Billigflugzeuge, Billigfernbus und nun Billigbahn: Mit einem Discountangebot für den Schienenfernverkehr fährt das Unternehmen Flix vorerst nur in Deutschland als Alternative zur Deutschen Bahn. Die Kundschaft ist nicht immer begeistert.
Thorsten Grasemann kann die Kilometer, die er auf Schienen zugebracht hat, schon lange nicht mehr zählen. Ein Zugfan seit Kindesbeinen. Vom Polarkreis bis nach Palermo war er schon als junger Interrailer in Europa unterwegs, heute, als gesetzter Mittvierziger, reist er per Bahn durch die ganze Welt. In seinem Online-Portal berichtet er sachkundig, ausführlich und kritisch von seinen Eindrücken und Erfahrungen. Und betont seine Unabhängigkeit: Das Portal sei ehrenamtlich, ohne Werbung und ohne Verbindungen zur Bahnbranche.
Ingenieur Grasemann gehörte zu den frühen Passagieren, die 2018 in einen der ersten Flixtrains einstiegen. Anfangs war er vom Schwesterprodukt des auf deutschen Strassen da schon allgegenwärtigen Flixbus begeistert. Zwar rollten die Züge mit schon Jahrzehnte alten D-Zug-Wagen, die aber waren für das Produkt Interregio der damaligen Bundesbahn in den 1980er Jahren von Grund auf modernisiert und aufgefrischt worden.
Doch nachdem der Betreiber, der heute als Flix SE firmiert, die Corona-Pause zu einer umfänglichen Auffrischung seiner Flotte aus immerhin 140 Waggons genutzt hatte, blieb davon nicht viel übrig. «Flixtrain hat sein vorher gutes Angebot mächtig heruntergeschraubt und setzt auf billigen Massentransport», ist das Fazit des Bahnkenners aus Mannheim. Mehr noch: «Die Wagen bieten in ihrer jetzigen Ausstattung nur noch Nahverkehrsniveau. Wer billig reisen möchte oder muss, sollte leidensfähig sein.»
Fünf Jahre nach der Premiere seines Startups Flixbus 2013 hatte sich Gründer André Schwämmlein gemeinsam mit Kommilitonen aus der Studentenzeit auf die Schienen gewagt. Die Pleite eines anderen Newcomers, der mit Fernzügen der Deutschen Bahn (DB) das Monopol streitig machen wollte, eröffnete dem Team um den diplomierten Wirtschaftsingenieur und IT-Experten das Schienengeschäft.
Mit dem Slogan «Wir betreiben nachhaltiges und preiswertes Reisen für jedermann» entwickelte sich mithilfe der Finanzkraft zunächst ausschliesslich deutscher Investoren und in den Folgejahren auch amerikanischer Beteiligungsgesellschaften ein weltweiter Konzern, der sich heute stolz ein globales Travel-Tech-Unternehmen nennt.
Das Unternehmen arbeitet weltweit im Transportsektor
Wer ahnt schon, wenn er hierzulande in einen grünen Bus oder Zug steigt, dass die amerikanische Legende der Greyhound-Überlandbusse ebenso zu Flix gehört wie Linienbusnetze auf dem indischen Subkontinent? Gut 80 Millionen Fahrgäste in mehr als 40 Ländern im letzten Jahr führten laut Firmenangaben zu einem Umsatzsprung auf über zwei Milliarden Euro.
Im weltumspannenden Verkehrsgeschäft ist Flixtrain bis jetzt eine vergleichsweise kleine Sparte. 15 Züge fährt das Unternehmen in eigener Regie, ausschliesslich in Deutschland. So beginnt und endet auch die Verbindung Basel–Berlin am Badischen Bahnhof. Der liegt zwar auf Schweizer Hoheitsgebiet, wird aber von der DB betrieben.
Mit den derzeit angebotenen Verbindungen ist Flixtrain noch weit von einem bundesweit flächendeckenden Fernverkehrsnetz der Schiene entfernt. Mit eingeschränkten Verkehrsleistungen: «Tägliche Hochgeschwindigkeitsverbindungen» gibt es nach eigener Aussage lediglich zwischen Berlin, Hamburg und Köln sowie Frankfurt am Main und Stuttgart – mit Tempo 200, wo es die Strecke zulässt.
Wer eine passende Verbindung auf der Website buchen will, muss aufpassen, denn Flix bietet Bus und Bahn gemeinsam an. So entstehen gerade auf langen Strecken abenteuerliche Umsteigeverbindungen vom Zug zum Bus. Immerhin: Das Unternehmen hat seine Kooperation mit dem «Deutschlandtarifverbund» ausgebaut.
Das bedeutet: Im Vor- und Nachlauf zu Flix-Zügen kann der Schienennahverkehr von und zu weiteren Bahnhöfen ergänzend zu den Stopps der grünen Züge genutzt werden, sogar S-Bahnen und Regionalzüge des Konkurrenten DB. Doch gemessen an den Taktfahrplänen der staatlichen Bahn ist das Bahnangebot auf allen Linien eher dünn.
Das soll sich ändern. «Aktuell geht es uns um die Verdichtung von Takten und eine Erhöhung des Angebots in Deutschland», erklärte ein Flix-Sprecher auf Anfrage. Jedoch mit weiterer Ambition: «Wir sehen Flixtrain nicht nur als deutsches, sondern internationales Produkt.»
