In der Schweiz wählen immer mehr Menschen bei der Pensionierung einen Kapitalbezug anstelle einer Rente. Faktoren wie die Restlebenserwartung, der Umwandlungssatz, das Steuerniveau und die Renditeannahmen spielen eine zentrale Rolle, ob sich dieser Schritt finanziell lohnt.
Immer mehr Menschen entscheiden sich bei der Pensionierung für einen teilweisen oder einen vollständigen Kapitalbezug. Im Jahr 2023 wählten 60% der Pensionierten diese Option. Erstmals war der Anteil derjenigen, die ausschliesslich den Kapitalbezug wählten, mit 41% grösser als der Anteil derjenigen, die sich für eine Rente entschieden.
Der Trend ist in gewisser Hinsicht nachvollziehbar: Bei einer jährlichen Teuerung von 0,5% sinkt die Kaufkraft einer heutigen Rente von 4000 Fr. in zwanzig Jahren auf 3620 Fr., bei 1% auf 3278 Fr. und bei 2% auf 2692 Fr. Und die derzeitige Inflation ist auch in der Schweizer Wirtschaftsgeschichte vergleichsweise niedrig: Zwischen 1946 und 2022 erreichte sie einmal kurzfristig fast 10%, in den Siebzigerjahren, während sie mehrere Jahrzehnte zwischen 1 und 4% lag.
Die Altersrente aus der zweiten Säule wird gesetzlich nicht an die Inflation angepasst. Bei den meisten Pensionskassen ist ein Teuerungsausgleich freiwillig. «Mir ist keine Pensionskasse bekannt, die die Inflation systematisch ausgleicht. Das ist seit zwanzig Jahren vorbei», sagt Dr. Veronica Weisser, Ökonomin und Vorsorgeexpertin bei UBS, gegenüber The Market.
Die Entscheidung, ob jemand eine Rente oder eine Kapitalauszahlung wählen sollte, ist eine finanzielle Abwägung: Was lohnt sich mehr? Dabei spielen neben der Teuerung Faktoren wie die Restlebenserwartung, die Steuerbelastung, der Umwandlungssatz und die Renditeerwartung eine zentrale Rolle, wie die folgende Übersicht zeigt.
Um zu entscheiden, welche Option finanziell günstiger ist, muss zunächst der sogenannte Break-even-Punkt berechnet werden. Er gibt an, in welchem Alter das angesparte Kapital aufgebraucht wäre, wenn man sich selbst eine monatliche Rente auszahlen würde. Ein niedriger Wert spricht in der Regel für eine Rentenzahlung, ein hoher Wert eher für eine Kapitalauszahlung.
Eine Beispielrechnung für eine in Zürich wohnhafte, konfessionslose und alleinstehende Person zeigt den Break-even-Punkt zwischen Kapitalauszahlung und Rente. Die Basis sind ein Altersguthaben von 1 Mio. Fr., ein Umwandlungssatz von 5,3%, eine Rentenbesteuerung von 9% und eine Vermögensrendite von 3%.
Nach Abzug der sofort fälligen Steuer von 111’580 Fr. verbleiben beim Kapitalbezug 888’420 Fr. Mit einem jährlichen Vermögensverbrauch von 48’230 Fr. und Vermögens- und Einkommenssteuern von durchschnittlich 1500 Fr. reicht das Kapital theoretisch für 25 Jahre – bis zum Alter von 90 Jahren.
Liegt der Break-even-Punkt in Anzahl Jahren über der durchschnittlichen Restlebenserwartung, kann ein Kapitalbezug vorteilhaft sein. Gemäss Prognose wird eine Frau, die 2030 mit 65 in Rente geht, im Schnitt 91 Jahre alt, während Männer durchschnittlich 88 Jahre erreichen. Nicht berücksichtigt sind hierbei die AHV-Rente und bestehendes Vermögen, die auch in die Finanzplanung einfliessen.
Wenn jemand kurz nach der Entscheidung für eine Rente verstirbt, wird sich diese Wahl als nachteilig erweisen. Zwar erhält der Ehepartner meist eine reduzierte Hinterbliebenenrente, doch ohne Partner oder nach seinem Tod verfällt das Restkapital, und Erben gehen leer aus. Bei niedriger Restlebenserwartung ist ein Kapitalbezug daher oft die bessere Option.
