Der Fussball hat vier Schweizer Spieler an aussergewöhnliche Orte gebracht. Das sind ihre Geschichten.
Loris Mettler: Gross träumen in Norwegen
«Everything happens for a reason», sagt Loris Mettler, der Fussballer aus Genf, den es weit in den Norden verschlagen hat, nach Norwegen, in die Eliteserien, als einzigen Schweizer Fussballer überhaupt. Alles passiert aus einem Grund. Mettler mag solche Sätze, so banal sie auch klingen mögen, sie leiten ihn durchs Leben, auch der hier: «No regrets», keine Reue.
Das sagt sich Mettler im Sommer 2022. Soeben ist eine weitere Saison mit Etoile Carouge zu Ende gegangen, die dritte schon. Der Mittelfeldspieler ist 23 Jahre alt, er könnte in Genf bleiben, beim Promotion-League-Klub, der ihm ans Herz gewachsen ist. Aber Mettler, der bei Servette gross geworden ist, will mehr. Etwas riskieren. Aus der Komfortzone ausbrechen. Schauen, was die Welt für ihn bereithält, damit er später nicht bereut.
Mettler lässt den Vertrag auslaufen, kommt in Spanien unter, weil er den Klubbesitzer dort kennt, Lleida CF, eine katalanische Kleinstadt, vierthöchste Liga. Der Westschweizer ist nun Profi, zum ersten Mal. 2000 Euro fliessen monatlich auf sein Konto. Das reicht, so erzählt er das, um «wie ein König» zu leben, in einer schönen Wohnung. Sogar einen Swimmingpool gibt es.
Doch bald spielt Mettler nicht mehr, der neue Trainer mag ihn nicht, dazu kommen private Probleme. Am 31. Januar, dem letzten Tag des Transferfensters, wird sein Vertrag aufgelöst. Mettler steht vor dem Nichts. «Ich hatte damals keine Depression, aber weit entfernt war ich nicht mehr», sagt er.
Jetzt, etwas mehr als zwei Jahre später, sagt der Fussballer, dass es schon verrückt sei. «Ich habe alles verloren und dann alles gewonnen, in einem einzigen Jahr», sagt Mettler.
Von Lleida, Katalonien, geht er im Februar 2023 nach Raufoss, Norwegen. 3000 Menschen leben dort, es gibt nicht viel, aber einen Fussballklub, der in der zweithöchsten Liga spielt und einen Mittelfeldspieler sucht. Mettler kennt den Assistenztrainer aus seiner Zeit in Genf. Fussball, das Spiel der Kontakte, eine grosse kleine Welt.
In Raufoss hat Mettler einen Freund. Und sonst nur den Fussball. Er erzielt sieben Tore, bereitet sieben weitere vor. Lernt im Internet eine Frau kennen, auf Tinder, eine Argentinierin, die in Trondheim arbeitet. Die beiden verlieben sich. Mettler bekommt im Winter 2024 einen Vertrag bei Sandefjord, erste Liga. Er ist gleich der beste Skorer im Team, und sein Trainer heisst Hans Erik Ödegaard. Das ist der Vater von Martin, dem Mittelfeldspieler von Arsenal. Mit der Argentinierin ist Mettler mittlerweile verheiratet. «Alles passiert aus einem Grund», sagt er.
Soeben hat in Norwegen die neue Saison begonnen. Er ist immer noch in Sandefjord, der Stadt südlich von Oslo, in die im Sommer wegen der Strände viele Touristen kommen. Aber der 26-Jährige will weiterziehen, bald, er träumt sogar von der WM im nächsten Jahr. Man müsse, sagt er, gross denken.
Nassim Ben Khalifa: In Japan endlich angekommen
In der Fankurve von Avispa Fukuoka, einem Klub aus der ersten japanischen Liga, blitzt zuweilen eine Schweizer Fahne auf. Sie hängt wegen Nassim Ben Khalifa dort, dem Fussballer aus dem Waadtland.
Ben Khalifa gehörte zur U-17-Nationalmannschaft, die 2009 in Nigeria Weltmeister wurde, wobei, er gehörte nicht einfach dazu, er ragte hinaus in jenen wilden Tagen in Afrika. Vier Tore und drei Assists gelangen ihm vorne im Sturm, an der Seite von Haris Seferovic.
Ben Khalifa und die anderen U-17-Weltmeister stehen für eine Zeit, in der Delegationen aus dem Ausland anreisten, um die Schweizer Nachwuchsarbeit aus der Nähe zu betrachten; Protagonisten von damals prägten die A-Auswahl später viele Jahre, Seferovic, vor allem Ricardo Rodriguez und Granit Xhaka, keiner mehr als er.
