Der Lobito-Korridor soll die Ausfuhr von Mineralien, die für die Energiewende zentral sind, vereinfachen. Beteiligt ist auch ein Schweizer Rohstoffhändler. Doch vielleicht kommt das Projekt zu spät.
«Amerika», sagte ein sichtlich gut gelaunter Joe Biden im November 2023 im Oval Office, «setzt voll und ganz auf Afrika.» Hinter dem amerikanischen Präsidenten loderte ein Kaminfeuer, neben ihm sass João Lourenço, der Präsident von Angola – jenem afrikanischen Land, in dem die USA beweisen wollen, wie ernst sie es meinen mit dem Engagement in Afrika.
Biden sprach über den Lobito-Korridor, ein 2,3-Milliarden-Dollar-Projekt, das Minengebiete im Herzen Afrikas verbinden soll mit dem Hafen von Lobito an Angolas Atlantikküste. Im Zentrum steht eine 1300 Kilometer lange Bahnlinie, die erneuert werden soll. Der Lobito-Korridor ist kein rein amerikanisches Projekt. Er ist das wichtigste Projekt des Westens, um dem chinesischen Einfluss in Afrika entgegenzutreten. Und er ist der erste «strategische wirtschaftliche Korridor», den die G-7-Länder unter ihrer «Partnerschaft für globale Infrastruktur und Investitionen» (PGII) lanciert haben. Die PGII gibt es seit 2022, sie soll Infrastrukturprojekte in Entwicklungsländern finanzieren – und so Chinas Belt-and-Road-Initiative konkurrenzieren.
Die USA und Europa wollen China in Afrika offensichtlich mit den eigenen Waffen schlagen. Peking hat in den vergangenen beiden Jahrzehnten Dutzende Milliarden Dollar auf dem afrikanischen Kontinent investiert. Oft diente das Geld dazu, grosse Infrastrukturprojekte zu bauen: Eisenbahnen, Flughäfen, Strassen, Stadien, Parlamentsgebäude. Neben den chinesischen Milliardeninvestitionen verblasste das westliche Engagement. Der Lobito-Korridor soll das ändern. Die USA nennen es «die wichtigste Transportinfrastruktur, bei der die USA seit einer Generation auf dem afrikanischen Kontinent mithelfen».
China kontrolliert Kupfer und Kobalt
Die Lobito-Eisenbahn, die trotz chinesischen Sanierungsarbeiten in den letzten beiden Jahrzehnten in schlechtem Zustand ist, führt vom Atlantik in den Süden von Kongo-Kinshasa. Portugiesische Kolonialisten begannen den Bau 1902, er war 1929 abgeschlossen. Die Linie führt in den Süden von Kongo-Kinshasa. Die dortige Minenregion ist eine der wichtigsten auf dem afrikanischen Kontinent. Kongo-Kinshasa fördert rund 70 Prozent allen Kobalts weltweit – das Metall wird unter anderem für die Produktion von Batterien für Elektroautos benötigt. Kongo-Kinshasa ist auch der grösste afrikanische Produzent von Kupfer, einem weiteren für die Energiewende zentralen Metall. Kupfer wird unter anderem für Solarpanels und Windturbinen benötigt.
Es gibt Pläne, die Lobito-Eisenbahn in das angrenzende Sambia zu verlängern. Die dortige Minenregion ist ähnlich wichtig wie die kongolesische. Sambia ist der zweitgrösste Kupferförderer in Afrika; Anfang Jahr stiessen amerikanische Ingenieure auf das grösste Kupfervorkommen, das in Sambia seit einem Jahrhundert gefunden wurde.
Die USA und Europa sind gegenüber China beim Zugang zu Rohstoffen, die für die Energiewende wichtig sind, deutlich im Hintertreffen. China kontrolliert laut manchen Analysten zwei Drittel aller zur Zeit aktiven Reserven kritischer Rohstoffe oder ist an den Minen beteiligt. Chinesische Unternehmen verarbeiten auch den allergrössten Teil der Rohstoffe.
