Eine neue Avantgarde von Künstlern nutzt Bildgeneratoren, um die Reklame im virtuellen Raum zu überkleistern und konsumkritische Botschaften zu setzen.
Das Internet hat ein neues Spielzeug: den Bildgenerator GPT-4o. Mit der Bildfunktion können Nutzer mithilfe von Chat-GPT auch Bilder erstellen. Man gibt einfach einen Prompt, also eine textliche Anweisung, ein, dann zaubert das Tool wie von Geisterhand ein Bild hervor.
Ein fotorealistisches Bild zweier Hexen in ihren Zwanzigern? Ein Paparazzi-Foto von Karl Marx, der mit Einkaufstüten vor einem Fotografen flieht? Oder die Zeichnung eines patentierten Dreirads auf dreieckigen Rädern? Kein Problem, die KI visualisiert selbst die abstrusesten und dadaistischsten Ideen.
Nachdem das Tool im März dieses Jahres freigeschaltet worden war, gingen massenhaft Memes und kultige Fotografien im Stil des japanischen Zeichentrickstudios Ghibli viral. Der Filter entfachte einen derartigen Hype, dass Open AI ein technisches Limit einführen musste. «Unsere Grafikkarten schmelzen», sagte der Open-AI-Chef Sam Altman. Allein in den ersten Wochen wurden 700 Millionen Fotos mit Chat-GPT erstellt. Zum Vergleich: Die Fotoarchive des amerikanischen Bürgerkriegs umfassen eine Sammlung von rund einer Million Fotografien.
Seitdem jeder mit frei zugänglichen KI-Werkzeugen wie Midjourney, Dall-E oder Chat-GPT Bilder erstellen kann, wird das Internet mit einer beispiellosen Flut von Bildern überschwemmt: Der Papst in Daunenjacke, Jesus in Garnelenform («Shrimp Jesus»), Snoop Dogg als kiffender Kardinal, Donald Trump als Papst in weisser Soutane – manche dieser Bilder sind so oft geteilt und gesehen worden, dass sie inzwischen Kultstatus haben.
Die Kacheln sozialer Netzwerke sind vollgetaggt mit KI-generierten Fotos. Auf Instagram schiessen Fake-Profile ins Kraut, auf Linkedin verwandeln Künstler ihre Profilbilder in Actionfiguren, und durch die Timeline von Tiktok tanzen künstliche Kreaturen mit italienisch klingenden Namen wie Tralalero Tralala oder Ballerina Cappuccina. Ein Trend jagt den andern, und jedes Mal flippt das Internet aus.
Vampirische KI-Kunst
Die kulturpessimistischen Beobachter sehen in der KI-Technologie den fünften Reiter der Apokalypse: Computergenerierte Werke, so das Lamento, profanierten ästhetische Ideale, zerstörten die Kreativität und ruinierten die Kunst samt Urheberrecht. Das, was da zusammengepromptet werde, sei bloss ein Abklatsch alter Ideen. «KI-Kunst», heisst es in einem offenen Brief des Center for Artistic Inquiry and Reporting, sei «vampirisch» und ernähre sich von Kunstwerken vergangener Generationen, «während sie lebenden Künstlern das Blut aussaugt».
Das Magazin «The Gamer» stilisierte KI-Kunst gar zum «Aushängeschild des Faschismus», «da sie der Kunst jede Bedeutung entzieht und sie für Zwecke nutzt, für die sie nie gedacht war, ohne dass eine einzige menschliche Hand sie zum Leben erweckt».
Der Kunstbegriff war schon immer Gegenstand hitziger Diskussionen. Ob ein Urinal oder eine an die Wand geklebte Banane Kunst sind, darüber lässt sich trefflich streiten. Wenn Googles Bild-KI einen Schwarzen in eine Wehrmachtsuniform steckt und den Diversity-Gedanken ad absurdum führt, kann man das getrost für eine Geschmacklosigkeit des Prompters halten. Aber ist KI-Kunst deshalb gleich faschistisch?
Schon als im 19. Jahrhundert die Fotografie erfunden wurde, gab es ästhetische Vorbehalte gegenüber der Technik: Die Kamera wurde als Antithese des Künstlers verfemt. «Die Fotografie ist der Todfeind der Malerei, sie ist die Zuflucht aller gescheiterten Maler, der Unbegabten und der Faulen», ätzte der Schriftsteller Charles Baudelaire. Insofern folgen die analogen Reflexe, die heute gegenüber der KI geäussert werden, einem historischen Muster.
