Fast täglich werden in der Islamischen Republik Todesurteile vollstreckt. Die meisten Verurteilten werden wegen Drogendelikten gehängt. Menschenrechtler sehen aber ein klares politisches Motiv hinter den Exekutionen.
In Iran wird am 20. März das persische Neujahr gefeiert. Das Fest ist für die Iraner traditionell ein Anlass, sich mit der Familie zu treffen, in der Natur zu picknicken und den Frühling zu geniessen. Auch für die Häftlinge im Todestrakt bot Nouruz lange Zeit eine Atempause, da das iranische Regime gewöhnlich über das Neujahrsfest keine Todesurteile vollstreckte. Ob die Todeskandidaten auch dieses Jahr auf einen Aufschub hoffen können, ist aber ungewiss. Denn die Welle der Hinrichtungen hält seit Monaten ungebrochen an.
Schon die Parlamentswahlen am 1. März, die in früheren Jahren meist zu einem Stopp der Exekutionen führten, haben dieses Mal allenfalls kurzzeitig zu einem Rückgang geführt. Praktisch täglich meldet die Menschenrechtsorganisation Iran Human Rights (IHR) Hinrichtungen. Von Anfang Januar bis Mitte März zählte sie 95 Exekutionen. Erst am 14. März wurde in der Stadt Ghazvin der 42-jährige Behzad Bidrang nach zwei Jahren Haft hingerichtet.
Wie in den meisten Fällen wurde seine Hinrichtung nicht offiziell vermeldet. Laut der Menschenrechtsgruppe Hrana wird nur ein Drittel der Fälle von der Justiz, der Polizei oder den Medien des Regimes bekanntgemacht. Typisch war der Fall von Behzad Bidrang auch in der Hinsicht, dass er wegen Drogendelikten gehängt wurde. 2023 erfolgten laut IHR 56 Prozent der Hinrichtungen wegen Drogendelikten, weitere 34 Prozent der Opfer wurden wegen Mordes exekutiert.
39 Hinrichtungen wegen politischer Straftaten
Der Anteil der Hinrichtungen wegen politischer Straftaten wie der vage definierten Delikte «Feindschaft gegen Gott», «Korruption auf Erden» und «bewaffnete Rebellion» ist relativ gering. Laut Iran Human Rights hatten im vergangenen Jahr nur 5 Prozent der Exekutionen einen solch explizit politischen Hintergrund. Die absolute Zahl der Menschen, die wegen dieser drei Straftaten hingerichtet wurden, lag laut der Organisation mit 39 trotzdem erschreckend hoch.
Unter den Hingerichteten waren sechs Personen, die wegen Spionage für Israel exekutiert wurden, sowie sechs Teilnehmer der «Frau, Leben, Freiheit»-Proteste. Diese waren im September 2022 durch den Tod der Kurdin Mahsa Jina Amini in der Haft der Moralpolizei ausgelöst worden. Erst nach Monaten schaffte es das Regime, die Proteste unter Einsatz massiver Gewalt zu ersticken. Über 550 Demonstranten wurden laut Aktivisten während der Proteste getötet.
Eine Untersuchungsmission des Uno-Menschenrechtsrats kam Anfang März in einem Bericht zu dem Schluss, dass die massenhafte Tötung von Demonstranten sowie Folter und Vergewaltigung in Haft Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen könnten. Dass seit den Protesten nicht noch mehr Demonstranten hingerichtet wurden, führen Menschenrechtler auf den öffentlichen Druck aus dem Ausland sowie den Aufschrei in Iran zurück, den solche Exekutionen auslösen.
Allerdings sieht Iran Human Rights den Anstieg von Hinrichtungen wegen Drogendelikten als direkte Folge der Proteste. Damit könne das Regime ein Klima der Angst verbreiten, ohne dafür einen politischen Preis in Form von weiteren Protesten zu zahlen, bemerkt die Menschenrechtsorganisation. Sie wertet die Exekutionen als Mittel der Repression und hat schon in früheren Jahren dokumentiert, dass die Zahl der Hinrichtungen bei politischen Spannungen zunimmt.
Das Regime nutzt Hinrichtungen zur Einschüchterung
Iran liegt auf der wichtigen Drogenroute von Afghanistan nach Europa. Bis zum Verbot des Mohnanbaus, das die Taliban seit vergangenem Jahr rigoros durchsetzen, stammten 95 Prozent des Heroins in Europa aus Afghanistan. Auch Iran selbst kämpft seit Jahren mit einem massiven Opium- und Heroinproblem. Vertreter der Justiz haben aber eingestanden, dass die Hinrichtung von Drogenhändlern keine Lösung für die Opium-Epidemie bietet und kaum zur Abschreckung taugt.
Im Dezember 2017 verabschiedete das Parlament daher eine Gesetzesreform, welche die Verhängung von Todesurteilen bei Drogendelikten massiv einschränkte. In der Folge ging die Zahl der jährlichen Hinrichtungen wegen solcher Straftaten von zuvor mehreren hundert auf unter 30 zurück. Seit 2021 steigt die Zahl aber wieder massiv an. Ein Grund dafür könnte die Ernennung von Gholamhossein Mohseni-Ejei zum Justizchef und die Wahl von Ebrahim Raisi zum Präsidenten sein. Beide Männer sind als Hardliner bekannt.
Heute nähert sich die Zahl der Hinrichtungen wegen Drogendelikten dem Allzeithoch vor der Reform 2017. Laut Iran Human Rights erfolgten 471 der 834 Exekutionen im vergangenen Jahr wegen Drogendelikten. Die ethnische Minderheit der Belutschen zahlte dabei einen besonders hohen Preis: Obwohl nur maximal 6 Prozent der iranischen Bevölkerung Belutschen sind, kamen sie für 31 Prozent der Hingerichteten auf. Ein Grund dafür könnte sein, dass sie besonders oft im Drogenschmuggel aus Afghanistan aktiv sind. Womöglich liegt es aber auch daran, dass die Belutschen die Proteste besonders lange fortgesetzt haben.