Nicht nur für seine Sammlungen ist der Louvre in Paris weltberühmt. Auch mit hervorragenden Sonderausstellungen tritt er immer wieder in Erscheinung: jetzt mit einer Schau zum Kunstförderer Rudolf II. Allerdings ächzt das Weltmuseum unter Übertourismus.
Reichstage und Machtspiele interessierten ihn weniger als seine Kunstkammer. Er war beileibe kein brillanter Politiker, dieser langjährige König von Ungarn, König von Böhmen, Erzherzog von Österreich und Kaiser des Heiligen Römischen Reiches. Schüchternheit und Schwermut, heute würde man von Neigung zu Depressionen sprechen, führten sogar zur Verdrängung aus seinen Ämtern. Allerdings ist Rudolf II. (1552–1612) als grosse Figur des Kulturlebens in Erinnerung geblieben.
Geboren in Wien und aufgewachsen in Madrid, residierte der Habsburger in Prag, wohin er Astronomen und Künstler berief, die er um sich scharte. Dazu gehörten der Däne Tycho Brahe, der aus dem Württembergischen stammende Johannes Kepler sowie die für ihre Naturdarstellungen bekanntgewordenen Flamen Joris Hoefnagel und Roelant Savery. Denn Rudolf II. war Förderer der Beobachtung und Einordnung von Naturphänomenen und damit Initiator einer Blütezeit von Wissenschaft und Kunst.
Die Erforschung der Natur erfolgte damals mit neuen, revolutionierenden Gerätschaften wie Sonnenuhren und Armillarsphären («Weltmaschinen») aus vergoldetem Messing. Aber auch mit akkurat ausgeführten Zeichnungen und Aquarellen, etwa eines Stieglitzes oder einer Stockmalve. Mit solchen Exponaten setzt nun eine Ausstellung des Louvre in Paris ein, die der Naturerfahrung am rudolfinischen Hof gilt. Sie entstand in Kooperation mit der Národní-Galerie in Prag, enthält aber auch Leihgaben aus Amsterdam, Berlin, Rom und Wien.
Kultureller Schmelztiegel
Die Schau schält mit fast hundert Exponaten heraus, wie die Moldaumetropole in einer Atmosphäre geistiger Toleranz und gegenseitig befruchtenden Austauschs zu einem impulsgebenden Schmelztiegel für neues Beobachten, Messen, Erfassen und Sehen wurde. Dieses goldene Zeitalter setzte 1583 ein, als Rudolf die Burg auf der Prager Kleinseite bezog.
Den interdisziplinären und kosmopolitischen Dialog vertreten epochale Bücher in Vitrinen und frei aufgestellte Skulpturen des niederländischen Bildhauers Adriaen de Vries. Hinzu kommen aus edlen Steinen wie Jaspis, Bernstein oder Achat hergestellte Schalen und «commessi»: Steinschnittarbeiten, wie sie die Italiener Ottavio und Giovanni Ambrogio Miseroni sowie Giovanni Castrucci entworfen haben.
Von den Niederländern Paulus van Vianen oder Pieter Stevens stammen Zeichnungen, die schroffen Felswänden oder Gehölz an Wäldern gelten, während sich der wohl aus Nürnberg stammende Hans Hoffmann einem niedlichen Tier zwischen Gräsern widmete: Es erinnert an Albrecht Dürers berühmten «Feldhasen» und stellt eine nur geringfügig neu interpretierte Replik dar. Als Hommage an den fünfzig Jahre zuvor verstorbenen Meister, der mit Naturdarstellungen brilliert hat, gilt auch Hoffmanns «Hirschkäfer».
Der prominenteste in der Ausstellung vertretene Künstler ist der Mailänder Giuseppe Arcimboldo. Seine Porträts von Rudolf, komponiert aus vielerlei Gemüsen, Früchten und Ähren, symbolisieren Frühling, Sommer, Herbst oder Winter. Sie zeigen den Kaiser als Vertumnus, den Gott der Jahreszeiten und der Vegetation. Dieses Herzstück der Ausstellung ist Leihgabe aus dem schwedischen Schloss Skokloster bei Uppsala. Denn viele Werke der 1648, am Ende des Dreissigjährigen Krieges, bei der Belagerung Prags zerschlagenen Sammlung Rudolfs sind nach Skandinavien gelangt.
