Die wachsende Zahl von Wettbewerben im Profifussball dient vor allem einem Zweck: die hohen Gehälter der Stars zu finanzieren. Wer weniger Belastung will, sollte auch zu Einbussen bereit sein.
Als der Spanier Rodri Ende Oktober die Auszeichnung zum Weltfussballer des Jahres entgegennahm, bot sich dem Publikum ein erstaunlicher Anblick: Der Gefeierte trat nicht federnden Schrittes und voller Elan aufs Podium, sondern schleppte sich an Krücken zur Ehrung. Denn Rodri, Mittelfeldstratege in Diensten von Manchester City und mit Spanien Europameister in diesem Jahr, hatte sich kurz zuvor eine schwere Verletzung zugezogen, die ihn zu einer Pause bis zum Saisonende zwingt.
Dieser Umstand wirkt wie eine böse Pointe: Denn nur wenige Tage bevor Rodri sich in einem gar nicht einmal hart geführten Zweikampf verletzte, hatte er eindringlich gewarnt vor der Überlastung von Spitzenfussballern. Die Strapazen würden hervorgerufen durch einen eng getakteten Terminkalender, der es kaum noch zulasse, dass dauerhaft Spitzenleistungen geboten würden.
Akanji: mit 30 Jahren in Rente?
Der Spanier stellte auch in Aussicht, was den Klubs dereinst blühen könnte, sollte nicht mehr Rücksicht auf die Spieler genommen werden: ein handfester Arbeitskampf. Ein Streik sei durchaus denkbar, hatte Rodri vor seiner Verletzung gedroht. Unterstützung signalisierten der Liverpooler Torhüter Alisson Becker und der Schweizer Nationalspieler Manuel Akanji, der in Manchester ein Teamkollege von Rodri ist. Wenn es so weitergehe, sagte Akanji gegenüber ESPN, könne er mit 30 Jahren in Rente gehen.
Dass Spieler über grosse Belastungen klagen, ist nicht neu. Vielmehr ist das Lamentieren ein vertrautes Muster, ebenso wie die Unterstützung, die die Spieler durch die Weltfussballer-Gewerkschaft Fifpro in ihrer Forderung nach mehr Erholungspausen erhalten. Nur hat die Vehemenz zugenommen. Und deswegen ist es durchaus lohnend, einmal hinzuschauen, was an diesen Klagen dran ist, die tatsächlich das Potenzial haben, den Spielbetrieb via Streik lahmzulegen. Zumal die Belastungen kaum geringer werden dürften.
Am Donnerstag werden die Begegnungen für die kommende Klubweltmeisterschaft Mitte 2025 in den USA ausgelost – ein Wettbewerb, der auf Betreiben des Fifa-Präsidenten Gianni Infantino mit 32 Teams über mehrere Wochen ausgetragen wird. Vor allem für die europäischen Vereine, die im Klubfussball nach wie vor die Referenz sind, bedeutet der Wettbewerb eine zusätzliche, hohe Belastung.
Tatsächlich ist die Anzahl der Spiele, die ein Fussballer heutzutage auf höchstem Niveau absolvieren muss, auf den ersten Blick enorm hoch. Besonders stark betrifft es die Akteure in der englischen Premier League, die allein schon 38 Saisonspiele haben und dazu noch zwei nationale Cup-Wettbewerbe absolvieren.
Es ist denn auch kein Zufall, dass die Kritik in England am grössten ist. Zur Belastung aus der nationalen Liga gesellt sich die in der Champions League. Für Manchester City und den FC Chelsea kommt noch die im Sommer 2025 anstehende Klubweltmeisterschaft hinzu, zudem stehen für einige Profis die Begegnungen mit den Nationalteams an, etwa in der Nations League, die bei den Vereinen nicht sonderlich beliebt ist. Insgesamt sind so bis zu 85 Saisonspiele möglich.
Zwar beklagen die Profis aus England statistisch gesehen nicht die meisten Verletzungen, sondern solche aus der deutschen Bundesliga. Doch es geht den Spielern eben nicht nur um Frakturen, sondern um die Substanz, die sie im Laufe eines Wettkampfjahres verlieren. Zum Verschnaufen bleibt kaum Zeit. Wenn die Saison beendet ist, geht es für die Spitzenkräfte unmittelbar weiter: Es gibt kaum noch eine echte Sommerpause, und das unterscheidet die Elitekicker von ihren Kollegen aus dem Eishockey.
Die Spieler erhalten Unterstützung von Trainern
An Regeneration ist so tatsächlich kaum zu denken. Daher verwundert es nicht, dass der eine oder andere Spitzentrainer sich solidarisch gegenüber seinen Angestellten zeigt: Xabi Alonso von Bayer Leverkusen konnte etwa gut verstehen, dass Spieler vom Format Rodris klagen, ebenso Real Madrids Trainer Carlo Ancelotti, der erfolgreichste Vereinscoach der Gegenwart. Jürgen Klopp hatte in seiner Zeit beim FC Liverpool ebenfalls Verständnis gezeigt für den Unmut seiner Untergebenen. Er tat dies aus gutem Grund: Schliesslich müssen er und die anderen Trainer die mangelnde Performance ausbaden, die sich aus den Belastungen ergibt.