Xhaka und Rodriguez absolvierten mehr Länderspiele als jeder andere Schweizer Fussballer, sie schafften es zu Spitzenklubs in England, Deutschland und Italien. Ben Khalifa trug viermal das Trikot der Nationalmannschaft, letztmals im November 2012. Er spielte in sechs Ländern für elf Klubs, und für keinen mehr als für die Grasshoppers.
Auf den ersten Blick ist seine Karriere eine Enttäuschung, weil sie mit einem grossen Versprechen begann. Und weil andere dieses Versprechen auch einlösten, Ben Khalifa aber nicht. Doch der Romand denkt nicht so. Er sagt, es gehe doch nur darum, wie er das beurteile. Und er sei stolz darauf, was er erlebt und gesehen habe. All die Orte, Momente, Menschen auch.
Der 33-Jährige klingt wie einer, der die Welt anders ausmisst als die Branchenkollegen. Vielleicht tut er nur so, aber Ben Khalifa redet derart überzeugend, dass es glaubhaft klingt. Wenn er über Japan spricht, das Land, in dem er seit 2022 lebt, klingt er zufrieden. Angekommen, nach all den Jahren auf der Suche.
«Alles top», sagt Ben Khalifa, Japan sei seine beste Station, «mit Abstand». Er schwärmt über die Stadt, die direkt am Meer liegt. Über das Wetter, das immer gut sei. Die japanische Kultur, im Sport und überhaupt. Vor allem auch: den Respekt, den man sich hier gegenseitig entgegenbringe. Es sei krass, sagt er noch, in Japan habe ihn noch nie jemand belogen.
Und wenn er so redet und aufzählt, klingt zwischen den Zeilen an, dass er jetzt in Japan antrifft, was dem sensiblen, stolzen Fussballer anderswo gefehlt hat. Auch in der Schweiz, wo ihn der FC St. Gallen 2019 nicht mehr mittrainieren lassen wollte. Ben Khalifa wehrte sich vor Gericht. Und gewann.
Bei Avispa Fukuoka spielt er seine zweite Saison; zuvor stand er zwei Jahre in Hiroshima unter Vertrag, bei Sanfrecce. Michael Skibbe, der einstige GC-Trainer, mit dem Ben Khalifa ein enges Verhältnis pflegt, hatte ihn dorthin geholt.
Quentin Maceiras: Kicken unter Orbans Augen
Felcsut ist ein ungarisches Kaff, man muss das so sagen; knapp 2000 Menschen leben dort, es gibt rundherum viele Bäume und viele Wiesen, bis nach Budapest sind es gut 40 Kilometer. Aber wenn Quentin Maceiras dort Fussball spielt, tut der Walliser das in einem Stadion, das oft als Kathedrale bezeichnet wird, weil es so schmuck ist. Und in diesem Stadion sitzt dann häufig auch Viktor Orban, Ungarns Ministerpräsident.
Die Kathedrale heisst Pancho Arena. Sie ist nach Ferenc Puskas benannt, wie der Klub, der in Felcsut daheim ist, der Puskas Akademia FC. Beides, das Stadion und den Klub in der ersten ungarischen Liga, gibt es nur wegen Orban. In Felcsut hat er einen Teil seiner Jugend verbracht, und einst hat er dort selbst Fussball gespielt, als der Klub noch in der vierthöchsten Liga war.
Heute gehört Puskas Akademia FC zu den ungarischen Spitzenvereinen. Fünf Spiele vor dem Saisonende liegt er nur drei Punkte hinter Ferencvaros, dem Traditionsverein aus Budapest. Die Heimspiele besuchen im Durchschnitt gerade einmal 1500 Zuschauer, aber einer von ihnen ist eben der Ministerpräsident Orban. Und der hat beschlossen, den Klub gross zu machen. So, wie er beschlossen hat, den ungarischen Fussball gross zu machen. Weil er vernarrt ist in das Spiel und weil er in ihm ein Mittel sieht, um Politik zu machen, etwa: nationale Stärke zu demonstrieren.
Im ganzen Land hat die Regierung dafür gesorgt, dass Geld in den Fussball fliesst. In Felcsut haben sie besonders davon profitiert, es gibt dort auch eine Jugendakademie mit zahlreichen Trainingsplätzen und einem Hotel. Als Vereinspräsident hat Orban Lörinc Meszaros installiert, einen Jugendfreund aus Felcsut, der es vom lokalen Kleinunternehmer zu einem der reichsten Männer Ungarns gebracht hat. Regierungsaufträge haben dabei geholfen – Felcsut ist ein Paradebeispiel für die Vetternwirtschaft, die der Autokrat Orban in Ungarn betreibt.