Ein Highlight ist aber auch Arcimboldos ganz ohne Zutaten wie Obst und damit ohne Verfremdung auskommendes Selbstporträt, eine mit Feder und Tusche gefertigte Zeichnung, mit der er in der Art eines Edelmanns auftritt.
Überlastete Toiletten und Garderoben
Die Präsentation dieser exquisiten Kostbarkeiten wird höchsten wissenschaftlichen Massstäben gerecht. Damit behauptet sich der vorwiegend für seine ständige Sammlung besuchte Louvre auch als Haus für bedeutende Wechselausstellungen. Allerdings ist der Louvre mit fast neun Millionen Eintritten jährlich längst Opfer des Übertourismus.
Das Besuchermanagement des Museums droht zu kollabieren. Es gibt Probleme, die Besucherströme zu lenken und dem baulichen Verschleiss Herr zu werden. Überlastet sind die Garderoben sowie die Aufzüge und Toiletten. Zwar ist momentan von Abstrichen am Ausstellungsprogramm noch nicht die Rede. Ganz auszuschliessen sind sie in naher Zukunft aber nicht. Die bislang intern geführten Diskussionen sind mittlerweile zum Stadtgespräch, ja zur Staatsaffäre geworden.
Nachdem Laurence de Cars, die Direktorin des Museums, ihre Sorgen zu Papier gebracht hatte und der als vertraulich eingestufte Rapport der Presse zugespielt worden war, eilte Staatspräsident Emmanuel Macron herbei, um dem Flaggschiff der französischen Nationalmuseen beizustehen – unter dem Motto «Nouvelle Renaissance du Louvre».
Fakt ist, dass das nahezu unübersichtliche, aus zahlreichen Trakten, Treppenhäusern, Höfen und Stockwerken bestehende Gebäude unterschiedlich frequentiert wird. In manchen Bereichen ist man fast allein oder in Gegenwart einer überschaubaren Anzahl von weiteren Besuchern. Auch die Ausstellung zur Kunst am Prager Hof ist ein veritabler Ruhepol in dem riesigen Pariser Museum. Andere Räumlichkeiten nehmen sich dagegen aus, als sei man auf einem Weihnachtsmarkt. Dort herrscht bei drangvoller Enge unerträgliches Getöse; das Aufsichtspersonal schützt sich mit Ohrstöpseln.
Dies gilt insbesondere für den Trampelpfad, der zum Saal der «Mona Lisa» führt, und für den Raum selbst, aber auch für die Umgebung mit der Grande Galerie. Das Gedränge beginnt indes bereits am Eingangsbereich unter der gläsernen Pyramide des chinesischen Architekten Ieoh Ming Pei. Es ist aber hausgemacht. Denn die Entscheidung, die Pyramide als einzigen Eingang zu benutzen und dadurch zur Einbahnstrasse zu machen, und anderseits nur einen, durch eine Ladenpassage führenden Ausgang anzubieten, ist ein Fehlentscheid.
Diese Nadelöhre aufzulösen, ist nun oberstes Gebot und mit erheblichen Investitionen für bauliche Eingriffe verbunden. Im Gespräch sind ein neuer Eingang an der Ostfassade mit ihrer Kolonnade, der ein historischer Festungsgraben zu Füssen liegt, sowie neue, förmlich aus dem Boden zu stampfende Räume unter dem grossen Innenhof.
Dabei sind nicht nur finanzielle und statische Hürden zu überwinden. Kunsthistoriker fürchten die Verunklärung von Zusammenhängen, etwa durch eine Isolation der «Mona Lisa». Und Denkmalpfleger erinnern daran, dass der Louvre Festung und Schloss war, bevor er Museum wurde. Entsprechend hat er Bodenbeläge oder Deckengemälde vorzuweisen, die einzelne Bauphasen dokumentieren und oft selbst den Rang von Kunstwerken haben.
Der Louvre muss sich gewissermassen neu erfinden, um weiterhin eine erste Adresse zu bleiben in der weltweiten Museumslandschaft. Wichtig für seine Reputation jedenfalls sind nicht allein Star-Kunstwerke wie die «Mona Lisa», sondern auch Sonderschauen wie diejenige zu Rudolfs Prag der Kunst und Wissenschaft.
«L’Expérience de la nature. Les arts à Prague à la cour de Rodolphe II», Louvre, Paris, bis 30. Juni. Katalog 32 Euro.