erreichte schliesslich das Wrack und konnte Dinelli retten.
Wenig später gerieten zwei weitere Segler in Seenot, wovon der eine, Tony Bullimore, erst nach drei Tagen im Inneren seiner umgekippten Jacht stark unterkühlt gerettet werden konnte. Ein paar Tage später wurde vom Kanadier Gerry Roufs eine Sprachnachricht aufgefangen, in der er von «Wellen, die so hoch wie Alpen sind» sprach. Er konnte nicht gefunden werden. Anderthalb Jahre später wurde das Wrack seines Bootes an einer Insel in Südchile angeschwemmt. Eine spätere Berechnung der meteorologischen Situation am Tag von Roufs Nachricht ging von eine Wellenhöhe von zwanzig Metern aus.
Wer andere rettet, wird belohnt
In der sechsten Ausgabe der Regatta 2008/2009 machte der Süden den Seglern das Leben erneut schwer. 800 Meilen südlich von Australien brach sich der Franzose Yann Eliès den Oberschenkelknochen und das Becken. Zwei Tage lang kämpfte er gegen die grossen Schmerzen und konnte schliesslich von der australischen Marine gerettet werden. Wenig später wurde Jean Le Cam nach einer Kenterung von Vincent Riou, dem Sieger der Vendée Globe vier Jahre zuvor, gerettet. Diese Episoden und die Tatsache, dass von dreissig Startern nur elf klassiert wurden, löste damals ein grosses Medienecho aus.
In den abgelegenen Weiten der Meere können Rettungsaktionen auch Auswirkungen auf das Gesamtklassement haben. Vor vier Jahren überquerte Charlie Dalin als Erster die Ziellinie in Les Sables d’Olonne, doch Sieger wurde der Drittplatzierte Yannick Bestaven dank einer Zeitgutschrift, die er und drei weitere Segler erhalten hatten, weil sie bei der Rettungsaktion von Kevin Escoffier involviert waren. Der Franzose, der im südlichen Pazifik elf Stunden lang inmitten von fünf Meter hohen Wellen getrieben war, wurde schliesslich von Jean Le Cam, der zwölf Jahre zuvor selber von einem Mitsegler gerettet worden war, gefunden und an Bord genommen.
Dalin hat gute Aussichten, jetzt den verpassten Sieg nachzuholen: Er liegt seit mehr als einer Woche in Führung; Bestaven folgt auf Platz acht.
Ein Artikel aus der «»