Die Schweiz rennt derzeit wie mehr als fünfzig andere Länder in Washington Türen ein, um den Zollschock zu lindern. Die Bundespräsidentin hat dem US-Staatschef Angebote zur Besänftigung in Aussicht gestellt.
Eine Pistole an der Brust bringt manche Menschen zum Reden. Seit die Regierung Trump vergangene Woche mit nur einigen Tagen Vorlaufzeit eine massive Zollmauer gegen Importe aus dem Rest der Welt angekündigt hat, rennen ausländische Handelsdiplomaten und Politiker in Washington die Türen ein. Die USA verhängten Zölle von 10 bis 50 Prozent – für die Schweiz gelten seit Mittwoch 31 Prozent. Die Ausnahme für Pharmaprodukte soll nur vorübergehend sein; spezielle Pharmazölle sind angekündigt.
Schon etwa 70 Länder sollen in Washington angeklopft haben. Zu diesen gehört auch die Schweiz. Alle betroffenen Länder haben einige Rätsel zu lösen. Will die Regierung Trump überhaupt verhandeln? Falls ja, welches Paket von Gegendrohungen und Konzessionen soll man den USA anbieten? Und bekommt man Zugang zu den entscheidenden Leuten?
Auch für die entscheidenden Leute in Washington hat der Tag nur 24 Stunden; sie können deshalb nicht gleichzeitig mit Delegationen aus der halben Welt verhandeln. Immerhin hat Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter am Mittwochnachmittag den ultimativen Entscheidungsträger am Telefon erreicht. Sie sprach laut dem Finanzdepartement mit Präsident Trump etwa 25 Minuten in einer «offenen Atmosphäre». Die Bundespräsidentin hat Trump gemäss ihrer eigenen Meldung auf X «Wege» aufgezeigt, um auf die US-Anliegen einzugehen. Man habe vereinbart, in Kontakt zu bleiben. Von konkreten Verhandlungsterminen war auf dieser Ebene aber anscheinend nicht die Rede.
Staatssekretärin Helene Budliger hat am Mittwoch ihren Besuch in Washington beendet. Der Bundesrat liess sich informieren. Wirtschaftsminister Guy Parmelin dürfte am Donnerstag an einer Medienkonferenz einige Informationen über das weitere Vorgehen liefern. Viel Konkretes – zum Beispiel einen Termin für die Aufnahme von Verhandlungen und eine Liste von Themen – sollte man jedoch dem Vernehmen nach noch nicht erwarten. Allerdings könne sich die Lage sehr rasch ändern, hiess es am Mittwoch.
Sonderbeauftragter ernannt
Der Bundesrat hat am Mittwoch einen Sondergesandten für die USA ernannt: Gabriel Lüchinger, Chef der Abteilung Internationale Sicherheit im Aussendepartement. Die neu geschaffene Projektorganisation zum USA-Problem steht unter der Leitung von Aussenminister Ignazio Cassis. Laut dem Aussendepartement steht dahinter das Anliegen einer Gesamtsicht zu den USA-Beziehungen über die Handelsfragen hinaus.
Die US-Regierung vermittelt in diesen Tagen den Eindruck, verhandlungsbereit zu sein. Dass man dies schon fast als Fortschritt werten mag, gehört zur Psychologie der Zollmauer. Japan soll als eines der ersten Länder an die Reihe kommen. Trump stellte auch Verhandlungen mit Korea in Aussicht. Er machte sich aber auch lustig über ausländische Politiker, die um einen Deal bettelten. Das illustriert die Psychologie des Tyrannen, der nur Stärke akzeptiert und Schwäche verachtet.
Was heisst hier «fair»?
Was die US-Regierung genau will, bleibt interpretationsbedürftig. «America will nur Fairness», schrieb Trumps Handelsberater Peter Navarro diese Woche in der «Financial Times». Das klingt vernünftig, doch die US-Regierung scheint eine bizarre Vorstellung von Fairness zu haben: Fair sind nur jene Länder, die mindestens gleich hohe Güterwerte aus den USA importieren, wie sie sie in die USA exportieren.
Insgesamt ist der Saldo der Aussenhandelsbilanz eines Landes nicht durch Zölle bestimmt, sondern durch das Verhältnis zwischen Sparvolumen und Konsum. Die USA konsumieren mehr, als sie sparen, deshalb haben sie ein Aussenhandelsdefizit – finanziert durch Kapital aus dem Ausland. Ob diese Konstellation für die USA oder das Ausland günstiger ist, hängt von diversen Faktoren ab und ist nicht a priori klar.
Änderungen in der Handelspolitik können die Handelsstruktur beeinflussen, doch das Aussenhandelsdefizit der USA wird dies kaum stark reduzieren. Aber die USA wollen Änderungen sehen. Die EU hat diese Woche den Amerikanern angeboten, gegenseitig die Industriezölle abzuschaffen, doch laut der US-Regierung genügt dies nicht.
