Nestlé hat sein Wasser illegalerweise gefiltert. Seither kämpft die Branche um ihre Glaubwürdigkeit. Nun weist ein Mineralwasserkontrolleur auf ein weiteres Problem hin: Plastikflaschen verändern den Geschmack und die Inhaltsstoffe des Wassers.
Wasser ist nicht gleich Wasser. Das zumindest ist das Versprechen, welches die Hersteller von Mineralwässern abgeben. Ihre Produkte seien hochwertiger, gesünder, natürlicher als das, was aus dem Hahnen komme.
Das Gelöbnis geriet in den letzten Monaten unter Druck. Schuld ist der Waadtländer Food-Multi Nestlé. Er musste einräumen, bei einem Teil seiner Mineralwässer illegale Reinigungsmethoden angewendet zu haben. Vor allem bei französischen Marken wie Perrier und Vittel. Aber auch bei der Schweizer Henniez-Quelle. Die Organisation Foodwatch hat Nestlé in Frankreich deswegen verklagt.
Am Pranger steht Nestlé, aber unter Druck ist die ganze Industrie. Die Reinheit des Wassers ist ihr Fundament. Muss es gefiltert werden, dann unterscheidet es sich nicht mehr gross von Leitungswasser. Der geschützte Begriff «natürliches Mineralwasser» verkommt zum Etikettenschwindel.
Mineralwasser ist das Premiumprodukt unter den Wasserarten. 108 Liter davon wurden in der Schweiz letztes Jahr pro Kopf getrunken. Der Preis im Vergleich zu einem «Hahnenburger» ist enorm. Ein Liter Mineral kostet zwischen 25 Rappen und 9 Franken. Ein Liter Trinkwasser – also alles, was aus dem Hahnen, der Dusche oder dem Gartenschlauch kommt – gerade einmal 0,2 Rappen pro Liter.
Natürliches Mineralwasser ist klar definiert. Es darf in seiner Zusammensetzung nicht schwanken. Das heisst, dass die Mineralwerte immer gleich bleiben müssen. Das Wasservorkommen muss unterirdisch sein und darf nur über die immergleiche Quelle angezapft werden.
PET kann Geschmack verändern
«Es muss von ursprünglicher Reinheit sein und darf von der Quelle bis zum Konsumenten nicht verändert werden», sagt Matthias Beckmann, Kantonschemiker für Graubünden und Glarus. Die Region ist bekannt für Marken wie Valser, Rhäzünser oder Elmer. Sie werden von Beckmann und seinem Team kontrolliert.
Probleme sieht der Kantonschemiker nicht beim Wasser, sondern bei dem, was nach der Gewinnung passiert. «Natürliches Mineralwasser wird immer in Flaschen abgefüllt. Für die Gastronomie kommen zumeist Glasflaschen zum Einsatz. Das ist gut für den Geschmack und den Schutz der ursprünglichen Reinheit.»
Anders sieht es aus, wenn das Wasser in PET-Flaschen abgefüllt wird. «Dann kann man eigentlich nicht mehr von natürlichem Mineralwasser reden, denn dann ist es vorbei mit der ursprünglichen Reinheit.»
Denn es gibt Stoffe, die durch die Flasche hindurch ins Wasser gelangen. Aber auch aus dem PET-Material kann sich Material ablösen. Der Geschmack ändere sich dadurch spürbar, sagt Beckmann. Dies sei unschön, aber legal.
Der Verband Schweizerischer Mineralquellen und Soft-Drink-Produzenten (SMS) schreibt: «Es ist bekannt, dass sich in PET-Flaschen geringe Mengen an Acetaldehyd bilden können – vor allem bei unzweckmässiger Lagerung, etwa an der prallen Sonne.» Die chemische Flüssigkeit Acetaldehyd soll ein fruchtiges Aroma haben. Weil die abgegebene Menge derart gering sei, komme dies beim Mineralwasser nicht zum Tragen.
So oder so: Die Glaubwürdigkeit des Produkts Mineralwasser ist auf dem Prüfstand. Denn der Einfluss des Menschen auf die Umwelt lässt sich immer häufiger nachweisen. «Mineralwasser stammt oftmals aus sehr tiefen Schichten und ist deshalb besser geschützt vor menschlichen Verunreinigungen. Eine Garantie gibt es allerdings nicht, wie der Fall Nestlé zeigt», sagt Urs von Gunten, Professor am Wasserforschungsinstitut der ETH Zürich (Eawag).
Die Nestlé-Wässer waren wohl verunreinigt, mutmasslich durch die Landwirtschaft sowie veraltete Kläranlagen. Darauf deutet die Sprachregelung des Konzerns hin. Der Mineralwassergigant macht geltend, dass das Henniez-Wasser nur durch einen Aktivkohlefilter gejagt worden sei, weil «die Lebensmittelsicherheit absolute Priorität gehabt» habe.
