Anlass für das Verbot war offenbar ein vereitelter Anschlag auf das haschemitische Königreich. Es zeigt, wie stark das politische Establishment in Jordanien unter Druck steht.
Jahrzehntelang hat Jordanien die Anhänger der Muslimbruderschaft gewähren lassen. Jetzt geht das haschemitische Königreich mit aller Härte gegen die grösste islamistische Organisation der arabischen Welt vor. Am Mittwoch gab Innenminister Mazen Fraya bekannt, dass sämtliche Tätigkeiten der Muslimbrüder sowie das Werben für ihre Ideologie in Jordanien künftig untersagt seien. Die Büros der Organisation würden geschlossen und ihr Besitz beschlagnahmt. Erste Razzien seien bereits durchgeführt worden.
Frayas Ankündigung folgt auf die Festnahme von 16 Personen in der vergangenen Woche. Sie sollen laut offiziellen Informationen der Muslimbruderschaft nahestehen. Der Vorwurf: Sie hätten Anschläge mit Drohnen und Raketen auf Ziele im Königreich geplant. Die Verdächtigen sollen in Libanon ausgebildet worden sein. Bereits im vergangenen Jahr war ein Waffenschmuggel vereitelt worden, den die jordanischen Behörden ebenfalls der Muslimbruderschaft anlasten.
Politische Partei mit Nähe zur Muslimbruderschaft
Die islamistische Organisation hat in Jordanien vor allem in den Städten viele Anhänger. Die Partei Islamische Aktionsfront (IAF) gilt als ihr politischer Arm und ist mit 31 von 138 Abgeordneten als stärkste Partei im Parlament vertreten, allerdings nicht in der Regierung. Der IAF-Generalsekretär Wael Sakka betonte am Mittwoch in einer Pressekonferenz, die IAF sei organisatorisch nicht mit der Muslimbruderschaft verbunden und wolle ihre Rolle als unabhängige Partei weiter ausfüllen.
Obwohl sich Sakka kooperativ zeigte, dürften er und seine Partei weiter unter Druck geraten. Bereits seit dem Arabischen Frühling 2011 konkurrieren die Islamisten mit den Regimen in der Region. Nachdem die Muslimbrüder in Ägypten infolge eines Staatsstreichs des Militärs 2013 die Macht verloren hatten, wurden sie als Terrororganisation eingestuft und verboten. Auch in Saudiarabien, Bahrain und in den Vereinigten Arabischen Emiraten darf die Muslimbruderschaft nicht agieren. Dass die Organisation nun auch in Jordanien verboten ist, wurde bekanntgegeben, während der jordanische König Abdullah II. zu Besuch bei Kronprinz Mohammed bin Salman in Saudiarabien war.
Das politische Establishment in Jordanien wirft den Anhängern der Muslimbruderschaft in Jordanien vor, eine geheime Miliz aufzubauen und den Staat herauszufordern. Das ist vor dem Hintergrund des Gazakrieges besonders brisant: Viele Menschen in Jordanien unterstützen nicht nur die IAF, sondern sympathisieren auch mit der Hamas im Gazastreifen, die ihrerseits aus der Muslimbruderschaft hervorgegangen war. Die Mehrheit der jordanischen Bevölkerung hat palästinensische Wurzeln. Dass Jordanien trotz dem Gazakrieg am Friedensvertrag mit Israel festhält, sehen viele Menschen im Königreich kritisch.
Der jordanische König wiederum sieht sich gezwungen, auch die Interessen der amerikanischen Regierung zu berücksichtigen. Denn sein Land ist von Geldern aus den USA abhängig. Mehr als 1,4 Milliarden Dollar hat Jordanien zuletzt pro Jahr aus Washington erhalten – unter anderem als Unterstützung für das Militär und für humanitäre Hilfe. Das Vorgehen gegen die Muslimbrüder könnte auch deshalb als ein Signal gegenüber dem Weissen Haus interpretiert werden.
«Der Islam ist die Lösung»
Die Muslimbruderschaft war 1928 von dem Volksschullehrer Hassan al-Banna in Ägypten gegründet worden. Ihr Ziel: die Errichtung eines islamischen Staates auf der Grundlage des islamischen Rechts. Ihr Motto: «Der Islam ist die Lösung.» Banna und seine Gefolgsleute glaubten, dass der Islam alle Aspekte des menschlichen Lebens gestalten könne und müsse.
Auf Gewalt zur Durchsetzung ihrer Ziele verzichteten die Muslimbrüder zunächst. Doch bereits in den 1930er und 1940er Jahren änderten sie ihre Strategie: Sie beschränkten sich nicht länger darauf, in Predigten zu ihrer Interpretation des Glaubens aufzurufen, sondern gründeten einen militanten Flügel, der die Ziele der Organisation mit Gewalt durchsetzen sollte.
Seit den 1940er Jahren entstanden in fast allen Teilen der arabischen Welt Ableger der Muslimbruderschaft. Sie agierten meist unabhängig voneinander, waren aber oft vernetzt. In den 1950er und 1960er Jahren liessen sich viele Anhänger der Organisation auf der Arabischen Halbinsel nieder. Andere gingen in den Westen und bauten dort Strukturen der Muslimbruderschaft auf.
Karadawi als Sprachrohr der Muslimbruderschaft
Besonderen Einfluss verschaffte der Muslimbruderschaft der ägyptische Religionsgelehrte Jusuf al-Karadawi. Er arbeitete ab den 1960er Jahren als Religionsprofessor in Katar und propagierte sechs Jahrzehnte lang die Weltanschauung der Islamisten. In der westlichen Welt wurde Karadawi vor allem bekannt, weil er ab 2001 in Rechtsgutachten erläuterte, dass Selbstmordattentate für Muslime im Kampf gegen nichtmuslimische Besetzer legitim seien.
Karadawi verbreitete seine Thesen und die der Muslimbruderschaft vor allem im katarischen Nachrichtensender al-Jazeera. Der erste arabische Sender der Region bot Oppositionellen eine Plattform, ihre Heimatregierungen zu kritisieren. Vor allem Muslimbrüder und andere Islamisten machten davon Gebrauch, weil sie in den meisten Ländern der arabischen Welt die wichtigsten Oppositionsbewegungen stellten. Ihnen ein Forum zu bieten, wurde ein wesentliches Merkmal der katarischen Aussenpolitik – vor allem in Abgrenzung zum grossen Nachbarn Saudiarabien.
Während die Muslimbruderschaft in Katar verboten ist, unterhält der politische Arm der Hamas seit 2012 ein Büro in Doha. Katar betont mit Blick auf seine guten Verbindungen zur Muslimbruderschaft und zu ihren Ablegern allerdings stets seine Vermittlerrolle. Der türkische Staatspräsident Erdogan und seine AKP dagegen fühlen sich der Muslimbruderschaft politisch-ideologisch verbunden.