Wenn der Ehepartner oder eingetragene Partner deutlich jünger ist, liegt der Vorteil aber beim Rentenbezug, da dieser der besseren Hälfte lebenslang eine reduzierte Rente garantiert. «Die Menschen unterschätzen ihre eigene Langlebigkeit», warnt zudem Dr. Oliver Dichter, Leiter Asset Liability Management bei der Anlageberatungsgesellschaft PPCmetrics.
Die steigende Lebenserwartung könnte die Rentenoption zunächst attraktiver erscheinen lassen. In Wirklichkeit verringern jedoch sowohl die steigende Restlebenserwartung als auch niedrige Kapitalmarktrenditen die Rentenversprechen der Pensionskassen. Weil für verschiedene Bevölkerungsgruppen unterschiedliche Sterbetafeln gelten, passen Versorgungseinrichtungen ihre Umwandlungssätze an.
«Für eine Pensionskasse mit ausschliesslich wohlhabenden und gesunden Versicherten kann im Tiefzinsumfeld ein angemessener Umwandlungssatz heute bei 3,8% liegen, hingegen ist im Tiefzinsumfeld und ohne Risikoträgerschaft der Rentner ein Umwandlungssatz von über 5,5% auch für Populationen mit geringer Lebenserwartung nicht gerechtfertigt», erklärt die UBS-Expertin.
Pensionskassen, die die steigende Lebenserwartung systematisch in die Festlegung des Umwandlungssatzes einbeziehen, senken ihn jährlich um etwa 1 Basispunkt.
Ein umhüllender Umwandlungssatz (für Obligatorium und Überobligatorium) ermöglicht tiefere Sätze trotz der gesetzlich festgelegten 6,8% im Obligatorium. Im Extremfall kann der Satz im Überobligatorium sogar bei 0% liegen. Beiträge, die über den Mindestzins verzinst oder über den vorgeschriebenen BVG-Sparbeitrag hinaus geleistet wurden, können dem Überobligatorium zugerechnet werden – auch bei Angestellten mit tiefem Lohn.
Bei den meisten Pensionskassen spielt die steigende Lebenserwartung jedoch eine untergeordnete Rolle bei der Festlegung des Umwandlungssatzes. Wichtiger ist der technische Zins, der vom Zinsniveau und vom erwarteten Anlageertrag abhängt.
«Ohne Anlagerisiko, das von Arbeitgebern und Arbeitnehmern getragen werden muss, wären Umwandlungssätze zwischen 3,5 und 4% realistisch, die auch private Lebensversicherungen anbieten würden», sagt Dichter. Bei den meisten Pensionskassen sind die Umwandlungssätze auf dem heutigen Niveau vorerst gesichert. Erst Renditen auf zehnjährige Bundesobligationen von –0,5% könnten erneut für Abwärtsdruck sorgen.
Tritt dies ein, wird der Anreiz für einen Kapitalbezug steigen.
Bestehende Rentenbezügerinnen und Rentenbezüger sind von Senkungen des Umwandlungssatzes nicht betroffen, weil laufende Renten nach den heute geltenden Gesetzen nicht gekürzt werden dürfen.
Während die Pensionskassenrente vollständig als Einkommen besteuert wird, wird die Besteuerung des Kapitalbezugs einmalig durchgeführt, separat vom übrigen Einkommen und zu einem reduzierten Steuersatz. Langfristig ist die Steuerbelastung beim Kapitalbezug daher häufig geringer. Besonders vorteilhaft ist ein gestaffelter Kapitalbezug im Rahmen einer Teilpensionierung.
Innerhalb eines Kantons ist die Berechnung meist einheitlich, zwischen den Kantonen gibt es jedoch grosse Unterschiede. Zudem unterliegt die Steuer in den meisten Kantonen der Progression. Das Resultat: Für einen Betrag von 1 Mio. Fr. beträgt der Steuerfaktor zwischen dem günstigsten Kanton, Appenzell Innerrhoden (AI), und dem teuersten, Zürich (ZH), das Doppelte.
Der Bundesrat plant, die Kapitalbezugssteuer im Rahmen der Reform des Bundeshaushalts einkommensabhängig zu gestalten. Dieses Vorhaben dürfte jedoch im Parlament auf erheblichen Widerstand stossen.
