Ein Börsenmann wird zum Robin Hood in eigener Sache: Fast zwanzig Jahre nach seinem Welterfolg agiert Jon Hamm erneut auf der Höhe seines schauspielerischen Könnens.
Andrew Cooper wacht in der Blutlache eines Toten auf, der neben ihm liegt. Er befindet sich in einem fremden Haus, es ist Nacht. Beim Versuch, seine Spuren zu beseitigen, rutscht er am Hauseingang aus und fällt in den Swimmingpool. Dazu kommentiert er für uns, das Publikum, aus dem Off und mit der für ihn so typischen, ironisch gebrochenen Coolness: «I know what you’re thinking: The pool is a metaphor.»
Aber Coop, wie ihn alle nennen, fühlt sich nicht metaphorisch. Sondern «verdammt klar und verdammt kalt». Im nächtlichen Pool. Vor einem unbekannten Haus. Mit einem Toten in der Eingangshalle. «Und ich fragte mich», kommentiert er weiter, «wie alles dermassen schnell dermassen schieflaufen konnte.»
Mit dieser Frage beginnt der Neunteiler «Your Friends & Neighbors» mit Jon Hamm in der Hauptrolle. Es ist seine erste in einer Fernsehserie seit seinem Auftritt in der Serie «Mad Men», die Hamm zum Weltstar machte. Und in der er ab Juli 2007 acht Jahre lang als Werbechef Don Draper auftrat, der sein Publikum im feministisch sensibilisierten, minderheitsbewussten, nikotinfreien und politisch korrekten Amerika des 21. Jahrhunderts an die Zeiten erinnerte, als die Männer elegante Anzüge trugen, verschwenderische Autos fuhren, am Morgen Whisky tranken, den ganzen Tag Kette rauchten, Schwarze als Bedienstete hielten und Frauen als sexuelle Beute behandelten. Im Büro, im Restaurant und auf der Strasse. Nur ihre eigenen Frauen ignorierten sie.
Sehnsucht nach weisser Dominanz
«Mad Men» brachte es mit seiner Nostalgie nach einer protestantisch-weissen, männlichen Dominanz vor gleissender Retro-Ästhetik auf 7 Staffeln und 92 Episoden, wurde in 70 Ländern ausgestrahlt und mit allen nur denkbaren Preisen ausgezeichnet. Die Serie machte Jon Hamm, den eleganten, virilen Mann mit dem Bubenlachen, zum Star eines coolen Männertyps, der die Sechziger durchlebte, als hätten sie bei ihm keine Veränderung ausgelöst und schon gar keinen Aufbruch .
In «Your Friends & Neighbors», der neuen Serie des Drehbuchautors Jonathan Tropper, hat es Jon Hamm wieder mit dem Geld. Er spielt einen Hedge-Funds-Manager in einer reichen Kleinstadt in Upstate New York, der bereits mehrere Häuser, Lohnerhöhungen und eine Scheidung hinter sich hat. Frau und Kinder kosten ihn ein Vermögen, er selber hat ein teures Haus gemietet, fährt einen schwarzen Maserati für 200 000 Dollar und tut sonst noch alles, um sich der Illusion hinzugeben, ein gutes Leben zu führen.
Dann wird er nach einer Intrige seines Chefs abrupt entlassen. Und weil Cooper wegen einer Vertragsklausel zwei Jahre lang keine konkurrierende Stelle antreten darf und sein Wirtschaftsberater ihm sagt, diesen Lebensstil könne er sich höchstens ein halbes Jahr leisten, beginnt er eine neue Karriere: Er bricht in die Häuser seiner Freunde ein und bestiehlt sie. Nimmt Uhren und andere Luxusgüter mit, von denen er uns gegenüber versichert, ihre Besitzer würden den Verlust gar nicht bemerken. Der Hedge-Funds-Manager entwickelt sich zum Robin Hood in eigener Sache. Er bestiehlt die Reichen und teilt seine Beute mit sich selber.
Maskenhafter Auftritt
Mit Andrew Cooper hat Jon Hamm eine Figur gefunden, die an Don Draper von «Mad Men» erinnert, ohne dass sie ihn kopiert. «Don war ein Verkäufer, Coop ist ein Käufer», hat der Schauspieler die beiden Rollen beschrieben. Beide Männer werden von Hamm als makellose Blender gespielt, die an einer lautlosen Verzweiflung leiden. Don Draper kaschiert sie hinter einer maskenhaften Gelassenheit. Im Grunde ist er ein Nihilist. Jon Hamm spielte den Mann ohne Leidenschaften mit einer überwältigenden Zurückhaltung und machte seine Leere auf eine Weise sichtbar, wie das nur ein sehr disziplinierter Schauspieler kann.