Ein Glas Milch ist gleich einem halben Liter Valser
Auch wenn die Mengen sehr gering sind: Vom Menschen verursachte Rückstände sind im Mineralwasser üblich. Der Bund hat deshalb 2022 Richtwerte für solche Spurenstoffe erlassen. Werden die nicht überschritten, kann ein Mineralwasser sein Gütesiegel behalten.
Jedoch sind nicht mehr alle davon überzeugt, dass das Mineral noch ein Naturprodukt ist. Die Waadtländer Nationalrätin Sophie Michaud Gigon (Grüne) will in einem Vorstoss vom Bundesrat wissen, ob die Bezeichnung «natürliches Mineralwasser» noch zeitgemäss sei. Die Antwort steht noch aus.
Michaud Gigon arbeitet als Konsumentenschützerin in der Westschweiz. Als solche hat sie wohl auch die Absicht, Mineralwasser den Premiumstatus abzuerkennen, was dessen hohen Preise unter Druck setzen würde.
Doch auch der Trinkwasserforscher Urs von Gunten hält das Versprechen, dass Mineralwasser etwas Besseres sei, primär für Marketing. Die Mineralisierung variiere von Produkt zu Produkt stark. «Das französische Vulkanwasser Volvic hat kaum Mineralien drin. Valser hat einen sehr hohen Mineraliengehalt. Und Henniez ist punkto Mineralisierung vergleichbar mit vielen Leitungswässern in der Schweiz.»
Überhaupt: Mineralien wie Magnesium und Kalzium könne man auch über andere Lebensmittel einnehmen, etwa Käse oder Gemüse. «Ein Glas Milch ist vom Kalziumgehalt her vergleichbar mit einem Liter Passugger oder einem halben Liter Valser», sagt von Gunten.
Nirgendwo auf der Welt wird die Tradition des Mineralwassers so hoch gehalten wie in Europa. Jahrhundertelang wurde darin gebadet. Die Quellen wurden gehegt und gepflegt. Später wollte man das mineralisierte Wasser der breiten Bevölkerung zugänglich machen: Vor hundert Jahren konnte man es in Drogerien kaufen. In den 1950er und 1960er Jahren bildeten sich dann die bekannten Marken: Valser, Adelbodner usw.
In der EU, an deren Regeln sich die Schweiz anlehnt, gelten deshalb strenge Regeln. Schon in den USA, einem der grössten Märkte für abgefülltes Wasser, ist das anders. Stille Mineralwässer, die nicht durch hinzugefügte Kohlensäure desinfiziert sind, müssen dort beispielsweise gereinigt werden, etwa mit Ozon. Das ermöglicht es Firmen, Wässer aus qualitativ schlechteren Quellen als «mineral water» zu verkaufen.
Wut auf Nestlé
Gemäss Gerüchten lobbyiert Nestlé in Brüssel ebenfalls für laschere Regeln beim Mineralwasser. Auf eine entsprechende Frage gibt der Konzern keine Antwort.
Bei den anderen rund zwanzig Schweizer Mineralquellen ist der Nahrungsmittelgigant mittlerweile ein rotes Tuch. Er sabotiert in ihren Augen das Reinheitsversprechen, das für die Branche so wichtig ist. Öffentlich dazu äussern will sich niemand. Das dürfte auch daran liegen, dass Nestlé grossen Einfluss hat. Präsident des Mineralquellen-Verbands ist ausgerechnet der Chef der Nestlé-Marke Henniez, Alessandro Rigoni.
Aber es ist klar, dass die Mineralwasserproduzenten Kontakt zur Öffentlichkeit suchen. Die kleine Ostschweizer Quelle Goba (Appenzell-Mineral, Flauder) gewährte dem «Tages-Anzeiger» Einblick in ihr Wasserschutzkonzept. Der Getränkehersteller Coca-Cola Schweiz, der 2002 Valser Wasser übernommen hat, strich an einem Medienanlass die Vorzüge von natürlichem Mineralwasser heraus.
Ob sich die gegenwärtige Aufregung ums Mineralwasser aufs Konsumverhalten auswirkt, ist noch nicht abzusehen. Joachim Stüssi, Präsident der technischen Kommission des Verbands der Mineralquellen sowie Regulationsexperte bei Coca-Cola Schweiz, sagt: «Die gegenwärtige Debatte sehen wir als Chance, das Wissen über Mineralwasser zu stärken.»
Der Kampf ums wahre Wasser hat erst begonnen. Er wird auch zu einem Gigantenduell zwischen Nestlé und Coca-Cola werden.