Am Mittwoch starteten und landeten vier F/A-18 auf der A 1 bei Payerne. Das mediale Interesse war riesig. Für die Armee kommt die Übung angesichts der politischen Diskussionen genau zum richtigen Zeitpunkt.
Der Himmel über der A 1 zwischen Avenches und Payerne ist wolkenverhangen. Etwa 100 Medienschaffende, Behördenmitglieder und Armeeangehörige sitzen auf einer Holztribüne am Rand eines Zuckerrübenfeldes. Der Blick geht zur rund 300 Meter entfernten Autobahn. Dort ist es ruhig, kein Auto fährt. Plötzlich ertönt ein Dröhnen. Über den Bäumen im Osten erhebt sich grau eine F/A 18, fliegt ein Stück über der Autobahn, dreht ab und fliegt zurück in Richtung Osten.
Es ist Mittwoch, der 5. Juni. Zum ersten Mal seit 33 Jahren baut die Schweizer Luftwaffe ein Stück Autobahn zu einer provisorischen Piste um. Während der Militärübung «Alpha Uno» starten und landen am Mittwoch vier F/A-18-Kampfflugzeuge. Das Ziel ist die Dezentralisierung der Luftwaffe: Im Kriegsfall müssen die Piloten das Manöver nicht nur auf Militärflugplätzen, sondern auch auf behelfsmässigen Bahnen wie ehemaligen Militärflugplätzen oder geeigneten Strassenabschnitten beherrschen.
Organisatorisches Kunststück
Bei der Übung geht es in erster Linie darum, zu testen, ob die Bodenorganisation klappt. Die Armee hat die A 1 bereits am Dienstag Abend um 21 Uhr gesperrt, die Leitplanken entfernt, Löcher geflickt. Dazu transportiert die Armee kiloweise Material auf den Platz, die Feuerwehr steht bereit, die militärische Sanität ebenso – alle Einsatzkräfte müssen so aneinander vorbeimanövrieren, dass sie einander und den Jets nicht in die Quere kommen. Mit dem Simulator lässt sich das nicht trainieren.
Auch eine Panne wird geübt – bei einem Jet wird ein geplatzter Reifen simuliert. Danach bilden Soldaten eine Kette und suchen die Autobahn-Piste nach Reifenfetzen ab, bevor der nächste Flug beginnt. Herumliegende Gegenstände könnten aufgewirbelt werden, in die Triebwerke gelangen, einen Schaden in Millionenhöhe verursachen und den Piloten in eine Notlage bringen. Dasselbe gilt für Vögel – sie werden mittels spezieller Pistolen und Leuchtraketen vertrieben.
Im Verlaufe des Vormittags kommt etwas Wind aus dem Westen auf. Die Jets starten deswegen aus dem Osten. «Gegenwind verkürzt die Abhebe-Distanz», erklärt Bernhard Müller. Der Mann trägt Zivil, er ist heute als geladener Gast da. Bis im Juni 2021 war er Kommandant der Schweizer Luftwaffe. Müller freut sich über die erfolgreiche Übung: «Ich bin stolz, weil es gelungen ist, den Gesamtbundesrat davon zu überzeugen, dass die Dezentralisierung geübt werden muss.» Das bringe einen grossen Wissensgewinn für die Luftwaffe.
Bernhard Müller, ehemaliger Kommandant der Luftwaffe, gehörte zu den wenigen Gästen, welche die Übung von einer Tribüne aus verfolgen durften.
Vor dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, so sind sich die Fachleute einig, hätten Bevölkerung und Politik so eine komplexe Übung niemals akzeptiert. Nach dem Kalten Krieg galten militärische Konflikte als passé, es wurde abgerüstet. Mit der Armee XXI im Jahr 2004 hat die Armee Flugplätze abgebaut, Jet-Betrieb gibt es heute nur noch in Payerne, Meiringen und Emmen.