Auch im Ausland sollen Flix-Züge bald fahren
So oder so: Für die Expansion fehlt geeignetes Wagenmaterial. Als «Pilotprojekte» seien Züge von München nach Zürich und von Leipzig über Berlin und Hamburg nach Stockholm geplant. Termine gebe es noch nicht, «aber wir stehen im ständigen Austausch mit den zuständigen Behörden und der Europäischen Kommission».
Wie erfolgreich die Billigbahn ist, verrät das Unternehmen nicht. Verkehrszahlen und Umsätze werden in der Gesamtbilanz der europäischen Transportstatistiken versteckt.
Wenn der Zug am Bahnsteig ausrollt, zieht er die Blicke auf sich: Das von den Bussen bekannte Flixgrün auf der Schiene fällt auf und wirkt attraktiv. Doch der erste Blick in den Grossraumwagen hinein lässt augenblicklich an die eng bestuhlten Röhren der Billigflugzeuge denken. Gut hundert Sitze in Vierer-Reihen mit Mittelgang lassen fast schon hautnahe Reiseerlebnisse erwarten. Als die betagten Fahrzeuge für den Interregio fuhren, sassen hier 60 bis 70 Reisende in Abteilen am Seitengang.
Bei guter Auslastung schlägt dem Einsteiger auch an kälteren Tagen warmer Mief der Mitreisenden entgegen: Die Flixtrain-Flotte fährt grösstenteils ohne Klimaanlage, und die Fenster, die man im D-Zug-Zeitalter noch zur Hälfte öffnen konnte, lassen nur noch fünf Zentimeter schmale Frischluft-Schlitze zu. Sonnenschutz? Fehlanzeige.
Wohl dem, der an heissen Tagen einen schattigen fensterlosen Platz zugeteilt bekommt. Von denen gibt es einige wenige, weil Fenster und Sitzreihen-Anordnung nicht unbedingt zusammenpassen. Aber das kennen ICE-Reisende ja auch. Mehr Glück hat derjenige, dem die für jede Flixtrain-Tour obligatorische Platzreservierung einen Sitz im Wagen 100 zugewiesen hat. Das ist in jedem Zug das ehemalige Interregio-Bistro, zu seinen Zeiten bereits von der Bundesbahn klimatisiert beschafft.
Der Sitzplatz selbst entspricht etwa dem Billigflug-Erlebnis. Die wichtigste Erkenntnis: Auch normal grosse und selbst stattlich gebaute Menschen können sich niederlassen, ohne seitlich anzuecken. Auch die Knie stossen nicht, anders als in offenbar noch enger bestuhlten Ferienjets, am Vordersitz an. Wie häufig im Flugzeug lässt sich mehr Platz einkaufen: Gegen Extrakosten gibt es Sitze mit mehr Beinfreiheit, Plätze mit Tisch und sogar den freibleibenden Platz nebenan.
Den einzigen Reisekomfort, den Flix zusätzlich zu bieten hat, sind ein nicht immer funktionierender Internet-Zugang, eine Steckdose und eine stabile Mobilfunk-Verbindung. Mehr gibt es nicht, der Sitz ist nicht verstellbar, und Kaffee bringt auch niemand vorbei. Die grünen Züge sind Service-Wüsten ohne jede Versorgung.
Der Tiefpreis tröstet über fehlenden Komfort hinweg
Nicht nur der Viel-Bahnfahrer Grasemann findet das nicht lustig. Der Blick in die einschlägigen Internetportale zeigt schnell, dass Flixtrain nicht nur Fans hat. Er zeigt aber auch, dass das vielen Reisenden egal ist – angesichts von Ticketpreisen, die zum Teil unter zehn Euro liegen.
So hütet sich auch Karl-Peter Naumann, langjähriger Vorsitzender des Kunden-Sprachrohr-Vereins «Pro Bahn», vor vernichtender Kritik: «Der Komfort ist schlechter als bei der DB, dafür ist es auch preiswerter. In einem Hostel habe ich auch weniger Komfort als in einem Hotel. Das Verhältnis Preis – Komfort stimmt.»
So sieht es auch der Verkehrsclub Deutschland (VCD). Sprecher Alexander Kaas-Elias weist noch auf einen speziellen Flixtrain-Vorteil durch die vorgeschriebene Platzbuchung hin: «Übervolle Züge gibt es bei Flixtrain nicht: Wenn die Sitzplätze eines Zuges belegt sind, kann er nicht mehr gebucht werden.»
Das ist für viele Bahnreisende ungewöhnlich. So steigen immer wieder Menschen jeden Alters und von allen Kontinenten in den Flixtrain, die weder Ticket noch Reservierung haben. Die Durchsagen des Personals nach der Abfahrt, die darauf hinweisen, dass weder Deutschland-Ticket noch DB-Ausweise in diesem Zug gälten, kommen zu spät. So bleibt den immer wieder als freundlich beschriebenen Flix-Zugbegleitern die undankbare Aufgabe, diese Schwarzfahrer ohne Vorsatz am nächsten Bahnhof wieder aus dem Zug hinauszukomplimentieren.