Es gibt aber auch andere Stimmen, die die computergenerierten Bilderwelten als neue Kunstform begreifen: Der Berliner Künstler Boris Eldagsen, der 2023 mit einem KI-generierten Bild einen renommierten Fotopreis gewann und ablehnte, spricht analog zur Fotografie von «Promptografie», einer Technik, die statt mit Licht mit Tastatureingaben arbeitet.
Eine neue Avantgarde von Creators, wie etwa die schwedische Künstlerin Annika Nordenskiöld, nennt sich auf ihren Instagram-Profilen «Promptografen». Dort präsentiert Nordenskiöld neben Aquarellen und Fotografien auch KI-generierte Bilder, die von ihren Reisen inspiriert sind. Von ihrer Indien-Reise etwa brachte die Künstlerin ein sehr farbenfrohes KI-Bild mit, das Menschen beim hinduistischen Holi-Fest zeigt.
KI ist auch ein Mittel, Reiseeindrücke zu verarbeiten. Die Kritik, der Betrachter werde getäuscht und die Wahrheit ausgelöscht, geht insofern fehl, als auch in der Fotografie die Wirklichkeit nur ausschnittweise dargestellt wird und der Vorwurf dann berechtigterweise auch für die realistische Malerei erhoben werden müsste. Aber wurde jemals bei einem Courbet-Gemälde irgendjemand getäuscht?
Klowände des Internets
KI setzt die Fiktionalisierung von Kunst lediglich fort. Unter Hashtags wie «#promptart» oder «#synthography» findet man auf Instagram einen bunten Blumenstrauss an KI-generierten Werken – von düsteren Dark-Fantasy-Bildern bis zu retrofuturistischen Stadtentwürfen. Die Prompter scheren sich nicht gross um Schönheitsideale. KI-Kunst ist laut, vulgär, verstörend – und rebellisch.
Auf dem X-Account «Weird AI Art» stösst man etwa auf ein Foto, auf dem ein McDonald’s-Mitarbeiter freudig Chicken-Wings in einen Hühnerstall liefert. Andernorts sieht man KI-generierte Videos, in denen Trump mit Selenski im Petersdom Karten spielt (eine Anspielung auf die Brüskierung im Weissen Haus) oder Putin als Lumpensammler neben dem abgerissenen Trump zu chinesischer Musik einen Hamburger verspeist.
Das, was an die Klowände des Internets gesprüht wird, erinnert in seiner anarchischen Ästhetik an Graffiti. Street-Art, die aus der Subkultur in den USA in den sechziger Jahren entstanden ist, verfolgte das Ziel, den öffentlichen Raum zurückzuerobern. Hausmauern waren die Kommentarspalten der Armen, die Blogs avant la lettre. Was das Establishment als Vandalismus und Schmiererei zurückwies, war für die Schöpfer eine Kunstform, ihrem Protest Ausdruck zu verleihen.
Nun mag man einwenden, dass das Internet kein urbaner, öffentlicher Raum ist, sondern mehr eine Gated Community und dass Open AI, Google und Co. die KI-Werkzeuge nur bereitstellen, um billigen Content für ihre Plattformen produzieren zu lassen. Doch in gewisser Weise geht es in der digitalen Gegenkultur auch um den subversiven Gedanken, die Reklame im virtuellen Raum zu überkleistern und eigene, konsumkritische Botschaften zu setzen.
Die surreale Figur des Nike-Sneaker tragenden Haifischs Tralalero Tralala, der zum Symbol des Tiktok-Trends «Italian Brainrot» wurde, ironisiert nicht nur die geistige Verblödung durch Social-Media-Konsum («Brainrot»), sondern spielt auch sehr subtil mit den Verblendungsmechanismen der Werbeindustrie – und führt das Meme-Marketing ad absurdum. Es ist ja völlig egal, welche Marke ein Hai trägt, weil ein Fisch keine Schuhe braucht.
Italian Brainrot, das der Hochglanzästhetik der Werbung einen billigen Trash-Look mit Nonsens-Inhalten entgegensetzt, kommt in der Ablehnung des gesellschaftlichen Sinnangebots fast schon punkig daher. Nach dem Motto: «Ihr nennt es Hirnfäule. Wir nennen es Kultur!»