Doch mit der neuen geopolitischen Lage hat sich das Bild geändert: Die Schweizer Armee soll wieder verteidigungsfähig werden. Die Dezentralisierung der Flugwaffe ist dabei ein Puzzleteil. Heute könnte ein Gegner den Grossteil der Schweizer Luftwaffe auf den drei Flugbasen auf einen Schlag unbrauchbar machen, etwa mit weitreichenden Lenkwaffen.
In Zukunft will die Armee ihre Flugzeuge und Systeme deshalb im Land verteilen und teilweise auch verstecken. Dazu sollen auch alte Flugplätze wieder instand gesetzt werden, beispielsweise in den Alpen. Und auch weitere Autobahnstücke stehen im Fokus, etwa auf der A 3 bei Walenstadt, der A 6 bei Münsingen oder der A 1 bei Oensingen.
Am Anfang war Syrien
Die strategische Neuausrichtung der Luftwaffe hat aber nicht erst mit dem Ukraine-Krieg angefangen, sondern lag bereits vor dem Syrien-Konflikt in der Luft. 2017 bombardierten US-Streitkräfte die Flugbasis al-Shayrat mit Marschflugkörpern. Zivilisten und Soldaten kamen ums Leben, und ein grosser Teil der Flugzeuge und Verteidigungssysteme wurden zerstört. Der Anschlag zeigte auf, wie riskant es ist, einen grossen Teil der Luftwaffe an einem zentralen Ort aufzubewahren. Daraufhin begannen verschiedene Armeen mit der Dezentralisierung und mit entsprechenden Übungen auf Strassen.
Die Schweiz ist jetzt auch so weit. So sagt Christian Oppliger, stellvertretender Kommandant der Luftwaffe, am Mittwoch vor der Übung: «Heute beginnt die Dezentralisierung.» Weitere Übungen sind aber vorerst keine geplant. Man werde jetzt den Test evaluieren und dann weitere Schritte planen. Ab 2027 sollen dann die bestellten F-35 die heutigen Kampfjets ablösen; auch mit diesen sollte ein Starten und Landen auf der Autobahn kein Problem sein.
Für die Verteidigungsfähigkeit der Luftwaffe reichen diese Schritte aus Sicht der Armee und des Bundesrats nicht aus. Dazu müssen auch die Überwachung des mittleren und oberen Luftraums oder die bodengestützte Luftverteidigung verstärkt werden. Entsprechende Schritte werden im Rahmen der Armeebotschaft zurzeit im Parlament diskutiert. Der Ständerat hat diese Woche nicht nur beschlossen, den Zahlungsrahmen der Armee um vier Milliarden zu erhöhen. Er will das Rüstungsprogramm auch um 660 Millionen ausweiten, um Mittel für die bodengestützte Luftverteidigung mittlerer Reichweite zu ergänzen.
Nebst politischem Beifall gibt es aber auch Kritik am Aufwuchs der Armee. Und auch an der Übung «Alpha Uno». Die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) forderte im Vorfeld, die Armee solle künftig auf solche «ressourcenverschwendende» Anlässe verzichten, die «Unmengen an Steuergeldern» kosten, aber «keine Sicherheit» bringen würden. Und die grüne Nationalrätin Marionna Schlatter, Mitglied der Sicherheitskommission, bemängelt die mediale Aufmerksamkeit für «Alpha Uno» – SRF überträgt die ganze Übung live. Schlatter schreibt am Mittwoch auf dem Kurznachrichtendienst X, es handle sich um «Armeepropaganda».
Tatsächlich dürfte die Armee nicht unglücklich sein über die vielen Kameras und Mikrofone in Payerne. Der Chef der Armee, Thomas Süssli, warnt seit Monaten vor Fähigkeitslücken. In der Politik ist seine Botschaft angekommen. Doch ob die Bevölkerung mitzieht, ist nicht klar. Mediale Aufmerksamkeit ist daher wohl willkommen. Süssli zeigt sich am Mittwoch auf jeden Fall zufrieden, die Übung sei wie geplant abgelaufen, sagt der Chef der Armee. Oder im Militärjargon: Auftrag erfüllt.