Bürgerliche Nationalräte kommen der Tabakbranche bei der Umsetzung der Tabakinitiative weit entgegen. Viel zu weit, finden die Initianten.
An einem Strassenfest, an dem sich auch viele Familien tummeln, verteilen junge Männer und Frauen in lustigen Kostümen Flyer für Zigaretten und verkaufen diese auch gleich: Solche Szenen sollte es in der Schweiz nicht mehr geben, dafür kämpften die Promotoren der Initiative «Kinder ohne Tabak». Sie hatten eigentlich Erfolg, das Volk nahm die Initiative vor genau zwei Jahren mit 57 Prozent der Stimmen an. Doch nun sehen die Initianten ihre Errungenschaften in Gefahr.
Das Problem ist die aus ihrer Sicht viel zu lasche Umsetzung der Initiative, wie sie die Gesundheitskommission des Nationalrates vorschlägt. Diese will unter anderem aus dem Gesetzesentwurf streichen, dass der Verkauf von Tabakprodukten durch mobiles Verkaufspersonal an öffentlich zugänglichen Orten verboten wird.
Die Initianten gaben beim Zürcher Rechtsprofessor Thomas Gächter ein Gutachten in Auftrag. Und Gächter kommt nun zum erwünschten Schluss: «Der Umsetzungsvorschlag ist in mehreren Punkten schlicht nicht verfassungskonform.» Würde der den Anträgen seiner Kommission folgen, wäre aufgrund von Ausnahmen bei Promotion und Sponsoring sogar noch mehr Tabakwerbung erlaubt als im Tabakproduktegesetz von 2021, betont Gächter.
«Jugendschutz ad absurdum geführt»
In der Verfassung steht seit 2022, dass der Bund «jede Art von Werbung für Tabakprodukte, die Kinder und Jugendliche erreicht», verbietet. Für die Initianten ist klar, dass damit auch die Verkaufsförderung und das Sponsoring gemeint sind. Doch die bürgerlichen Gesundheitspolitiker im Nationalrat sehen das anders, sie haben den entsprechenden Passus eliminiert.
Damit werde der Jugendschutz ad absurdum geführt, beklagen sich die Initianten. Es wäre laut ihnen künftig sogar möglich, dass die Tabakindustrie an einem Junioren-Fussballturnier als Sponsor auftreten und einen Stand zur Verkaufsförderung betreiben dürfte. Das wäre eine der Verschlechterungen des Gesetzes gegenüber dem Stand von 2021, auf die der Jurist Gächter hinweist.
Umstritten ist auch das Sponsoring von Kulturveranstaltungen wie Open Airs, von denen die meisten bisher Geld von der Tabakbranche bekommen. Der Verband der Konzert-, Show- und Festivalveranstalter warnte in einer Mail an die Parlamentarier davor, dass ein Sponsoringverbot «erhebliche, nicht kompensierbare Einnahmeausfälle zur Folge hätte» und zu höheren Ticketpreisen führe. Das berichtet der «Tages-Anzeiger».
Der Effekt von Mundpropaganda
Die bürgerlichen Gesundheitspolitiker erfüllen den Wunsch der Veranstalter und wollen an den Events Tabakwerbung zulassen, sofern diese für Jugendliche «weder sichtbar noch zugänglich» ist. Diese Lösung klingt vernünftig, befriedigt die Initianten jedoch nicht. Tabakfirmen würden Veranstaltungen sponsern, damit diese ihre Marke bei der Zielgruppe präsentieren könnten, etwa mit einer separaten Konzert- oder VIP-Bühne in zentraler Lage, schreiben sie. «Auch wenn die Werbung nicht direkt für Minderjährige sichtbar ist, entsteht durch die Mundpropaganda ein Werbeeffekt.»
Japan Tobacco beschreibt selbst, wie Zehntausende von – erwachsenen – Festivalbesuchern an fünf Schweizer Open Airs im «Village» die Zigarettenmarke Winston «live, emotional und unmittelbar» erleben könnten. Es gibt Barbetrieb mit DJs, Fotostationen und Gratis-Gesichtsbemalung. Zwar steht nirgends das Wort «Winston», aber das Logo der Marke, ein Adler, ist genauso präsent wie das typische Winston-Blau.
Für nicht verfassungskonform halten die Initianten auch die geplante Regelung bei der Printwerbung. In den Innenteilen der Zeitungen ist Tabakwerbung gestattet, wenn die Leserschaft zu mindestens 95 Prozent aus Erwachsenen besteht. Allerdings erfasst die Statistik keine Zeitungsleser unter 14 Jahren. Die erfassten vier Jahrgänge von Minderjährigen machen laut den Initianten rund 5 Prozent der Gesamtbevölkerung aus – damit dürfte eine Zeitung selbst dann Tabakwerbung bringen, wenn sie unter minderjährigen Lesern gleich beliebt ist wie unter Erwachsenen.
Strikte Regeln sind aus Sicht der Initianten nötig, weil der Nikotinkonsum bei den Schweizer Jugendlichen ungehindert ansteige. Laut einer Umfrage hat rund ein Drittel der 15-Jährigen in den letzten 30 Tagen mindestens ein Nikotinprodukt konsumiert. «Wir sehen in der Praxis, dass mehr Kinder und Jugendliche Puff-Bars und E-Zigaretten konsumieren, aber nicht viel weniger herkömmliche Zigaretten», sagt Alexander Möller, Kinderpneumologe am Universitätsspital Zürich. «Wir sehen auch, dass diese Kinder und Jugendlichen mehr Atemwegssymptome, mehr Husten und eine schlechtere Fitness haben.»
Der Nationalrat wird die Umsetzung der Tabakinitiative in der Frühlingssession beraten, die am 26. Februar beginnt.