Auch Einkommens- und Vermögenssteuern spielen eine zentrale Rolle bei der Wahl zwischen Rente und Kapitalbezug. Hohe Vermögenssteuern belasten das bezogene Kapital, während hohe Einkommenssteuern den Ertrag aus Vermögen, wie Dividenden oder Coupons, sowie die Rente schmälern. Dies ist besonders relevant, da oft zusätzlich ein Einkommen aus der AHV und ein angespartes Vermögen vorliegen.
«Hohe Vermögenssteuern verschieben den Break-even-Punkt nach hinten und machen einen Kapitalbezug weniger attraktiv. Hohe Einkommenssteuern hingegen bringen den Break-even-Punkt nach vorne, was den Kapitalbezug interessanter macht», fasst Finanzexperte Florian Schubiger von VermögensPartner den Sachverhalt zusammen.
Und eine tatsächliche Steuerersparnis beim freiwilligen Pensionskasseneinkauf kann nur erzielt werden, wenn mindestens das eingezahlte Kapital bei der Pensionierung bezogen wird.
Wer bei der Pensionierung Kapital bezieht, steht vor der Herausforderung, es sinnvoll anzulegen. Ein Sparkonto bietet nur begrenzte Vorteile, weil die Leitzinsen der Schweizerischen Nationalbank weiterhin auf einem äusserst niedrigen Niveau liegen. Unter Berücksichtigung der Inflation haben sich die Sparzinsen historisch betrachtet kaum jemals wirklich gelohnt.
Angesichts der niedrigen Sparzinsen stellt die Rente für viele Menschen, die sich bis zur Pensionierung wenig mit Finanzmärkten beschäftigt haben oder generell Schwierigkeiten mit der Geldverwaltung haben, oft die bessere Wahl dar. Wer jedoch über das nötige Wissen verfügt, kann durch gezielte Strategien die Rendite optimieren und eigenverantwortlich handeln. Dabei sollte man allerdings auch bereit sein, die Herausforderung anzunehmen, im hohen Alter weiterhin Investitionsentscheidungen zu treffen.
65-jährige Männer haben Ende 2024 statistisch gesehen noch etwa 22 Lebensjahre vor sich, während Frauen im Durchschnitt mit weiteren 24 Lebensjahren rechnen können. Dieser langfristige Anlagehorizont relativiert die Bedeutung kurzfristiger Schwankungen an den Börsen. Schweizer Aktien erzielten gemäss der Langfriststudie von Pictet im Zeitraum von 1926 bis 2023 eine durchschnittliche jährliche Rendite von 7,7%.
Gemäss der Studie beträgt der optimale Anlagehorizont für Schweizer Aktien über vierzehn Jahre: Seit 1926 hätte kein Anleger Verluste auf seine ursprüngliche Investition erlitten. Zudem übertrifft ein gut diversifiziertes Portfolio aus Schweizer Aktien langfristig stets die Rendite eines Obligationenportfolios. Ein Schweizer Obligationenportfolio erzielte im Zeitraum von 1926 bis 2023 eine durchschnittliche jährliche Rendite von 4%.
Der Einfluss der Vermögensrendite auf das Break-even-Alter darf nicht unterschätzt werden. Bei einer Rendite von 5% verschiebt es sich bereits auf 110 Jahre.
Um finanzielle Engpässe im Alter zu vermeiden, sollte man konservativ planen und eine längere Dauer als die durchschnittliche Restlebenserwartung einbeziehen. Wer Pensionskassengelder bezieht, trägt selbst das Anlagerisiko und muss eine nachhaltige «Rente» erwirtschaften. Oft wird eine unrealistische Rendite erwartet oder das Vermögen zu schnell verbraucht.
Die Entscheidung, ob das Pensionskassengeld als Kapital oder Rente bezogen wird, ist nicht rückgängig zu machen. Daher ist die Erstellung eines realistischen Budgets für die Zeit nach der Pensionierung zwingend. Dazu gehört die Festlegung eines Lebensstandards, der auch unter Berücksichtigung der Teuerung erhalten werden kann.
Und es muss keine Entweder-oder-Entscheidung sein: Häufig ist eine Mischform sinnvoll, um dem Langlebigkeitsrisiko beim Kapitalbezug entgegenzuwirken. Mario Bucher, Vorsorgeexperte von PensExpert, empfiehlt beispielsweise, einen Teil des Vorsorgekapitals als Rente zu beziehen, wenn man seine monatlichen Lebenshaltungskosten mit kontinuierlichen Einkünften abdecken möchte.