Die Tories haben die 44-jährige Badenoch zur neuen Vorsitzenden gewählt. Die erste schwarze Politikerin an der Spitze einer britischen Partei gilt als Frau der klaren Worte.
In Grossbritannien heisst es, Oppositionschef sei der undankbarste Job im Land. Wenn die Regierungspartei – wie Labour seit den Wahlen vom 4. Juli – über eine grosse Mehrheit im Unterhaus verfügt, hat die Opposition kaum Möglichkeiten, die Agenda mitzubestimmen. Bei einer brieflichen Urabstimmung zur Wahl einer Nachfolge von Rishi Sunak als Parteichef haben die rund 130 000 Mitglieder der Konservativen nun eine mutige, wenn auch etwas riskante Wahl getroffen.
Mit rund 56 Prozent der Stimmen setzte sich die 44-jährige ehemalige Handelsministerin Kemi Badenoch gegen ihren Kontrahenten Robert Jenrick durch, der in der Ausmarchung voll auf das Thema Migration gesetzt hatte.
In Nigeria aufgewachsen
Badenoch gilt als energisch und charismatisch, aber auch als scharfzüngige Rednerin und versierte Kulturkämpferin. Das trägt ihr bei ihren Anhängern Bewunderung ein, löst aber auch heftige Abwehrreflexe aus. Kemi, wie sie von den Boulevardmedien mit Vornamen genannt wird, lässt niemanden kalt. Sie hat ähnlich wie Boris Johnson das Talent, wie ein Magnet mediale Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Dies wird den Konservativen helfen, sich als Oppositionspartei Gehör zu verschaffen.
Die Wahl Badenochs ist in mehrerlei Hinsicht bemerkenswert. Sie ist die erste schwarze Person an der Spitze einer britischen Partei, aber auch die erste Migrantin. Die Tochter nigerianischer Eltern wurde zwar in London geboren, verbrachte aber den Grossteil ihrer Kindheit und Jugend in Lagos. Die Probleme des Landes wie die Kriminalität prägten Badenoch und machten sie laut eigenen Angaben zur britischen Patriotin und kompromisslosen Verfechterin von westlichen Werten.
Der Grossteil der politischen Elite Grossbritanniens studierte in Oxford Politik, Philosophie und Wirtschaft. Badenoch hingegen ist Ingenieurin. Sie erklärte im Wahlkampf um das Parteipräsidium, sie wolle den britischen Staat «neu verkabeln», da er strukturell darauf ausgerichtet sei, die Durchsetzung konservativer Politik zu verhindern. Sie hat fast keine konkreten politischen Inhalte präsentiert, doch will sie die Partei philosophisch wieder an konservativen Grundprinzipien orientieren.
Fokus auf Identitätspolitik
Vor ihrer Wahl ins Unterhaus im Wahlkreis North Essex im Jahr 2017 wirkte Badenoch als Journalistin, wobei sie als Studentin auch in einer McDonalds-Filiale gearbeitet hatte. Im Parlament machte sie sich rasch einen Namen, weil sie in identitätspolitischen Debatten oft die Konfrontation suchte und nie vor pointierten Stellungnahmen zurückschreckte. «Es ist Zeit, die Wahrheit zu sagen und für unsere Prinzipien einzustehen», sagte sie bei einer kurzen Ansprache nach Bekanntgabe des Resultats in London.
Badenoch gilt als Vertreterin des rechten Parteiflügels, doch ist sie keine blinde Ideologin. Im Gegensatz zu ihrem Rivalen Jenrick war sie von Beginn an eine Befürworterin des Brexits. Als Ministerin legte sie sich aber mit den Brexit-Hardlinern an und entschied, dass die auf EU-Recht basierenden britischen Gesetze zum Umwelt- oder Konsumentenschutz nicht in Bausch und Bogen ausser Kraft gesetzt werden sollten.
Jenrick hatte im Wahlkampf argumentiert, dass sich abgewiesene Asylsuchende nur aus dem Land schaffen liessen, wenn Grossbritannien aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) austrete. Badenoch schloss einen Austritt nicht aus, warnte aber vor Schnellschüssen. Vor dem Brexit habe niemand die Konsequenzen für Nordirland bedacht, sagte sie. Dies dürfe sich nicht wiederholen bei einem unüberlegten Austritt aus der EMRK, die eines der Fundamente des Karfreitagsabkommens von 1998 zur Beendigung des nordirischen Bürgerkriegs darstellt.
Authentisch und konfrontativ
Über ihr Privatleben gibt die Mutter von drei Kindern wenig preis. Als Politikerin aber sagt sie, was sie denkt, und denkt, was sie sagt. Das wirkt auf viele Wählerinnen und Wähler erfrischend und authentisch, zumal viele britische Politiker in den Medien überaus kontrolliert auftreten und abgeschliffene Sätze wiederkäuen.
Mit ihrer gradlinigen und konfrontativen Art dürfte sie sich für den Premierminister Keir Starmer als unbequeme Gegnerin entpuppen. Allerdings ist Badenoch auch vielen Kollegen in der eigenen Fraktion auf die Füsse gestanden. Ob sie in der Lage ist, den zentristischen Flügel einzubinden und aus den dezimierten Tories wieder ein schlagkräftiges Team zu bilden, muss sich weisen. Abzuwarten bleibt auch, ob sie über die konservative Basis hinaus auch jene Wählerinnen und Wähler ansprechen kann, die von den Konservativen zu Labour, den Liberaldemokraten oder zur rechtsnationalen Reform-Partei übergelaufen sind.
Die Fähigkeit, frisch von der Leber weg zu politisieren, ist Badenochs grösste Stärke. Gleichzeitig ist sie schon oft mit unüberlegten und umstrittenen Äusserungen aufgefallen, die sie später korrigieren musste. Fraser Nelson, der ehemalige Chefredaktor des konservativen Magazins «Spectator» und einstiger Arbeitskollege von Badenoch, meinte, die neue Vorsitzende der Konservativen habe das Potenzial, die Tory-Partei aus ihrer Misere zu katapultieren – oder aber sich selber politisch in die Luft zu sprengen.