Auf den ersten Blick wirkt also alles ganz einfach, so einleuchtend, dass man auf die Idee kommen könnte, den Spielern beizupflichten. Denn wem ist geholfen, wenn das Personal, auf das es ankommt, nach zwei Dritteln der Saison Woche für Woche dem Abpfiff entgegenklappert?
Nur ist die Situation nicht so klar, wie sie von den Betroffenen dargestellt wird. Auch wenn auf sportlicher Ebene hier und dort Verständnis für die Streikführer herrscht, stossen ihre Argumente in den kaufmännischen Abteilungen der Spitzenvereine auf wenig Gegenliebe: Jan-Christian Dreesen, der Vorstandschef des FC Bayern, rieb den Athleten den performativen Widerspruch genüsslich unter die Nase.
Er sei verwundert, dass gerade diejenigen Beschwerde führten, die in den Gehaltslisten ganz weit oben stünden, sagte Dreesen. Er weiss, wovon er redet. Die Personalkosten für das Kader belaufen sich in München auf mehr als eine Viertelmilliarde Euro pro Saison. Auch an anderen Orten wie in Manchester, Liverpool, Paris, Madrid und Barcelona zeigen sich die Arbeitgeber äusserst spendabel.
Die Generosität entspringt nicht unbedingt der Freiwilligkeit: Die grössten Preistreiber im Fussball sind die Spieler selbst – im Verbund mit ihren Beratern, deren Honorare mittlerweile einen erklecklichen Anteil an den Personalkosten der Klubs ausmachen.
Mittlerweile 189 Champions-League-Spiele
Es wäre daher nur konsequent, wenn die Fussballer in ihrem Streben nach einer besseren Work-Life-Balance die Frage stellen würden, wie viel ihnen diese wert ist. Gerade einem Manuel Akanji, der bekanntlich gut rechnen kann, dürfte klar sein, dass Gehälter von 15 Millionen Euro und mehr zuerst einmal finanziert werden müssen. Und um dies zu gewährleisten, reizen die Klubs eben aus, was geht.
So kommt es, dass die Champions League mittlerweile 189 Spiele und nicht wie zuvor 121 Begegnungen umfasst, samt beträchtlichem Reiseaufwand. Der europäische Fussballverband (Uefa) kam dem Verlangen der Klubs entgegen, von denen einige 2021 damit gedroht hatten, sich in einer europäischen Super League zu organisieren. Die finanzielle Steigerung, die den Klubs zugutekommt, ist imposant: Wurden zuvor rund 2 Milliarden Euro an die Vereine ausgeschüttet, so sind es nun 2,467 Milliarden.
Die Klubweltmeisterschaft ist auch als ein Konkurrenzwettbewerb zur Champions League zu verstehen. Auch wenn das Renommee dieser Veranstaltung überschaubar ist, wird doch kein Verein von Rang auf eine Teilnahme verzichten können.
Es ist ein perfektes Dilemma. Im Grunde wollen alle Seiten das Gleiche: attraktiven Fussball, spannende Wettbewerbe und so viel Geld wie möglich. Noch breitere Kader von noch höherer Qualität würden das Problem nicht lösen. Die Fans brauchen die Superstars, die die Massen bannen. Weltstars wie Kevin De Bruyne, Rodri, Kylian Mbappé, Erling Haaland und Vinícius Júnior sind unentbehrlich in einem Fussballspektakel, das gleichermassen sportlich faszinierend wie finanziell einträglich sein soll. Erst sie rechtfertigen die hohen Preise, die Sponsoren und TV-Stationen für Übertragungsrechte zu zahlen bereit sind – und letztlich auch die Fans, sei es via Pay-TV oder teure Fanartikel wie Trikots der Heroen.
Die Klage der Privilegierten ist sehr unsympathisch
Eine geringere Zahl von Partien würde also einhergehen mit Gehaltseinbussen. Und dazu dürften die Profifussballer kaum bereit sein. Zudem sei noch einmal in Erinnerung gerufen: Es handelt sich hierbei um einen Extremberuf, erst recht auf höchstem Niveau. Die Belastungen, die die Spieler ihren Körpern zumuten müssen, sind mit extrem hohen Gehältern abgegolten.
Insofern zeigt die Diskussion vor allem eines: Das System stösst allmählich an seine Grenzen – mit der zunehmenden Zahl von Wettbewerben wird es nicht einfacher, die Interessen der Beteiligten zu berücksichtigen. Sicher wäre es vernünftig, die Zahl der Spieltage einzudämmen, und zwar nicht nur der Gesundheit der Spieler wegen, sondern auch um der Inflation von Wettbewerbsspielen ein Ende zu setzen. Denn diese produziert am Ende mehr Mittelmass und weniger spektakuläre Momente. Das Ansinnen dürfte sich allerdings als ein frommer Wunsch erweisen. Zu sehr sind die Belange der Beteiligten miteinander verflochten, als dass es zu einer solchen Regelung kommen könnte.
Für Rodri und seine Mitstreiter ist dies keine zufriedenstellende Conclusio. Die Beschwerdeführer könnten sich jedoch in Erinnerung rufen, dass sie zu den wenigen Auserwählten gehören. Zumal ein Arbeitskampf dieser Hyperprivilegierten am Ende ungefähr so sympathisch erscheint wie ein Klassenkampf von oben.