Sie wolle wohl bald ein Baby und trete zurück, hiess es vor fünf Jahren, als Lara Gut-Behrami heiratete. Jetzt hat sie die Chance, den Gesamt-Weltcup zu gewinnen.
Wenn Lara Gut-Behrami lachte, schloss sie die ganze Welt mit ein. Es war ein Kinderlachen, offen, frisch und laut, es suggerierte Zugänglichkeit. Es fegte 2008 wie eine frische Brise durch die Wohnzimmer der Schweiz, als die Tessinerin, 16-jährig, nach einem Sturz im Zielraum, zum ersten Mal auf einem Podest stand. Und es trug dazu bei, ein Bild zu formen, gegen das die Skifahrerin in den folgenden 15 Jahren ankämpfen sollte.
Als Gut-Behrami Ende der 2000er Jahre ihre ersten Erfolge verzeichnete, gab es noch die Kategorie des Ski-Schätzchens, der Frauen also, die im besten Fall Medaillen holten, die sie strahlend mit der Nation teilten. Ski-Schätzchen waren in einer männlich geprägten Gesellschaft eine Art perfekte Hausfrauen auf der Piste, ein bisschen bieder, aber immer nett und fröhlich. Und passte Lara Gut, wie sie damals noch hiess, nicht bestens ins Schema?
Patzig, kurz angebunden, unfreundlich
Sie passte überhaupt nicht. Das ist weiblichen Skistars vor ihr wohl kaum anders ergangen, aber die Tessinerin begehrte auf. Die Vereinnahmung als hübsches Blondchen irritierte sie. In einem Dokumentarfilm, der ihren Aufstieg begleitet, blättert sie in der «Schweizer Illustrierten», die eine Titelgeschichte über sie bringt. «Blond, blaue Augen, zu stark geschminkt», sie sehe aus wie Barbie. «Ich fühle mich einfach nicht so», sagte sie.
In einer anderen Szene sitzt die 17-Jährige auf einer Treppe, hinter ihr ein Geländer, es ist eng. Was für Ziele sie sich in diesem Jahr setze, fragt der Interviewer. «I weiss, was i will», sagt Gut-Behrami und lässt die Fransen über die Augen fallen, «i rede nöd drüber.» Eine Stimme aus dem Off kommentiert: «Eigenwillig, fast schon störrisch, schützt sie sich vor der Neugierde der Öffentlichkeit.»
Gut-Behrami blieb fast schon störrisch. Sie legte sich mit dem Skiverband an, um durchzusetzen, dass er das Privatteam mit ihrem Vater als Trainer unterstützte. Die Familie ging mit einer Entschlossenheit vor, die man egoistisch finden konnte. Und sie unterlief die Erwartungen von Journalisten, Sponsoren, der Öffentlichkeit. Nicht immer elegant: Zuweilen war sie patzig, kurz angebunden, unfreundlich.
Der Boulevard schlug zurück: 2011 kürte sie der «Blick» in einer «Zicken-WM» zur Siegerin. «Die Schweizerin ist zwar süss und sexy, leider hat sie aber null Bock auf Journalisten», schrieb er. Gut-Behrami musste Grenzüberschreitungen erdulden, wie sie nur Frauen kennen. Als Rennfahrerin sei Lara schon Weltklasse, liess sich der Italiener Christof Innerhofer 2011 wiederum im «Blick» verlauten, «aber wenn sie eine gute Liebhaberin werden will, muss sie noch viel lernen».
Dass sie die Umarmung der Nation abwehrte, schlug sich bei der Wahl zur Sportlerin des Jahres nieder, dem alljährlichen Volkstribunal vor Weihnachten. Sie holte die Auszeichnung 2016, als sie den Gesamt-Weltcup gewann. Aber als sie 2021 Weltmeisterin in Super G und Riesenslalom wurde, ging die Ehrung an die Tennisspielerin Belinda Bencic.
Lara Gut-Behrami musste unter den Augen der Öffentlichkeit erwachsen werden, vor einem Publikum, das unablässig Siege erwartete. Ein Anspruch, den die Sportlerin nicht verstand, wohl weil sie weiss, was es dafür braucht. Es gab andere Sportler, die in einem ständigen Spannungsverhältnis mit dem Publikum standen. Alex Frei rieb sich als Captain des Fussball-Nationalteams Zeit seiner Karriere auf, auch er reklamierte mehr Verständnis.
