Mit tausend Polizisten wollte Kenya das von Bandenkriminalität verwüstete Haiti befrieden. Doch das Unterfangen kommt nicht vom Fleck. Nun sollen Geistliche Überzeugungsarbeit leisten.
Im Herbst 2023 gab Kenyas Regierung bekannt, sie wolle tausend Polizisten nach Haiti schicken, um den von kriminellen Banden terrorisierten Karibikstaat zu befrieden. Doch seither ist es wie verhext: Ein Gericht erklärte die Mission, die Anfang 2024 hätte starten sollen, für verfassungswidrig. Der amerikanische Kongress blockierte für die Mission vorgesehene Gelder in Millionenhöhe. Anfang Juni verstrich der neuste, von Kenyas Präsident William Ruto genannte Termin für die Entsendung der Truppen.
Während immer neue Hindernisse auftauchen, bedient Kenyas Regierung ein unkonventionelles Instrument, um die Mission voranzubringen: Gebete. Sie spannte eine Gruppe evangelikaler Pastoren zur spirituellen Unterstützung des Polizeieinsatzes ein. Die Pastoren führten Gebetsanlässe in Kenya durch; sie reisten in die USA, wo sie haitianische und amerikanische Evangelikale sowie Regierungsbeamte trafen; sie verfassten Empfehlungen für Präsident Ruto; und sie hielten offenbar einen Zoom-Call mit Jimmy «Barbecue» Chérizier ab, einem berüchtigten Gang-Leader.
Kenyas Präsident sichert sich die Gunst der USA
Die diplomatische Offensive der Geistlichen sorgt für Verwunderung im Zusammenhang mit einer ohnehin stark umstrittenen Mission.
Der Einsatz in Haiti wurde von den USA vorangetrieben, die selber aber keine Truppen schicken wollen. Kenya sprang in die Bresche und soll von mehreren Karibikstaaten unterstützt werden. Kenyas Präsident Ruto, der seit Herbst 2022 regiert, ist bemüht, sein Land international als afrikanischen Vorzeigestaat zu positionieren, vor allem gegenüber dem Westen. Ruto gibt sich zum Beispiel als Vorreiter in Klimafragen.
Kenyas geplanter Einsatz in Haiti dürfte ein wesentlicher Grund dafür sein, dass Ruto im Mai vom amerikanischen Präsidenten Joe Biden zum Staatsbesuch empfangen wurde. Er ist der erste afrikanische Präsident seit sechzehn Jahren, dem diese Ehre zuteilwurde.
Die Intervention in Haiti soll ein Land stabilisieren, in dem laut der Uno rund 400 000 Menschen intern vertrieben sind, hauptsächlich durch die Gewalt von Banden, die oft mit aus den USA geschmuggelten automatischen Waffen ausgerüstet sind.
Frühere Interventionen sind gescheitert. Eine 2017 beendete Uno-Mission bleibt damit in Erinnerung, dass nepalesische Blauhelme Cholera ins Land brachten und eine Epidemie auslösten, die mehr als 10 000 Personen tötete.
Die Präsidentengattin und die Gebetsdiplomatie
Dass die tausend kenyanischen Polizisten erfolgreich sein werden, bezweifeln viele – selbst in Kenya. Hier ist die Polizei unbeliebt, gilt als korrupt und unprofessionell. Auch das Image von Präsident Rutos Regierung ist in Kenya schlechter als im Ausland. Neue Steuern, die die ohnehin hohen Lebenskosten weiter in die Höhe trieben, haben Ruto den Spitznamen «Zachäus» eingebracht – nach einem Zöllner aus der Bibel, der die Bevölkerung auspresste.
Die Initiative der evangelikalen Pastoren halten deshalb viele für eine PR-Offensive der Regierung, um die Öffentlichkeit für die Haiti-Mission zu gewinnen. Die kenyanische Bevölkerung ist mehrheitlich christlich, evangelikale Kirchen haben wie andernorts in Afrika an Einfluss gewonnen.
Die spirituelle Offensive dürfte aber mehr sein als Kalkül. Präsident Ruto und seine Frau Rachel tragen ihren Glauben offensiv zur Schau. Rachel Ruto ist zu so etwas wie einer spirituellen Anführerin der Regierung geworden, sie führt Gebete im Präsidentenpalast durch und machte Pastoren zu Regierungsberatern. Auf ihrer offiziellen Website lässt sich die First Lady als «Verfechterin von Gebetsdiplomatie» beschreiben. Die Präsidentengattin dürfte denn auch die treibende Kraft hinter der religiösen Haiti-Initiative sein.
Evangelikale interessieren sich für Haiti, weil das Land mehrfach von Katastrophen biblischen Ausmasses verwüstet wurde. 2010 zum Beispiel von einem Erdbeben, in dessen Folge mehr als 100 000 Menschen starben. Evangelikale stossen sich ausserdem daran, dass Haitianerinnen und Haitianer ihren christlichen Glauben mit Voodoo kombinieren, einer von Sklaven begründeten Religion, die ihre Wurzeln in afrikanischen Glaubenstraditionen hat. In einem Artikel in «Foreign Policy» äusserte Pierre Espérance, der Leiter der haitianischen Menschenrechtsbehörde, die Sorge, dass Kenyas Einsatz in Haiti auch davon getrieben sein könnte, dass evangelikale Botschaften verbreitet und Voodoo bekämpft werden solle.