Noch schlimmer als die Zölle seien andere ausländische Handelshemmnisse, schrieb Navarro. Er nannte unter anderem Währungsmanipulation, Verzerrungen durch die Mehrwertsteuer, Dumping, Exportsubventionen, staatliche Unternehmen, das Stehlen von geistigem Eigentum, diskriminierende Produktestandards, Importquoten, Vorgaben für lokale Datenaufbewahrung und die Gängelung der grössten US-Technologiefirmen im Ausland. Die protektionistischen Tendenzen der USA blieben natürlich unerwähnt. Ebenso wie die Tatsache, dass es auch in den USA Konsumsteuern gibt und die Mehrwertsteuer keine Importhürde ist.
Drei Seiten zur Schweiz
Der Anfang April publizierte Bericht des amerikanischen Handelsbeauftragten über Handelshemmnisse im Ausland liefert Anhaltspunkte für mögliche Verhandlungsansätze – sofern man glaubt, dass es der US-Regierung «nur» um die Beseitigung von Handelshemmnissen geht.
Das Kapitel zur Schweiz füllt rund 3 Seiten des fast 400-seitigen Berichts. Erwähnt sind dabei vor allem vier Handelsbarrieren: Zölle und Importquoten bei Agrarprodukten, das Moratorium für gentechnisch veränderte Organismen und die Sonderabgabe für Online-Streamingdienste zur Förderung des Schweizer Films («Lex Netflix»). Nicht erwähnt im US-Bericht zur Schweiz ist das Thema Währungsmanipulation. Das US-Finanzministerium hatte 2023 die Schweiz von der Liste der verdächtigen Länder gestrichen.
Ob die Schweiz von ihrem angeblich positiven Image auf dem Planeten Trump als Nicht-EU-Mitglied profitiert und relativ rasch zu Verhandlungen kommt, muss sich erst noch zeigen.
Die EU hat am Mittwoch gewisse gezielte Gegenzölle beschlossen, die schrittweise greifen sollen (Mitte April, Mitte Mai, Anfang Dezember) und damit noch Spielraum für Verhandlungen lassen. Mit Importzöllen schadet man typischerweise der eigenen Volkswirtschaft. Für die EU können vorübergehende Gegenzölle trotz den Risiken verhandlungstaktisch sinnvoll sein. Die viel kleinere Volkswirtschaft Schweiz würde sich mit Gegenzöllen deutlich stärker schaden und damit kaum Eindruck in Washington schinden. Deshalb dürften Gegenzölle weiterhin nicht auf der Bundesberner Agenda sein.
Heikle Kampfjet-Frage
Auch der Rückzug der Schweiz vom Vertrag mit den USA zum Kauf der Kampfflugzeuge F-35 wäre eine heikle Gegenmassnahme. Der Bundesrat hatte im März auf eine Anfrage aus dem Parlament erklärt, dass die Schweiz den Vertrag bis zur Lieferung der Flugzeuge jederzeit ohne Konventionalstrafe kündigen könnte.
Die Schweiz müsste aber laut Bundesrat alle aus der Kündigung entstehenden Kosten bezahlen; dieser Betrag lasse sich nicht schlüssig abschätzen. Und für die Schweiz wären die bis dahin schon bezahlten rund 700 Millionen US-Dollar verloren. Das müsste kein Killerargument gegen die Kündigung sein, sofern sich die Kosten-Nutzen-Analyse seit dem Entscheid für den F-35 drastisch verschlechtert hätte und der französische Rafale plötzlich als die bessere Alternative erscheint. Dies könnte dann der Fall sein, wenn man die USA nicht mehr als verlässlichen Vertragspartner betrachtet.
Der Bundesrat hat dies im März verneint: Die Gründe für die Beschaffung seien weiterhin gültig, der Bedarf habe sich noch verstärkt, und man gehe davon aus, dass die USA ihre rechtlichen Verpflichtungen erfüllten. Die Schweiz würde jedenfalls mit einer Kündigung des Vertrags ihre Position in Washington nicht unbedingt stärken.
Zu den denkbaren Angeboten der Schweiz an die USA zählen Lockerungen bei gewissen Agrarimporten sowie Investitionsversprechen nach dem Muster des Abkommens mit Indien. Doch der Bund sucht auch nach weiteren Angebotsmöglichkeiten. Der Verzicht auf die von den USA kritisierte «Lex Netflix» wäre inhaltlich kaum ein Problem oder sogar ein Plus. Aber es wäre demokratiepolitisch heikel, weil das Volk eine entsprechende Gesetzesänderung erst 2022 an der Urne angenommen hat. Kaum infrage kommen Zusicherungen zur Währungspolitik, da der Bundesrat die Unabhängigkeit der Nationalbank wohl nicht wegen eines US-Präsidenten beenden will.