Doch junge Frauen sind noch vielmehr in Stereotypen gefangen. Lara Gut-Behrami konnte entweder die strahlende verfügbare Schöne sein oder eine Zicke. Die eigenwillige erwachsene Frau ist nicht vorgesehen – ganz besonders nicht im Sport, der immer noch eine Männergesellschaft ist. Darum war der Umzug nach Genua 2020 mit ihrem Mann Valon Behrami eine solche Befreiung: Niemand sah in ihr dort den Sonnenschein von früher, sondern die Frau, die sie war.
Vielleicht war es auch ein Schutzreflex, dass sie ihre Person spaltete; in ihrer eigenen Wahrnehmung gab es immer die Lara als Menschen und als Sportlerin. Die zwei Rollen hatten sich bereits in der Kindheit etabliert. Für den Trainer-Vater wie auch für die Mutter existierten schon früh zwei Laras: die Tochter und das Supertalent.
Sie musste sich schwer verletzen, um sich des Mechanismus bewusst zu werden. Nach dem Kreuzbandriss 2017, als sie nach Jahren im Hamsterrad zur Pause gezwungen war, sagte sie im zweiten Dokumentarfilm, der über sie gedreht wurde: «Ich frage mich: Was habe ich in den letzten Jahren als Mensch gemacht? Ich habe stets die Sportlerin vor den Menschen gestellt.»
Das Thema zieht sich durch die wenigen grossen Interviews der letzten Jahre, in denen sie tiefe Einblicke gewährte und wiederholt von Phasen sprach, die sich wie ein dunkles Loch anfühlten. 2018 sagte sie in der NZZ: «Am meisten litt ich jeweils nicht als Athletin, sondern als Mensch. Ich tat alles für mich als Sportlerin, in dieser Rolle war ich kompromisslos. Aber wenn mir als Mensch etwas passierte, kämpfte ich nicht dagegen an. Ich liess es geschehen und wollte nur den Sport sehen.» Könnte sie noch einmal an den Anfang zurückgehen, sagte sie, würde sie versuchen, sich nicht nur als Sportlerin durchzusetzen, sondern auch als Mensch.
Der Verzicht auf Social Media kostet sie viel Geld
Den Kampf um den Menschen, der hinter dem Sportler zurückstehen muss, kennen viele Athleten, die sich in einem hochkompetitiven Umfeld bewegen. Was Lara Gut-Behrami speziell macht, ist, dass sie als schöne, junge Frau eine derart gute Projektionsfläche abgab. Als sie 2018 den Fussballer Valon Behrami heiratete und eine sportlich schwache Saison folgte, hiess es, sie werde sicher bald schwanger und beende ihre Karriere. Die Rollenbilder sind immer noch leicht zur Hand.
Lara Gut-Behrami hat auf ihre Art reagiert. Sie hat sich radikal zurückgezogen. Nicht nur gibt sie keine Interviews mehr, sie hat alle Aktivitäten auf den sozialen Netzwerken eingestellt. Mit dem Entscheid hat sie sich Privatheit erkauft, verzichtet aber auch auf viel Geld.
Zum zweiten Mal nach 2016: Ski-Ass Lara Gut-Behrami wird Schweizer Sportlerin des Jahres. #srfsport #Ski #SportsAwards https://t.co/V9WuToIWlK
— SRF Sport (@srfsport) December 10, 2023
Sie räumt dem Menschen mehr Raum und Zeit ein, was der Sportlerin zugutekommt. Acht Jahre nach ihrem grössten Triumph hat sie wegen des verletzungsbedingten Ausfalls von Mikaela Shiffrin wieder die Chance, die beste Skifahrerin der Welt zu werden. Und im letzten Dezember wurde Lara Gut-Behrami zum zweiten Mal Sportlerin des Jahres – ohne einen grossen Titel gewonnen zu haben. Mit 32 Jahren ist sie offensichtlich beim Publikum angekommen. Aber vor allem bei sich selbst.
Ein Artikel aus der «NZZ am Sonntag»