Ursprünglich sollten sich im Puskás Akademia FC junge ungarische Talente entwickeln, doch mittlerweile stehen 15 Ausländer im Kader. Quentin Maceiras ist einer von ihnen. Er sei, erzählt der 29-Jährige, als Führungsspieler verpflichtet worden. Der Walliser war schon im FC Sion und bei den Young Boys ein zuverlässiger rechter Verteidiger. In Bern wird er zweimal Meister, doch dann rutscht er in der Hierarchie ab. 2023 sieht er sich nach einem neuen Verein um.
Jetzt lebt er mit seiner Familie in Budapest. Zwei Hunde, zwei Katzen, bald zwei Kinder – «full house», sagt der Familienmensch Maceiras. Dass er um die ungarische Meisterschaft mitspielt, hat er nicht erwartet, aber jetzt träume er schon davon. In zehn Tagen kommt es zum Direktduell mit Ferencvaros.
Über Viktor Orban mag Maceiras nicht gross reden, er sagt nur, dass jeder seine eigenen Ideen habe, er jeden respektiere. Er erzählt, dass es auch schon vorgekommen sei, dass der Ministerpräsident nach einem Spiel in der Kabine gestanden habe. Als er 2023 seinen Vertrag unterschrieben hat, trifft er Orban kurz. Insgesamt sei er sehr zufrieden in Ungarn, sagt Maceiras. Kürzlich hat er seinen Vertrag bis 2027 verlängert.
Neftali Manzambi: Die vielen Fouls in Venezuela
Neftali Manzambi ist viel unterwegs in diesen Tagen, er unternimmt lange Reisen quer durch Südamerika, zum Beispiel nach Peru, in die Stadt Arequipa. Der Stürmer tritt dort mit Academia Puerto Cabello gegen den FBC Melgar an, Copa Sudamericana, dritter Spieltag.
Copa Sudamericana, das ist die südamerikanische Version der Europa League. Academia Puerto Cabello, das ist ein Fussballklub aus der gleichnamigen Stadt an der venezolanischen Küste. Und alles zusammen ist die Welt, in der sich Manzambi seit Anfang Jahr bewegt. Seine Geschichte ist eine, in der viele Orte zusammenkommen. Geboren in Luanda, Angola. Aufgewachsen in La-Chaux-de-Fonds, Kanton Jura. Ausgebildet im FC Basel ab dem 12. Lebensjahr.
Und jetzt? Puerto Cabello, Venezuela.
Im Januar ist der 28-Jährige aus der Schweiz dorthin geflogen, ein Agent hatte sich zuvor beim Stürmer gemeldet, der damals ein halbes Jahr ohne Vertrag ist. Manzambi will sich das alles vor Ort anschauen, wegen der Sicherheit, der politischen Lage.
Das Eidgenössische Aussendepartement schreibt auf seiner Website, die sozialen und politischen Spannungen in Venezuela seien «sehr hoch», die Kriminalitätsrate und Gewaltbereitschaft «hoch». Das Land steckt seit vielen Jahren in einer politischen und wirtschaftlichen Krise. Millionen Menschen sind geflüchtet. Wer geblieben ist, lebt meist in Armut. Der Präsident Nicolás Maduro hat die letzte Wahl im Jahr 2024 gefälscht; Proteste dagegen liess er brutal niederschlagen.
Manzambi zeichnet ein anderes Bild des Landes. Die Situation ist für ihn besser als noch vor ein paar Jahren; Angst hat er bisher nie gehabt. Seine Familie ist ihm nach Venezuela gefolgt, die Frau und die beiden Töchter, 2 und 4 Jahre alt.
Im FC Basel galt Manzambi einst als grosses Talent, doch in der ersten Mannschaft findet sich für ihn kein Platz. Er geht als junger Spieler ins Ausland, Gijon, Cordoba, Valencia, später Schweden, dann: Rückkehr, ein gutes Jahr in Winterthur, später ein weniger gutes. Schliesslich eine Leihe nach Schaffhausen, danach ein paar Monate ohne Klub.
Und nun eben: Venezuela, Platz 5 mit Academia Puerto Cabello, 3 Tore in 12 Spielen, und mit Selim Khelifi ein Schweizer Teamkollege. Manzambi berichtet vom hervorragenden Trainingskomplex seines Klubs. Einem südamerikanischen Fussball, zu dem viele Fouls gehören, viele Provokationen, bei dem man seine Nerven im Griff haben müsse. Wie lange er bleibt, weiss er noch nicht, er hat einen Vertrag bis Ende 2025. Und hat in den letzten Jahren gelernt, die Dinge so zu nehmen, wie sie kommen.