Immerhin kann seine neue Figur ihre Gefühle besser zulassen. Zwar führt auch Andrew Cooper ein reiches Leben ohne Sinn, und auch ihn mag der Luxus nicht über das Gefühl von Leere hinwegtrösten. Aber er ist sich seiner Defizite bewusst. Dass der Schauspieler für seine neue Rolle in den angelsächsischen Medien so überschwänglich gefeiert wird, hat aber nicht nur mit seinem Talent zu tun. Sondern auch damit, dass er in den letzten zehn Jahren als Schauspieler kaum überzeugen konnte.
«There are no second acts in American lives», schrieb F. Scott Fitzgerald in einem Essay von 1932, dasselbe Schicksal schien Jon Hamm zu ereilen. Zumal der Schauspieler schon Mitte dreissig war, als ihn Matthew Weiner für die Rolle des Don Draper aus achtzig Bewerbern auswählte. Damals unterrichtete Hamm als Ersatzlehrer, servierte wieder als Kellner und hatte die Hoffnung aufgegeben, als Schauspieler zu reüssieren.
Flackernde Lethargie
Weil er danach auf keinen Fall eine Variation von Don Draper verkörpern wollte und alle diesbezüglichen Rollenangebote ablehnte, wandte sich Hamm der Komik zu. Spielte in Serien der Komikerin Tina Fey oder in einfältigen Actionkomödien wie «Keeping Up with the Joneses». Es ist nicht so, dass Hamm keinen Humor hat, wie seine selbstironischen Auftritte in der Satiresendung «Saturday Night Life» gezeigt haben. Aber ihm fehlt das komische Timing eines Jeff Bridges, die Bereitschaft zur Lächerlichkeit eines Bill Murray, der trotzdem seine melancholische Würde bewahrt. Immer wenn Jon Hamm lustig sein will, verkommt er zum Hampelmann seiner eigenen Pointen.
Deutlich besser spielte er ernste Rollen. Überragend geriet sein Auftritt im bitteren politischen Thriller «Beirut» von Brad Anderson. Der Film entstand nach einem Drehbuch von Tony Gilroy, der in der «Bourne»-Trilogie mit Matt Damon gezeigt hatte, wie dramatisch glaubwürdiges Erzählen in einem Actionfilm geht. Hamm gibt einen amerikanischen Diplomaten, der in Beirut, in dem Gewalt herrscht, vermittelt und bei einem Attentat seine Frau verliert. Er fliegt in die USA zurück, arbeitet in subalternen Jobs und regrediert zum Alkoholiker.
Nachdem ein ehemaliger Freund in Beirut gekidnappt worden ist, kehrt er zurück und löst den Konflikt dank seinen Kontakten, Kenntnissen und seiner Unerschrockenheit. Jon Hamm spielt den resignierten Diplomaten mit einer Kraft, die das Engagement seiner Figur hinter ihrer angetrunkenen Lethargie aufflackern lässt. Und macht vor, dass er als Schauspieler zu weit mehr fähig ist, als die meisten seiner Regisseure ihm zutrauen.
Schade in Bezug auf seine neue Rolle ist, dass Jon Hamm wieder einen Multimillionär spielt. Er sähe in der neuen Serie aus «wie ein Mann, der aus seinen Ferien bei ‹White Lotus› zurückgekehrt ist», schrieb das Magazin «Variety» in Anspielung auf die gleichnamige Serie. Diese zeigt mit Vorliebe Superreiche, die ihr leeres Selbst in die Ferien exportieren. Die drei Staffeln von «White Lotus» sind sarkastisch inszeniert, bleiben aber zynisch, weil sie den touristischen Feudalismus abbilden, ohne seine Ökonomie zu analysieren.
Auch gehen einem diese Kreditkartentypen immer mehr auf die Nerven, welche so viele amerikanische Serien kolonisieren. Ihr vorgeführter Reichtum kommt einem abstossend vor. Das Letzte, was Amerika jetzt braucht, sind noch mehr Superreiche, die ihren Reichtum vorführen wie einen Adelstitel.