1968 sassen sechzehn aktive Journalisten im Nationalrat, heute sind es noch zwei. Rückblick auf eine Symbiose.
In der Frühlingssession wurde Ueli Schmezer als neuer SP-Nationalrat vereidigt. Der frühere Moderator des «Kassensturzes» von SRF hatte seinen Journalistenberuf vor den Wahlen von 2023 aufgegeben, um in die Politik wechseln zu können.
Ähnlich sind auch andere vorgegangen, etwa Matthias Aebischer, der 2011 das Schweizer Fernsehen verliess, für die SP in den Nationalrat einzog und jetzt in der Stadtregierung von Bern sitzt. Oder Maximilian Reimann, der das Fernsehen 1987 verliess, um für die SVP Nationalrat und Ständerat im Aargau zu werden. Oder der heutige Thurgauer Ständerat Jakob Stark, der seine journalistische Karriere abbrach, um für die SVP in die Politik einzusteigen. Sie alle konnten erst politische Ämter übernehmen, als sie nicht mehr Journalisten waren.
Das Publikum war des ideologischen Kampfes überdrüssig
Sind also aktiver Journalismus und aktive Politik unvereinbar? Nicht zwingend. Aber in der Schweiz wurde das Jahr 1993 zum Wendejahr. Vorher hatten Medienleute problemlos den Parlamenten der Städte, Kantone und des Bundes angehört, denn die Zeitungen waren lange Zeit mit den politischen Parteien verbandelt.
1993 aber waren auch im Kanton Jura die Parteibindungen der Presse gefallen, und im Jahr zuvor hatte sich die Tessiner Presse weitgehend von den Parteien entkoppelt. 1991 war Kurt Müller aus dem Nationalrat ausgeschieden. Er war von 1967 bis 1990 Inlandchef der «Neuen Zürcher Zeitung» gewesen und hatte dem nationalen Parlament ab 1984 angehört; er war also 23 Jahre lang publizistisch und politisch für die gleiche Ebene zuständig gewesen.
Nun sortierten sich die Medien neu und setzten auf Unabhängigkeit und kritische Distanz gegenüber der Politik. Journalistinnen und Journalisten, die gleichzeitig ein politisches Mandat ausübten, wurden zur Ausnahme.
Warum kam es zu diesem Paradigmenwechsel? Der Grund lag in ökonomischen Zwängen. Die Medienproduktion war anspruchsvoller und teurer geworden. Die Märkte reichten nicht mehr aus, um mehrere Zeitungen in der gleichen Stadt oder Region zu finanzieren. Ausserdem verlangte das Publikum nach neutraler, überparteilicher Information, es war des dauernden ideologischen Kampfes überdrüssig.
Von der Redaktion in den Bundesrat
So gab es in der Schweiz ab 1968 eine ganze Reihe von Pressefusionen – im Wallis, in Graubünden, in Bern, in Basel, in der Zentralschweiz, im Aargau und im Tessin. In vielen Regionen erschien nun nur noch eine Tageszeitung, die sich zwar zu einer eher linksliberalen oder rechtsliberalen Blattlinie bekannte, aber unparteilich über alle politischen Lager informierte. Das Radio und Fernsehen der SRG hatte schon länger ausgeschlossen, dass Journalistinnen und Journalisten für Sendungen verantwortlich sind und politische Mandate ausüben.
Vorher waren Politik und Presse eng verzahnt. Es galt als logisch, wenn Menschen, die sich von Berufs wegen mit den Problemen der Res publica auseinandersetzen, sich auch (partei)politisch engagierten und in Parlamente einzogen. Vor allem die Periode zwischen dem Ersten Weltkrieg und dem Mauerfall von 1989 war die grosse Zeit der journalistisch-politischen Symbiose.
Zur Zeit des Zweiten Weltkriegs und danach sass eine Reihe wichtiger Chefredaktoren im Nationalrat: Willy Bretscher von der NZZ, Ernst Schürch vom «Bund» für die FDP; Albert Oeri von den «Basler Nachrichten» für die Liberaldemokraten oder Karl Wick vom «Vaterland» für die Konservativen, die heutige Mitte.
Später war Helmut Hubacher ein Jahrzehnt lang gleichzeitig Chefredaktor der «AZ-Arbeiterzeitung» und Nationalrat der SP. So war es logisch, dass Journalisten immer wieder auch in den Bundesrat aufstiegen, immerhin vierzehn Mal war das der Fall. Der erste war Jakob Stämpfli von der «Berner Zeitung» (1854), der letzte Ludwig von Moos vom «Obwaldner Volksfreund» (1959).
Auch bekannte Bundesräte wie der Konservative Philipp Etter und der Sozialdemokrat Ernst Nobs nutzten ihre jeweiligen Medien als Steigbügel für ihre politischen Karrieren.
Nach 1993 stellte sich jedoch zunehmend die Frage, ob Medienleute, die in einem Parlament sitzen, beide Aufgaben vollständig und glaubwürdig wahrnehmen können: Parlamentsmitglieder müssen vertrauliche Informationen für sich behalten können. Journalisten wollen alles, was sie für relevant und interessant halten, veröffentlichen. Und Journalisten müssen auch das Parlament kritisieren können, in dem sie sitzen.
Da sind misstrauisches Argwöhnen des parlamentarischen und redaktionellen Umfelds und Zerreissproben nicht zu vermeiden. Der «Weltwoche»-Chefredaktor Roger Köppel, der für die SVP acht Jahre im Nationalrat sass, hat darum 2023 nicht mehr kandidiert.
Heute gehören noch zwei Medienleute dem Nationalrat an, die für parteinahe Blätter zuständig sind: Min Li Marti betreut das sozialdemokratische Wochenblatt «P. S.», Lorenzo Quadri ist Direktor der Sonntagszeitung «Il Mattino della Domenica», die der Lega dei Ticinesi nahesteht. 1968 sassen noch sechzehn Journalisten im Nationalrat und drei im Ständerat, was einem Anteil von 6,8 Prozent entsprach.
Dass diese Werte wieder erreicht werden, ist kaum zu erwarten – auch wenn sich in der Medienwelt ein Trend zur Repolitisierung zeigt.
Roger Blum ist emeritierter Professor für Kommunikations- und Medienwissenschaft an der Universität Bern. Er war von 1971 bis 1978 FDP-Abgeordneter im Kantonsparlament von Baselland, danach hauptberuflich Journalist und nicht mehr Mitglied einer Partei.