Der Lobito-Korridor ist der Versuch der Amerikaner und Europäer, das in Afrika zu ändern. Die USA haben 250 Millionen Dollar an Regierungsgeld versprochen, dazu kommen private Investitionen, angeblich in Milliardenhöhe. Auch europäische Länder beteiligen sich, jüngst hat Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni am G-7-Gipfel im Juni 298 Millionen Euro für den Lobito-Korridor versprochen.
Beteiligt ist auch der Schweizer Rohstoffhändler Trafigura. Er hat sich zusammen mit der portugiesischen Logistikfirma Mota-Engil und dem deutschen Eisenbahnbetreiber Vecturis die Konzession für die Eisenbahnlinie für einen Zeitraum von dreissig Jahren gesichert. Das Konsortium hat angekündigt, rund eine halbe Milliarde Dollar investieren zu wollen. Die Investitionen sollen es möglich machen, dass der Transport der Rohstoffe aus der Minenregion an die Küste künftig nur noch einige Tage dauert. Bisher findet der Transport per Lastwagen statt – und dauert Wochen.
Ein koloniales Wirtschaftsmodell?
Der Lobito-Korridor hat auch viele Kritiker. Diese führen zum Beispiel an, dass es wenig bringe, den Transport kritischer Rohstoffe Richtung Europa und USA zu beschleunigen, solange China deren Vorkommen kontrolliere. «Der Lobito-Korridor», schrieb ein sambischer Kommentator für die Denkfabrik «Africa Policy Research Institute», «könnte zu spät kommen. Die meisten Vorkommen hat sich bereits China gesichert.»
Die Kritiker monieren auch, der Lobito-Korridor verfolge ein Wirtschaftsmodell, das seine Wurzeln in der Kolonialzeit hat: afrikanische Rohstoffe möglichst rasch an die Küste zu befördern, um sie da zu exportieren und anderswo zu verarbeiten. Viele afrikanische Länder – auch Kongo-Kinshasa und Sambia – streben danach, die geförderten Mineralien künftig stärker im Land weiterzuverarbeiten. Einige Länder, Simbabwe zum Beispiel, haben gar Verbote für die Ausfuhr einzelner Rohwaren in unverarbeitetem Zustand erlassen.
Die amerikanischen und europäischen Verfechter des Lobito-Korridors sagen, das Projekt gehe weit über die Ausfuhr kritischer Rohwaren hinaus. Es ziele darauf, eine ganze Region Afrikas wirtschaftlich voranzubringen. Geplant sind unter anderem auch Investitionen in Landwirtschaft, Solarenergie oder Handynetze.
Auch China will nun Eisenbahn erneuern
China verfolgt das Prestigeprojekt des Westens aufmerksam. Und hat bereits reagiert: Im Februar kündigte Peking an, eine Milliarde Dollar investieren zu wollen, um die Tazara-Eisenbahnlinie zu erneuern, eine weitere historische Eisenbahn in Afrika. Diese führt von Sambia zur tansanischen Hafenmetropole Dar es Salaam an der Ostküste. China hatte in den 1970er Jahren, zur Zeit Mao Zedongs, geholfen, die Linie zu bauen. Es war ein frühes chinesisches Infrastrukturprojekt auf dem Kontinent. Nun soll es offenbar auch die Antwort auf die westliche Offensive in Lobito sein.
Der britische «Economist» schrieb angesichts des geopolitischen Kräftemessens schon von «Afrikas überraschendem neuen Eisenbahnzeitalter». Für China ist eine Milliardeninvestition in ein grosses Eisenbahnprojekt eigentlich anachronistisch. Peking hatte die Investitionen in den vergangenen Jahren stark zurückgefahren, unter anderem weil sich grosse Eisenbahnprojekte in Äthiopien und Kenya als wenig rentabel erwiesen hatten. Doch nun scheint das Lobito-Projekt die Investitionslust neu angestachelt zu haben.